Donnerstag, 30. März 2017

Rosmarin im provenzalischen Garten

Ein Rosmarin wächst bei uns im Garten. Der Strauch hat sich mehr oder weniger selbst bei uns zum Dauergast gemacht, vielleicht haben ihn seine Kollegen wegen Überfüllung aus dem nahen Wald gekickt – das zähe Zeug wuchert nämlich überall. Inzwischen ist unser Gartengenosse fast schon zwei Meter hoch und genauso ausladend. Im Moment geht in seinem würzig duftenden Gesträuch die Party ab: Bienen, Hummeln, Wespen und irgendwelche daumennagelgroßen schwarzen Brummer undefinierbarer Abkunft balgen sich summend und tanzend um die tausend Blüten.
Dabei müssten sie sich gar keinen Stress machen, die Auswahl wird nämlich Tag für Tag größer.



Frühling in der Provence, das bedeutet: Du gehst an einem Tag durch die Landschaft und freust dich mal wieder, dass der Winter so mild ist. Der Himmel ist blau, die Sonne scheint sanft und auf Wald und Wiese ist nichts los.
Und am nächsten Tag ist alles bunt.
Unfassbar, gerade noch war da nichts, auf einmal sind die Baumkronen grün. Kirschen und Pfirsiche und Aprikosen blühen weiß und rosa und rot und violett und überhaupt so verrückt, dass man das lieber nicht malen will, aus Angst, für einen Kitschkünstler gehalten zu werden. Die Iris stülpt sich lila aus dem Boden, Fenchel und Ginster blühen bald, an den Zypressen hängen die Früchte und auf den Wiesen in feuchteren Niederungen stehen eine Millionen Gänseblümchen stramm.



Das ist der März und das wird – mit Oleander und Distel, Kerbel und Thymian, Mohn und, klar doch, Lavendel (und noch vielen anderen Pflanzen) – in allen Farben, Größen und Duftnoten so weiterwuchern bis zum November.
Erst wenn man diese Frühjahrsexplosion ein paar Mal erlebt hat, schärfen sich die Sinne. Erst dann lässt man sich weniger leicht überwältigen von der schieren Pracht, die scheinbar über Nacht erblüht. Denn tatsächlich beginnt der Frühling hier im Februar und zur Hölle mit dem Frühlingsanfang am 20. März.


Da leuchtet zum Beispiel der Mandelbaum schon sehr früh in zartestem Rosa. Ursprünglich wuchsen mal Tausende Bäume in der Provence. Irgendwann hat es sich wirtschaftlich nicht mehr gelohnt, die Nüsse zu ernten, die wunderschönen Bäume mussten gewinnorientierteren Pflanzen weichen. Erst seit wenigen Jahren erlebt die Mandel eine Renaissance. Aktivisten pflanzen ganze Wälder neu, etwa am Südrand der Alpilles, nahe bei Les Baux. (Du willst ein tolles Fotomotiv? Fünf, sechs, sieben Kilometer vor Les Baux im Februar – eine weite Senke, blühende Mandelbäume, im Hintergrund die schroffe, weißgraue Felsenklippe mit der archaischen Burgruine. Mal was anderes als der ewige Lavendel, der sowieso erst richtig im Juli oder August blüht.)
So richtig viele Bäume gibt es bei uns, ein paar Kilometer weiter südlich, noch nicht wieder, leider. Ein tapferer Mandelbaum immerhin aber steht zwischen versteckten Weinstöcken im Wald. Der Wein wird zum Winter hin kurz geschnitten, der Boden ist frei geharkt, das Ganze sieht schön holzig-braun und winterig aus. Ich jogge da öfter vorüber und denke mir nichts bei – bis plötzlich, mitten im tristen Wein, eine rosafarbene Wolke aufleuchtet. Der Mandelbaum steht ganz allein da und er blüht schon und es ist Februar und ich weiß, der Winter ist vorüber.



Ein anderer früher Frühlingsbote ist, genau, der Rosmarin. Im Gartenhandbuch steht, Rosmarin würde „ganzjährig blühen“. Hm. Unser Kumpel fängt im Februar damit an. Ros marinus haben ihn die Alten genannt, „Meertau“. Im Lexikon liest man dazu, das kommt, weil er rund um das Mittelmeer wächst und weil sich in seinem feinem Gehölz morgens der Tau fängt.
Der eine oder andere Eingeborene hier sagt, dass der Name „Meertau“ eigentlich aus dem Mittelalter stammt und das der „Tau“ eigentlich „taufrisch“ bedeuten soll und dass damit eigentlich gemeint ist, dass man ewig jung bleibt, wenn man nur genug Rosmarin isst. (Er zählt in der Tat zu den „Kräutern der Provence“, aber, hey, riesige Mengen würde ich davon nicht auf einmal vertilgen. Muss aber jeder selbst für sich herausschmecken.)

Wie auch immer: Auch der Rosmarin blüht im Februar. Und er duftet wie irre. Und er wimmelt von emsigem Insektenleben. Und der Frühling ist da und das Jahr wird schön.