Freitag, 4. Dezember 2020

Miramas-le-Vieux / Nach der Krise, Covid oder was auch immer

Während des Dezembers im Allgemeinen und kurz vor Weihnachten im Besonderen möchte man ja gerne Besinnliches schreiben, und ganz dumm sollte es auch nicht sein. Ich hatte da schon ein, zwei Ideen sowie eine dezidierte Nicht-Idee: Ich wollte mich nicht noch einmal über meinen Weihnachtskrimi „Stille Nacht in der Provence“ auslassen, denn das hatte ich ja schon zu nicht hundertprozentig passender Zeit getan. (siehe hier: https://provencebriefe.blogspot.com/2020/09/stille-nacht-in-der-provence-miramas-le.html) Jetzt muss ich aber doch, wenn schon nicht über den Roman, so doch aber über den Ort desselben ein paar Worte verlieren: Miramas-le-Vieux.







Der Anlass ist dieses Ding mit C, das uns in Deutschland wie Frankreich und überall sonst zum Hals, aus der Lunge, den Geschmacksnerven und wo auch immer raushängt. Neben der einen oder anderen Frage, die man auch gerne beantwortet hätte, will man dabei ja immer wissen: Was kommt danach? Wie kommen wir aus der Krise wieder raus? Die Provence ist seit, na, seien wir großzügig, beinahe dreitausend Jahren ein Kulturland und hat ihren Teil an Katastrophen hinter sich: Kriege (siehe hier: https://provencebriefe.blogspot.com/2015/11/vorhundert-jahren-ist-der-tod-in-die.html), Erdbeben (https://provencebriefe.blogspot.com/2020/04/heuteerzahle-ich-ihnen-was-von-einer.html), die Pest und die Cholera... You name it, we got it.

Und plötzlich sind wir bei Miramas-le-Vieux.

Orte wie dieser sind nämlich Relikte einer profunden Krise und Zeugnisse dafür, wie und wann man wieder da herauskommt. Diese Krise hatte wenig mit Viren und Masken („Mund-Nasen-Schutz“ heißt das in Bundesrepublikanien, kann mir mal jemand erklären, was an dem Wort „Maske“ so verkehrt ist?), na, jedenfalls, damit hatte es nichts zu tun, eher mit der Dampfmaschine und der Guillotine. Mit dem 18. Jahrhundert nämlich begann die Industrialisierung ebenso wie die Explosion persönlicher Freiheit. Ein Bauer, beispielsweise, konnte plötzlich in der Fabrik arbeiten und war auch rechtlich nicht mehr an seine Scholle gebunden, kurz: er konnte verschwinden und sich niederlassen, wo er wollte.

Die Folge war, dass viele mittelalterlich geprägte Städtchen der Provence auf einmal so aussahen, als hätte dort jemand den Lockdown angeordnet: Es war niemand mehr zu sehen. Es war nämlich niemand mehr da. D'accord, zumindest waren immer weniger Leute da.

Diese Ortschaften lagen nämlich immer auf den Kuppen der kleineren und manchmal gar nicht so kleinen Berge des Midi. Nicht, weil es malerisch war, sondern weil sich ein Gipfel leichter verteidigen ließ als eine Ebene. Als Frankreich nun moderner wurde, verschwanden die marodierenden Söldner- oder Religionskriegsarmeen. Als der Druck von außen weg war – und als man auch nicht mehr an den Boden und einen Lehnsherrn gebunden war – stellten die Menschen fest, dass es teuer und unpraktisch ist, eine Fabrik auf einem Berg zu errichten. Dass die mittelalterlichen Häuser eng und dunkel waren. Dass es schweineteuer war, Wasser- und Kanalleitungen durch die Berge zu fräsen. Dass enge, steile Gassen gut sind für die Wadenmuskeln, aber schlecht für Kutschen, ganz schlecht für die Eisenbahn und von den Autos wollen wir gar nicht sprechen.

Also zogen die Menschen fort.

Nach der Französischen Revolution, als in Frankreich wie in ganz Europa die Bevölkerungsexplosion so richtig in Gang kam, wuchs nicht etwa die Einwohnerzahl vieler provenzalischer Städte – sie fiel, manchmal auf Null.

Wie in Miramas-le-Vieux.





Der Ort liegt nah am Mittelmeer, aber nicht ganz an dessen Ufer. Er thront auf einem Hügel, es gibt also keinen Hafen. Dafür wurde irgendwann in der Nähe die Eisenbahn gebaut – aber kein Ingenieur war so bekloppt, die Schienen auf den Gipfel zu verlegen, man fuhr lieber drumherum. Die Einwohner ließen also um 1850 ihre eh zu kleinen, zu unbequemen, zu unsauberen Häuser zurück und bauten sich große, bequeme, saubere Häuser neben der Eisenbahn. Miramas wurde praktisch ein zweites Mal gegründet. (Ist übrigens heute fast zwanzigmal so bevölkerungsreich wie früher, aber nicht unbedingt ein Kurort.)

Für die paar Frauen und Männer, die in Miramas und Dutzenden anderen provenzalischen Städten auf den Hügeln zurückblieben, war es, als hätten sich Pest, Cholera und Covid ihre Nachbarn geholt: Viele Häuser standen leer und verfielen, Kirchen und Burgen gleich mit, die Geschäfte machten dicht, und kein Politiker interessierte sich noch einen feuchten Schmutz für das, was da oben passierte. Nicht Lockdown light, das war Lockdown heavy.

Am Ende kam die Rettung aus der Krise ganz ungeplant und von Fremden. Touristen, ob nun aus Paris oder Lille, Deutschland oder England, fanden Orte, in denen seit hundert Jahren keine neue Mauer mehr hochgezogen worden war, auf einmal „authentisch“ und „pittoresk“. Die Nachteile von gestern mutierten zu den Vorteilen von heute. Das enge Haus verwandelte sich in ein gemütliches Feriendomizil, die steile Gasse wurde zur fantastischen Aussicht, das „leider nicht autogerecht“ war plötzlich ein „zum Glück autofrei“.

Die Postkarten-Provence entstand wortwörtlich aus den Ruinen der vergessenen Provence. Es zogen immer mehr Menschen, auch Einheimische, zurück auf die Hügel, damit wurden dann auch moderne Installation geschaffen, und heute leben in den Dörfern mehr Bürger als im Mittelalter und das Internet ist auch schneller als zur Zeit der Kapetinger. (Außer bei uns, aber unsere Ölmühle liegt ja auch in einem Tal, das so vergessen ist, dass hier noch Dinosaurier durch das Unter- und Oberholz brechen.) Krise, welche Krise? Die Immobilienpreise sind längst in die solide europäische Oberklasse entschwebt.

Miramas-le-Vieux ist einer der wenigen Orte, an denen sich dieses „Auferstanden aus Ruinen“ noch live miterleben lässt, denn kaum ein Ort war so lange verlassen und vergessen wie dieser. Hier ist vielleicht erst die Hälfte der Häuser schick restauriert worden, die andere Hälfte schlummert noch immer den Schlaf des Verfalls. (Mit einer gewissen Erfahrung hier wage ich die Warnung an Enthusiasten: Es wird auch nicht billig, diese Jahrhunderte alten Steinhaufen zu renovieren...)





Man sieht: Du kommst aus der Krise heraus, aber die Rettung kommt vielleicht von unerwarteter Seite und es mag hundert Jahre dauern, bis du damit halb fertig bist. Das neu implantierte Herz von Miramas-le-Vieux, das diesem Ort überhaupt erst wieder Leben schenkte, waren übrigens einige fantastische Eiscafés und Restaurants. Die hat jetzt die neue Krise schwer getroffen... Mal sehen, wie dieser Ort in Zukunft aussieht. Andererseits: Irgendwer wird hier schon irgendeine Idee haben, und vielleicht wird Miramas-le-Vieux am Ende schöner und lebenswerter sein als je zuvor und ganz anders, als man sich das in der Krisenzeit ausgemalt hat. Wäre beispielsweise ein netter Platz fürs Homeoffice, oder?

In diesem Sinne: Frohe Festtage und bleiben Sie gesund!


Freitag, 6. November 2020

Olivenernte im November

 November ist Erntezeit, da sind die Früchtchen endlich reif – zumindest die Oliven. Die wechseln gerade chamäleonartig von grün zu schwarz. Oder eher hin zu glänzend lila und, nun ja, welche Überraschung, dunkel-oliv. Sind sie noch grün, so sind sie gewissermaßen frühreif, man kann sie durchaus ernten und, zum Beispiel, einlegen. Je dunkler sie dann werden, desto reifer sind sie.





In der Nachbarschaft haben Bauern und Privatleute wunderbare Haine angelegt, wo Dutzende, manchmal Hunderte Bäume ihre knorrigen Kronen in nur zwei, drei Meter Höhe (da kann man sie gut abernten) über den sauber geharkten, rötlich-krümeligen Boden wölben. Erntehelfer – mais oui, oft aus dem Maghreb oder Osteuropa und scheiß auf das Coronavirus – legen große, kreisrunde Kunststoffnetze um jeden Baum aus. Mit langstieligen Harken kratzen und schütteln sie die Oliven von den Zweigen, sie fallen auf das Netz und werden am Ende einfach eingetütet, indem man das Netz zusammenzieht. Jeder Baum trägt Hunderte Früchte – allerdings nur jedes zweite Jahr. Pro Hain kommen da trotzdem schnell ganze Lastwagenladungen voll Oliven zusammen.

Bei uns hat vor einigen Jahren ein Pilz alle Platanen in die Ewigen Platanengründe geschickt. (siehe hier: https://provencebriefe.blogspot.com/2014/10/imherbst-fallen-anderswo-die-blatter.html) Seither haben wir Zypressen und, eben, Olivenbäume gepflanzt, die passen eh besser in die Provence. Für uns lohnen sich weder Bodennetze noch marokkanische Erntehelfer. Wir haben unsere Mini-Ernte an einem Novembernachmittag eingebracht. Anfangs war es hell und sonnig, am Ende musste ich im Dämmerlicht nach den Dingern tasten, und frisch wurde es auch.

Viele Oliven konnte ich mit ausgestrecktem Arm pflücken. (Okay, ich bin ein bisschen über einsneunzig groß, das hilft.) Für den ziemlich üppigen Rest haben wir dann die Leiter genommen und sind, nun ja, irgendwie quer und längs durch die überraschend dicht zugewucherten Kronen getaucht, um an die Oliven zu kommen. So ein Olivenbaum ist am Stamm und den großen Ästen übrigens knorrig und hart, doch die Zweige, an denen seine Früchte wachsen, sind erstaunlich biegsam.





Die meisten Bäume waren dieses Jahr in ihrer fruchtfreien Phase: viele Blätter, no dope. Einer konnte sich nicht so richtig entscheiden, dem wuchsen ein paar Knollen hier und da. Eigentlich haben nur zwei Bäume unsere Ernte gerissen. Einer ist noch ziemlich jung und schlank, die Krone wirkt irgendwie zerzaust. Wenn man so Stunde um Stunde Oliven pflückt, entwickelt man irgendwann ein persönliches Verhältnis zum Baum. Ich habe ihn den „trächtigen Alphonse“ getauft. Oui, l'olivier ist maskulin, außerdem sind es ja doch ziemlich faltenreiche Bäume, die lassen wir mal lieber männlich. Alphonse sah von unten eher jämmerlich aus, der Kerl hatte sogar weniger Blätter als die anderen Bäume. Keine Ahnung, wie er es geschafft hat, seine Oliven so gut zu tarnen. Als ich jedenfalls erst einmal mit der Leiter in der Krone stand, hatte ich ganz schön was zu tun.







Sein Kollege, dem ich den Namen „noch trächtigerer Daudet“ gegeben habe, ist hingegen ein Baum, wie er sein soll: Zwei knarzige Stämme, die aus demselben Wurzelstock gewachsen sind, darüber eine dichte Krone, so groß wie ein Atompilz. Hier hatten wir nicht ganz schön, sondern sogar ordentlich was zu tun.

Eh bien, ordentlich... Also, bei Dunkelheit hatten wir eine Obstkiste voll zusammen, vielleicht fünf, sechs, sieben Kilo, ich weiß es noch nicht, am Ende war ich zu erschöpft und durchgefroren, um die Ernte zu wiegen.

Das holen wir aber morgen nach: Wir bringen unseren stolzen Ertrag ins Nachbardorf (dem Vorbild der Kleinstadt, in der Capitaine Roger Blancs Gendarmerie-Station steht) zu einer Kooperative. Dort geben Profis ihre Lastwagenladungen und Amateure wie wir ihre Kisten ab, alles kommt in die Ölmühle – und am Ende, vermutlich irgendwann im Dezember (bei der Seuche ist kein Termin mehr sicher) erhalten wir gemäß unserer abgelieferten Menge das frisch gepresste Olivenöl der Saison. Bei unserer Ernte, schätze ich, werden wir etwa einen Liter heimtragen dürfen, vielleicht etwas mehr. Gar nicht so schlecht für den trächtigen Alphonse und den noch trächtigeren Daudet, und mal sehen, was die Kollegen im nächsten November auf die Reihe kriegen.


Nach der Kooperative: ein Nachmittag Arbeit, zwei Bäume, fünf Kilogramm Oliven - da ist noch Luft nach oben... 


Freitag, 18. September 2020

Stille Nacht in der Provence / Miramas-le-Vieux

 Man traut sich ja kaum, das im September und bei dreißig Grad und Sonnenschein hinzuschreiben, aber: mein Weihnachtskrimi „Stille Nacht in der Provence“ erscheint. Ich bin nicht etwa festtäglich hoch organisiert und überpünktlich, im Gegenteil, die Geschenke, zum Beispiel, besorge ich eigentlich immer auf den hinterletzten Drücker. Doch die Kollegen im Verlag wissen, dass die Gesetze des Buchmarkts denen der Quantenphysik ähneln und also zu früh eigentlich genau richtig und genau richtig bereits zu spät ist.





Eh bien: Miramas-le-Vieux. Da spielt sich das weihnachtliche und doch ziemlich unheilige Kammerspiel ab, in das die deutschen Reisenden Nicola und Andreas zufällig und ganz gegen ihren Willen hineingeraten. Dieser Ort tief im Süden des Südens ist ein Nachzügler, ist so, wie die Provence vor fünfzig, hundert Jahren fast überall mal gewesen ist – nämlich halb vergessen und verfallen.





Miramas-le-Vieux, das ist eine Burg aus dem zwölften Jahrhundert, die auf einem Felssporn thront. Unter dem Schutz ihrer staudammähnlichen Mauern siedelten sich im fünfzehnten, sechzehnten Jahrhundert Bürger und Bauern an, indem sie mehr oder weniger große Häuser an die steilen Flanken des Hügels klebten. Dazwischen winden sich mehr oder weniger steile Gassen, und da, wo es gar zu steil wird, führen halt Treppen nach oben. Die längste und steilste ist die Escaliers des Soupirs, und wer diese „Seufzertreppe“ einmal erstiegen hat, der weiß, warum sie so heißt.





Wie haben die Provenzalen solche Orte vor hundertfünfzig Jahren gesehen? Die Burg: zugig und nutzlos. Die Häuser: eng und kalt. Die Gassen: unpraktisch und unbequem. Es wäre teuer gewesen, Wasser- und Abwasserleitungen den Berg hinauf und wieder hinunter zu führen, und später hatte auch niemand Lust, Strom- oder Telefonkabel über die Seufzertreppe zu schleppen.

Also: Bude dicht und der Letzte knipst das Licht aus, wenn es denn hier Licht gegeben hätte, das man hätte ausknipsen können, putain.

Um 1850 gaben die Bürger ihre Stadt nach und nach auf und siedelten in der Ebene an, wo sie ein neues Miramas gründeten. Dort war es platt, die Eisenbahn wurde gerade verlegt und brachte Geld und die Große Welt, und später gab es auch massig Platz für Parkplätze und Einkaufszentren. (Wie der Village de Marques, das kitschigste Shoppingareal in diesem Teil der Galaxis, wo man bis zum Covid-Killer Passagiere der in Marseille festmachenden Kreuzfahrtdampfer hingekarrt hat, um ihnen mal die Provence zu zeigen...)

Miramas-le-Vieux wurde eigentlich zu Miramas-le-Vide, das Städtchen leerte sich, bis nur noch jene Arten von Tieren durch die verfallenden Mauern strichen, vor denen sich selbst Tierschützer schütteln.





So ging das eigentlich überall in der Provence zu: oben auf dem Hügel war unmodern und unbequem, gebaut wurde unten im Tal oder man zog gleich ganz fort. Erst nach 1950 und, seien wir ehrlich, zu einem erheblichen Teil von Nicht-Provenzalen, wurde die Schönheit mittelalterlicher Städtchen wiederentdeckt. Sie wurden restauriert, renoviert, herausgeputzt. Heute schmücken sie Cover, Poster, Bildbände und ganz besonders schmücken sie die Bankkonten jener Makler, die mit den nun perfekten Preziosen Geschäfte machen.

Diese Begeisterung für das Gute, Wahre, Schöne ist allerdings, warum auch immer, Jahre lang an Miramas-le-Vieux vorbeigerauscht. Der Ort schlummerte weiter seinen ruinösen Schlaf, und ab und zu fiel mal wieder ein Stein aus irgendeiner Mauer.





Das hat sich erst vor gar nicht so langer Zeit schüchtern geändert. Seither zogen hier ein paar Lebenskünstler ein – und vor allem ein paar Köche und Eismacher allererster Sahne. „Le Quillè“ ist wohl der berühmteste Glacier, die berühmteste Eisdiele im ganzen Département. Was heißt schon „Diele“: Eine Terrasse zwischen den alten Burgmauern, von der aus man einen fantastischen Blick auf die Provence und beinahe bis auf das Mittelmeer hätte, wenn nicht, tja, wenn nicht die Gläser, in denen sie einem hier ihre Kreationen servieren, so unfassbar groß sind, dass du gar nicht mehr drüber gucken kannst.





Das gute Essen hat die Leute wieder nach Miramas-le-Vieux gelockt, nicht die guten Steine. Doch diese Leute haben sich, als sie denn erst einmal da waren, gedacht: eigentlich doch ganz nett hier...

Nicola und Andreas gehören zu diesen Besuchern, die sich verwundert umsehen und feststellen: Hier ist ja noch nicht alles renoviert. Miramas-le-Vieux ist dort, wo der Rest der Provence vor einem halben Jahrhundert schon war. Manche Häuser sind bereits wahnsinnig gut restauriert worden, andere wirken jedoch noch immer so verlassen und schroff, als hätten sie gerade einen Krieg hinter sich. Häuser, die wachgeküsst werden wollen!





Das denken Nicola und Andreas auch, und sie freuen sich auf wunderschöne Weihnachtstage in der alten Stadt, aber dann taucht leider ein Toter auf und, schlimmer noch, der Tote verschwindet gleich wieder. Aber das ist eine andere Geschichte, eine Weihnachtsgeschichte halt.

In diesem Sinne: Genießen Sie den Indian Summer, aber es schadet ja nichts, schon mal leise an den Heiligen Abend zu denken...




Montag, 10. August 2020

Feuer an der Cote Bleue bei Méjean

 

Manchmal öffnen sich die Pforten der Hölle, und Du erkennst es zunächst nicht, weil das Inferno aussieht wie die missglückte Bemühung eines überengagierten Hobbykochs am Holzkohlegrill. So zumindest erging es neulich uns: Wir liegen in einer Bucht von Méjean an der Côte Bleue (siehe hierzu auch: https://provencebriefe.blogspot.com/2019/04/jedervernunftige-mensch-zogert.html). Ein Augusttag, eigentlich heiß, doch der Mistral tobt in Böen bis zu knapp hundert Stundenkilometern und bläst den Himmel frei. Frei?




Am Nachmittag zieht von rechts, also von Norden kommend, eine hellgraue Wolke parallel zum Horizont. Man könnte sie für eine winzige Regenfront halten oder für Dunst, der aus dem Meer aufwallt. Doch der Mistral zerzaust eigentlich Regenwolken und Dunst in, nun ja, Windeseile. Dieser Wolkenstrich jedoch bleibt einfach über dem Horizont stehen, verweht sich schon bis zu den Inseln in der Bucht von Marseille.

Das heißt: Nein, der Mistral bläst diese Wolken schon fort, doch es quellen immer neue und noch mehr neue auf... Spätestens jetzt weiß jeder Provenzale, was das bedeutet: Putain, es brennt irgendwo. Und zwar nicht zu knapp.




Wir eilen von der Bucht hoch zum Ferienhaus von Freunden. Da haben wir einen besseren Blick – und außerdem kann man von einem Haus aus leichter evakuiert werden als aus einer engen Calanque zwischen hohen Felswänden. Inzwischen ist die Rauchfahne schmutzig-braun, hunderte Meter hoch, Kilometer weit. Die Frachter und Korsikafähren auf dem Meer wirken in ihrem Schatten wie Insekten, die unter eine Decke kriechen. Die tiefstehende Sonne zaubert orangerote Schleier hinein, es wirkt, als würde es in der Wolke selbst glühen. Die ersten Hubschrauber mit Wasserladungen donnern über unsere Köpfe. Canadairs, die Bomber, die ihr Wasser im Étang de Berre aufnehmen und es dann in tonnenschweren Güssen auf die Flammen regnen lassen (siehe hier: https://provencebriefe.blogspot.com/2014/04/brummendwie-eine-trage-hornisse-fliegt.html), fliegen in Formation mitten hinein in den Qualm: Träge Kamikazes, ein, zwei, fünf, sechs, schließlich acht schwarze Kreuze am Himmel, die im Tiefflug ins Inferno brummen. Man fragt sich, wie die Piloten da je lebend herauskommen sollen. Aber sie stürzen sich im viertelstündigen Takt immer und immer wieder auf die Flammen, bis es schließlich zu dunkel wird, um irgendetwas anderes zu sehen als das Feuer.




Längst checken wir im Internet: Das Feuer ist bei Martigues ausgebrochen, keiner weiß, warum – aber es hat an vier Stellen nahezu gleichzeitig begonnen. Die rote Hölle frisst sich durch Garrigue-Gestrüpp und Pinien über die kargen Hügel der Côte Bleue Richtung Sausset-les-Pins. Obwohl auch am Boden Hunderte Feuerwehrleute kämpfen, laufen die Flammen, angefacht vom Mistral, drei bis vier Kilometer näher an die Stadt heran – pro Stunde. Langsam wird es dunkel.

Die Schnellstraße durch die Côte Bleue wird von der Polizei gesperrt. Flammen überall. Ein Schnellboot der Küstenwache stampft, aus dem Hafen von Marseille kommend, durch die vom Wind aufgewühlte See, Gischt spritzt vom Bug, auf der Brücke blinkt ein winziges Blaulicht. Das Schiff ist jetzt das einzige auf etlichen Quadratkilometern Wasser, sein Blaulicht wirkt irgendwie zugleich überflüssig und heroisch. Es verschwindet schließlich, ebenfalls wie ein Kamikaze, in der inzwischen bis auf die Wellen sich herabsenkenden Rauchwand. Kurz darauf hören wir, dass die Bewohner mehrerer Fischerdörfer über See evakuiert werden, weil angeblich keine Straße mehr offen ist.

Meine Frau ruft eine Tante und einen Onkel an, beide schon über Siebzig, sie wohnen in Sausset-les-Pins. „Pas de problème, man riecht nicht mal Rauch!“

Ob sie nicht doch ihr Haus verlassen und zu ihrer Tochter oder zu uns fahren wollen, ein paar Kilometer die Küste hinunter? Noch sind von Sausset-les-Pins aus kleine Straßen Richtung Süden frei.

Wir hören schon Bomben!“, antwortet der Onkel zuversichtlich. Er glaubt, dass Militärjets Bomben abwerfen, deren Druckwellen dem Feuer die Luft wegblasen.

Tatsächlich knallt es nun immer wieder in unregelmäßigen Abständen durch die Dämmerung. Es hört sich an, als marschierte hinter den nächsten Hügeln die Wehrmacht ein. Es sind aber keine Bomben, zumindest nicht im eigentlichen Sinn. Inzwischen vernichtet der Brand zwei, drei eilig geräumte Campingplätze, die im August bis zum letzten Zeltplatz voll waren. Die Menschen haben sich gerade noch gerettet, doch Wohnwagen und Campingmobile blieben – und nun explodieren Dutzende, nein Hunderte Gasflaschen und Benzintanks. Kein Feuerwehrmann wird sich mehr dort hineinwagen, sie werden die Flammen brennen lassen müssen.




Inzwischen ist es dunkel. Hinter dem Hügelkamm im Norden leuchtet und glüht es rot, als sei dort plötzlich ein Vulkan aktiv. Das wirkt wie Lava, die dort irgendwo glüht und spuckt, und der Qualm darüber sieht schweflig aus. Ein monströses Traumgebilde, das wirkt, als sei es nicht von dieser Welt, obwohl es doch gerade dabei ist, eben diese Welt zu verschlingen.

Gegen Mitternacht melden sich Onkel und Tante: Ein Feuerwehrmann ist durch die Straße ihrer Wohnsiedlung gelaufen und hat alle Menschen zur sofortigen Evakuierung aufgefordert – er hat es hinausgebrüllt, ein Mikrofon hatte er nicht. Die Hälfte der Nachbarn hat ihn gar nicht gehört. Unglaublich, was Menschen alles verschlafen können.

Onkel und Tante verlassen mit einer Tasche Kleidung und Waschsachen das Haus. Ein Polizist ruft ihnen zu, dass die Notunterkunft in einer außerhalb gelegenen Turnhalle längst überfüllt ist. (Was, wie sich später herausstellt, nicht stimmt.) Ein Feuerwehrmann warnt sie, dass auch die letzten Straßen nun gesperrt sind, sie sollen die Flucht bloß nicht auf eigene Faust unternehmen. (Was ebenfalls eine Falschinformation ist.) Die beiden fahren trotzdem mit ihrem Auto eine kleine Küstenstraße entlang – und kommen schließlich bei der Tochter unter.

Mitten in der Nacht hat der Liebe Gott ein Einsehen und dreht dem verdammten Mistral endlich den Saft ab. Keine Böen mehr, nicht einmal mehr ein Hauch. Alles ruhig. Die Chance für die Feuerwehrleute, den Brand zum Stehen zu bringen.

Am nächsten Morgen sind mehr als eintausend Hektar schwarz: Natur, Autos, Campingplätze, was du willst hat sich in Asche verwandelt, aber wenigstens ist niemand gestorben. Die Flammenwand ist vor Sausset-les-Pins gestoppt worden. Es ist gut gegangen, Onkel und Tante fahren zurück, wir besuchen sie am Tag nach dem Brand, Happy End.

Diesmal zumindest.





P.S.: Im Meer treiben noch Tage später zahllose fingernagelkleine Holzkohlestückchen in den Wellen. Sieht wirklich so aus, als hätte sich da jemand an einem gigantischen Grill versucht.

Donnerstag, 2. Juli 2020

Montagne Sainte-Victoire bei Aix-en-Provence

Die Montagne Sainte-Victoire ist ein Wahrzeichen der Provence. Dieser Satz klingt ja mal so elektrisierend wie aus dem alten Baedeker, und der geneigte Leser mag sich fragen: Was, putain, will der Dichter uns damit bloß sagen?



Alors: Aus gewissen ebenso unsichtbaren wie allgegenwärtigen virologischen Gründen gleichen Reisen diesen Sommer leider wieder Pilgerfahrten im guten alten Mittelalter – man weiß nicht, ob, wann und in welchem Zustand man zurückkehrt. Also bleiben viele Leute lieber daheim, was durchaus verständlich ist. Also präsentiere ich für den Sommer wenigstens ein virtuelles Reiseerlebnis, wofür Sie dann hoffentlich Verständnis haben. (Wenn nicht: einfach hier wegklicken...)

Machen wir den Baedeker zuerst, dann haben wir das schon mal hinter uns: Die Montagne Sainte-Victoire ist kein einzelner Berg, sondern ein kleines Massiv, in west-östlicher Ausdehnung achtzehn Kilometer lang und nord-südlich fünf Kilometer breit. Der höchste Punkt ist der Pic des Mouches, 1011 Meter über dem Meeresspiegel. Apropos Meer: Die Sainte-Victoire erhebt sich östlich von Aix-en-Provence, und wenn man oben steht, dann glaubt man immer, in der bläulich schimmernden Ferne das Mittelmeer zu sehen, und wenn Sie bessere Augen haben als ich (da gehört leider nicht viel zu), dann stimmt das vielleicht auch.

Paul Cézanne, dessen Atelier bei Aix-en-Provence stand, konnte das Massiv vom Fenster aus sehen. Auf zahllosen Wanderungen hat er es ins malerische Visier genommen und die Sainte-Victoire damit zu einer Ikone der modernen Kunst gemacht.

Okay, Sainte-Victoire, Aix-en-Provence, 1011 Meter, Paul Cézanne, das war unser Baedeker.

Jetzt geht’s hoch. Es führen diverse Routen auf den Rücken dieses schlafenden Riesen, in präcoronischen Zeiten wuchteten jährlich 700 000 Trekker ihre schwitzenden Leiber hinauf, man ist also eher selten allein. Wir haben uns beim letzten Mal für einen Anstieg über einen im ersten Teil geradezu autobahnartig ausgebauten Wanderweg entschieden. Vollkommen unmöglich, sich zu verlaufen, aber, mon Dieu, das Teil ist so steil, dass dir schon bald die Waden zwicken. Auf dem Rückweg knirschen dir dafür die Knie, das ähnelt eher einem Absturz als einem Abstieg.



Kurz unter dem Gipfel wanken wir an einem Priorat vorbei, einem winzigen Gotteshaus aus dem 17. Jahrhundert, das in letzter Zeit von Freiwilligen restauriert worden ist. Endlich stehen wir dann oben, von Gleitschirmfliegern umschwirrt, am Sockel des neunzehn Meter hohen Gipfelkreuzes von 1875, das... Moment. Dieses blöde Gipfelkreuz steht gar nicht auf dem Gipfel. Mais non. Das Gipfelkreuz steht auf einer fünfundsechzig Meter unterhalb des Gipfels ins blaue Nichts ragenden Felskante, die sieht nämlich, fand man zumindest 1875, malerischer aus und steht auch näher an Aix-en-Provence, so dass man es vom Boden aus besser sehen kann.




Noch so ein paar True News zur Sainte-Victoire, mit denen man sich in trauter Rosé-Runde unter Freunden als echter Provence-Kenner ausweisen kann? D'accord:

Von diesem Gipfelkreuz aus hat man einen wundervollen Ausblick auf – das Kohlekraftwerk von Gardanne bei Aix-en-Provence, eines der letzten seiner Art in ganz Frankreich. DAS steht eher selten in Reiseführern. Macht vielleicht auch nichts, es soll nämlich bald abgeschaltet werden. Es sei denn, einige Irre in Regierung und Gewerkschaften setzen sich mit ihrem Plan durch, statt Kohle hier zukünftig Bäume zu verfeuern, weil das „ökologischer“ ist.



Die Sainte-Victoire ist ein echter „Jurassic Park“, denn einige der ältesten Gesteinsschichten des Massivs stammen noch aus dem Jura.

Jeder Einheimische erzählt einem, dass der Name auf die römische Siegesgöttin Victoria zurückgeht, weil hier irgendwo im Jahre 102 v. Chr. der römische Feldherr Marius die Kimbern und Teutonen geschlagen hat. Fake! „Ventur“ ist ein Name aus der Sprache der vor-römischen, ligurischen Bevölkerung der Region, das wurde von den Römern und Latein schreibenden Chronisten des Mittelalters zu „Venturius“ gemacht und verschliff sich erst vor ein paar hundert Jahren zu „Victoire“.

Und die Montagne Sainte-Victoire ist nicht der höchste Berg der Provence und nicht einmal des Départements. Der Pic de Bertagne im nahen Massiv von Sainte-Baume beispielsweise ist einunddreißig Meter höher.

Noch.

Die Montagne Sainte-Victoire wächst nämlich dank gewaltiger tektonischer Verschiebungen tief im Erdinnern (die der Provence gelegentlich auch Erdbeben bescheren) um durchschnittlich sieben Millimeter jährlich in die Höhe.

In diesem Sinne: Schönen Sommer und kommen Sie wieder, bevor die Montagne Sainte-Victoire uns allen über den Kopf gewachsen ist!


Montag, 18. Mai 2020

Verlorenes Vernègues


In „Verlorenes Vernègues“ muss Roger Blanc nicht allein mit seinen Freuden und Feinden (und mit sich selbst) klarkommen – sondern auch mit einem Rudel Wölfe. Wölfe sind für manche Menschen archaische Todesboten aus finstersten Zeiten, für andere The World's Sexiest Vierbeiner Alive. So oder so: Sie gehören wieder zur Provence dazu wie Olivenbäume oder Lavendelsträucher oder die Flamingos der Camargue.



Das Comeback der Wölfe hat vor fast dreißig Jahren begonnen. Eigentlich waren die Tiere in Frankreich ausgerottet worden. Doch ab den 1990er-Jahren wanderten zunächst einzelne Wölfe, dann ganze Rudel von Italien aus in die französischen Alpen ein. Dort, im Nationalpark Mercantour, wurden sie nicht mehr geschossen, sie waren fruchtbar und vermehrten sich – und sie hatten Hunger. Zunächst haben sie Bergziegen und Murmeltiere gejagt und was sonst noch im Gebirge herum hüpft. Doch sehr rasch spezialisierten sich viele Wölfe auf eine sehr einfach zu erlegende und zudem sehr schmackhafte Beute: Schafe.
Schäfer sind in den Alpen, in der Provence, überhaupt in Südfrankreich ungefähr so exotisch wie Automechaniker in Baden-Württemberg: Das ist ein Beruf wie Du und ich, allein in der Région PACA (Provence-Alpes-Côte d'Azur) sind es mehr als 1500, ungefähr sechzig Jungschäfer kommen jedes Jahr hinzu, insgesamt hüten sie etwa 600 000 Schafe. Wer nicht gerade in einer Großstadt wohnt, hat Schäfer im Freundes- und Bekanntenkreis. Wir, zum Beispiel, leben nur ein paar Dutzend Meter neben einem alten Schäferpaar. Und eine Mutter aus der Schule unserer Jüngsten ist Schäferin, sie versorgt uns regelmäßig mit Lammfleisch. (Sorry, hier ist niemand Veganer.)
Aber nun gibt es den Wolf.
Zuerst waren es ein paar Dutzend Schafe im Jahr, die gerissen wurden – sicherlich weniger, als streunenden Hunden oder rasenden Autofahrern zum Opfer fielen. Inzwischen sind es allerdings mehr als 10 000 Schafe im Jahr, mindestens. Ein Wolfsangriff gilt nur als solcher, und der Schäfer wird nur dann vom Staat entschädigt, wenn im getöteten Schaf eine DNA-Probe genommen wird, die eindeutig einem Wolf zuzuordnen ist. Wird zum Beispiel ein Lamm gerissen und verschwindet für immer im Unterholz, dann taucht es in dieser blutigen Statistik nicht auf.



Durch Frankreich streifen mindestens 500 Wölfe (das sind die Schätzungen von Naturschützern), vielleicht sind es auch schon wieder 1000 Tiere (das sind die Vermutungen von Schäfern und Jägern). In der Provence sind inzwischen mehrere Rudel am Mont Ventoux und im Umland von Aix-en-Provence heimisch, Einzeltiere – vermutlich zumeist junge Rüden, die weite Wanderungen machen – sind schon neben dem Krankenhaus von Manosque und der Grundschule von Digne-les-Bains gesichtet worden, mitten in Weinstöcken, im Sumpf der Camargue und sogar direkt neben den Raffinerien von Berre. (Und das alles in Vor-Corona-Zeiten, als sich Wildtiere gemeinhin noch nicht so weit in die Wüsteneien gewagt haben, die wir Zivilisation nennen.) Und ein junger Wolf ist übrigens auch schon in den Hügeln hinter unserer Ölmühle gesichtet worden, durch die ich jeden Morgen jogge – das gibt einem ein ganz neues Laufgefühl, auch wenn ich bei meinen Touren bislang bloß Kaninchen, Eichhörnchen oder bestenfalls mal ein Wildschwein aufgescheucht habe.
Manche Schäfer verlieren bis zu einhundert Tiere im Jahr, ein ausgewachsenes Schaf hat einen Wert von etwa 200 Euro, es geht hier also auch um ganz beachtliche Summen.
Man kann sich denken, was kommt, oder?
Schäfer, die selbstverständlich auch längst im 21. Jahrhundert angekommen sind, filmen inzwischen ihre Herden nach einem Wolfsangriff und stellen die Bilder auf YouTube – nix für schwache Nerven, manche Schafherden sehen nach einem Wolfsangriff aus, als sei nachts in ihrer Mitte eine Bombe explodiert. Viele legen sich Patous zu, riesige Hütehunde, die für Menschen weitaus gefährlicher sind als Wölfe (und genehmigungspflichtig wie Kampfhunde). Andere sind bewaffnet. Und vor einiger Zeit haben sich Dutzende Bürgermeister ländlicher Gemeinden mit ihren Knarren ablichten lassen und diese Fotos auf Facebook gepostet, verbunden mit der kaum verklausulierten und total illegalen Aufforderung, demnächst diese Tiere einfach abzuknallen. Die Aktion nannte sich: „Loups – n'obligez pas les maires à faire ça.“



Die Wolfsfreunde sind kaum weniger aggressiv, nur andersrum. Als sich beispielsweise ein Bauernsohn, ein Teenager, nachts bei seiner Herde umsah, wurde er plötzlich von einem Wolfsrudel umzingelt. Es geschah ihm nichts, aber er fühlte sich bedroht. Das zumindest berichtete eine Lokalzeitung (nicht der Junge selbst) – und seither wird der arme Kerl mit Morddrohungen und Hass überzogen, nur weil er angeblich gesagt hat, dass er Angst vor Wölfen hat.



Wölfe, hysterische Menschen, Waffen... Das, finde ich, ist doch mal einen Krimi wert. Roger Blanc ermittelt also diesmal in Vieux Vernègues, einer gespenstischen Ruinenstadt (siehe hier: ) und in den antiken Ruinen von Château Bas. Eigentlich haben bloß zwei alte Schäfer ein paar Tiere an die Wölfe verloren, und das ist nun schon beinahe Routine. Doch dann werden die Menschen nervös, dann schießwütig, dann schießen sie tatsächlich – und nicht nur auf die Tiere...



Ich hoffe, Sie haben Spaß bei der Lektüre. Und seien Sie versichert: Es sind nicht die Wölfe, die hier die Killer sind.

                                                  

P.S.: „Verlorenes Vernègues“ kommt am 19. Mai 2020 heraus, geschrieben habe ich den Text im letzten Jahr. Doch als ich das Manuskript Anfang diesen Jahres mit meiner verehrten Lektorin durchgearbeitet habe, ist mir plötzlich aufgefallen, wie gespenstisch das ist: Ein archaischer Schrecken, die Menschen werden panisch, suchen Schuldige, bald herrscht Ausnahmezustand... Es muss kein zentnerschwerer Wolf sein, so etwas schafft auch ein winziges Virus.

P.P.S.: Hier gibt es noch ein Interview zum Thema: