Ein
Rosmarin wächst bei uns im Garten. Der Strauch hat sich mehr oder
weniger selbst bei uns zum Dauergast gemacht, vielleicht haben ihn
seine Kollegen wegen Überfüllung aus dem nahen Wald gekickt – das
zähe Zeug wuchert nämlich überall. Inzwischen ist unser
Gartengenosse fast schon zwei Meter hoch und genauso ausladend. Im
Moment geht in seinem würzig duftenden Gesträuch die Party ab:
Bienen, Hummeln, Wespen und irgendwelche daumennagelgroßen schwarzen
Brummer undefinierbarer Abkunft balgen sich summend und tanzend um
die tausend Blüten.
Dabei
müssten sie sich gar keinen Stress machen, die Auswahl wird nämlich
Tag für Tag größer.
Frühling
in der Provence, das bedeutet: Du gehst an einem Tag durch die
Landschaft und freust dich mal wieder, dass der Winter so mild ist.
Der Himmel ist blau, die Sonne scheint sanft und auf Wald und Wiese
ist nichts los.
Und
am nächsten Tag ist alles bunt.
Unfassbar,
gerade noch war da nichts, auf einmal sind die Baumkronen grün.
Kirschen und Pfirsiche und Aprikosen blühen weiß und rosa und rot
und violett und überhaupt so verrückt, dass man das lieber nicht
malen will, aus Angst, für einen Kitschkünstler gehalten zu werden.
Die Iris stülpt sich lila aus dem Boden, Fenchel und Ginster blühen
bald, an den Zypressen hängen die Früchte und auf den Wiesen in
feuchteren Niederungen stehen eine Millionen Gänseblümchen stramm.
Das
ist der März und das wird – mit Oleander und Distel, Kerbel und
Thymian, Mohn und, klar doch, Lavendel (und noch vielen anderen
Pflanzen) – in allen Farben, Größen und Duftnoten so
weiterwuchern bis zum November.
Erst
wenn man diese Frühjahrsexplosion ein paar Mal erlebt hat, schärfen
sich die Sinne. Erst dann lässt man sich weniger leicht überwältigen
von der schieren Pracht, die scheinbar über Nacht erblüht. Denn
tatsächlich beginnt der Frühling hier im Februar und zur Hölle mit
dem Frühlingsanfang am 20. März.
Da
leuchtet zum Beispiel der Mandelbaum schon sehr früh in zartestem
Rosa. Ursprünglich wuchsen mal Tausende Bäume in der Provence.
Irgendwann hat es sich wirtschaftlich nicht mehr gelohnt, die Nüsse
zu ernten, die wunderschönen Bäume mussten gewinnorientierteren
Pflanzen weichen. Erst seit wenigen Jahren erlebt die Mandel eine
Renaissance. Aktivisten pflanzen ganze Wälder neu, etwa am Südrand
der Alpilles, nahe bei Les Baux. (Du willst ein tolles Fotomotiv?
Fünf, sechs, sieben Kilometer vor Les Baux im Februar – eine weite
Senke, blühende Mandelbäume, im Hintergrund die schroffe, weißgraue
Felsenklippe mit der archaischen Burgruine. Mal was anderes als der
ewige Lavendel, der sowieso erst richtig im Juli oder August blüht.)
So
richtig viele Bäume gibt es bei uns, ein paar Kilometer weiter südlich, noch nicht wieder, leider. Ein
tapferer Mandelbaum immerhin aber steht zwischen versteckten Weinstöcken im
Wald. Der Wein wird zum Winter hin kurz geschnitten, der Boden ist
frei geharkt, das Ganze sieht schön holzig-braun und winterig aus. Ich jogge da
öfter vorüber und denke mir nichts bei – bis plötzlich, mitten
im tristen Wein, eine rosafarbene Wolke aufleuchtet. Der Mandelbaum
steht ganz allein da und er blüht schon und es ist Februar und ich
weiß, der Winter ist vorüber.
Ein
anderer früher Frühlingsbote ist, genau, der Rosmarin. Im
Gartenhandbuch steht, Rosmarin würde „ganzjährig blühen“. Hm.
Unser Kumpel fängt im Februar damit an. Ros
marinus
haben ihn die Alten genannt, „Meertau“. Im Lexikon liest man
dazu, das kommt, weil er rund um das Mittelmeer wächst und weil sich
in seinem feinem Gehölz morgens der Tau fängt.
Der
eine oder andere Eingeborene hier sagt, dass der Name „Meertau“
eigentlich aus dem Mittelalter stammt und das der „Tau“
eigentlich „taufrisch“ bedeuten soll und dass damit eigentlich
gemeint ist, dass man ewig jung bleibt, wenn man nur genug Rosmarin
isst. (Er zählt in der Tat zu den „Kräutern der Provence“,
aber, hey, riesige Mengen würde ich davon nicht auf einmal
vertilgen. Muss aber jeder selbst für sich herausschmecken.)
Wie
auch immer: Auch der Rosmarin blüht im Februar. Und er duftet wie
irre. Und er wimmelt von emsigem Insektenleben. Und der Frühling ist
da und das Jahr wird schön.
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