Donnerstag, 16. Mai 2019

Ein letzter Sommer in Méjean


Gibt es einen grausameren Tod als den mit achtzehn Jahren – genau dann, wenn man schon vom Leben geschmeckt, das Leben aber eigentlich noch nicht richtig begonnen hat? Gibt es einen grausameren Schauplatz für einen Mord als eine stille Bucht am Mittelmeer – wo doch Ozean, Fels und Licht die Ewigkeit versprechen? Genau dieses grausame Schicksal ereilt den gerade erwachsen gewordenen Michael Schiller in einer Sommernacht des Jahres 1984: Er wird in einer dunklen Bucht des entlegenen provenzalischen Fischerdorfes Méjean erschlagen.



Niemand weiß, wer den deutschen Abiturienten, der an der Côte Bleue mit fünf Freunden Urlaub macht, getötet hat. Einer der Freunde? Einer der wenigen Dorfbewohner? Niemand kennt auch nur ein mögliches Motiv für so eine unfassbare Tat.
Dreißig Jahre lang.



Doch eines Sommertages hält jeder der alten Schulfreunde von einst einen anonymen Erpresserbrief in Händen: Alle müssen nach Méjean zurückkehren, dann wird man Michaels Mörder endlich enttarnen...
Auch beim schwer kranken Commissaire Renard in Marseille geht eine anonyme Anzeige ein. Also macht er sich auf, in einem mörderisch heißen Sommer an die Côte Bleue – wo er tatsächlich auf all die Opfer, Zeugen, Mitwisser eines dreißig Jahre zurückliegenden Verbrechens trifft. Und wo sich das namenlose Schreiben, das halb Versprechen, halb Drohung ist, tatsächlich erfüllt: Renard wird Michaels Mörder gegenüberstehen.
Michael Schiller und die zwei Jungen und drei Mädchen seiner Abiturclique sind erfunden, genauso wie der Fischer, der Patron und die Kellnerin des einzigen Restaurants, wie die alten Sommergäste und die verschlossene junge Taucherin an der Côte Bleue. Doch diesen schönen, schroffen, Kräfte zehrenden Ort Méjean habe ich kennengelernt, als ich kaum älter war als Michael Schiller.



Ich habe im „Orwell-Jahr“ 1984 Abitur gemacht. Nein, ich bin nie mit einer Clique direkt nach dem Abitur gen Süden gebraust und, nein, die tragischen jungen und dann dreißig Jahre älteren Helden hier sind deshalb auch keine schlecht getarnten Abziehbilder realer alter Klassenkameraden, sondern so fiktiv, wie dieser ganze Mordfall fiktiv ist.
Aber vielleicht hätte ich 1984 mit Freunden eine Abschiedsreise machen sollen... Nach dem Abitur, da studiert man, geht in die Lehre, jobbt, macht irgendwas, bloß die Schule, dieses behütete Reservat, besucht man nicht mehr. Es geht hinaus in die freie Wildbahn – wo die unendlichen Weiten von tausend Chancen warten. Und wo die Raubtiere lauern.
Jedenfalls lernt man neue Menschen kennen, neue Orte, manchmal sogar neue Länder, und man verliert die alten Freunde aus den Augen. Wenn man sich dann doch zufällig mal wiedersieht, sind Jahre verweht. Unweigerlich kommt sie dann, die ebenso unschuldige wie potenziell verheerende Frage: „Und, was machst du so?“
Was hat man gemacht aus seinem Leben?



Diese Frage stellt sich wohl jeder nach dreißig Jahren. Und diese Frage stellen sich, sehr viel dringlicher noch, die fünf Protagonisten des Romans im Angesicht des alten Mordes: Was hast du getan?
Für mich ist „Letzter Sommer in Méjean“, der am 17. Mai 2019 erscheint, Krimi und Kammerspiel, Mörderjagd und Psychodrama zugleich. Versetze Menschen an einen wundervollen Ort und sperr ihnen den Rückweg ab: schon verwandeln sie ihn in eine Hölle, denn die Hölle bereiten wir uns selbst. Wenn dich die Sonne mürbe brennt, wenn die Tiefen des Meeres tödliche Kälte verströmen, wenn das Sägen der Zikaden so im Kopf dröhnt, dass du keinen klaren Gedanken mehr fassen kannst.
Nach und nach kocht die Hitze all die Geheimnisse aus den Menschen heraus. Aus den fünf Freunden, die nur scheinbar perfekte Leben geführt haben. Aus den Dorfbewohnern, die dreißig Jahre lang diesen verlorenen Ort nicht verlassen haben. Bis all diese verdrängten Geschichten, wenn die Hitze unerträglich geworden ist, wie eine Bombe explodiert.



Letzter Sommer in Méjean“ ist trotz allem, natürlich, eine Hommage an meine Generation und an genau diesen Ort. Es würde mich freuen, wenn Sie mein Staunen und meine Begeisterung, meine Sympathie und meinen gelegentlichen Schrecken für diese Menschen und diesen Flecken Erde mit mir teilten.


P.S.: Capitaine Roger Blanc hat übrigens ganz und gar keine Auszeit genommen: Am 16. September 2019 erscheint sein sechster Fall: „Verhängnisvolles Calès“. Er folgt dort den Spuren eines sehr alten Toten und einer sehr jungen Entführten – während die Provence in Kälte und Weihnachten versinkt.