Olympia
in Paris ist super, Olympia in der Provence ist aber auch nicht ganz
schlecht. Wir haben zwar keinen Riesenhai in der Seine, dafür jedoch
die allerbesten Segler und Surferinnen, die sich an einer der
schönsten Küsten der Welt Trafalgar-epische Regatten liefern. Ich
hatte übrigens schon mal zur Zeiten erster Olympia-Vorbereitungen
erwähnt, dass kleine Rennboote große Immobilienpreise auslösen
können (https://provencebriefe.blogspot.com/2017/09/inder-gefahrlichen-c-o-tebleue-gibt-es.html). Trotz Putin, Pest und Cholera ist es auch
so gekommen, und Hausverkäufer und AirBnB-Vermieter freuen sich,
aber wer von uns ist das schon?
Wir
haben in Marseille auch ein wundervolles Stadion. Und es war mir
lange nicht bewusst, tja, dass da ja auch olympische Fußballspiele
ausgetragen werden. Also hat sich der provenzalische Teil der Familie
gesagt: Segeln, Fußball vor der Haustür, irgendwie müssen wir bei
Olympia dabei sein.
Segeln:
Wir klettern auf einen steilen Felsen in den Calanques der Côte
Bleue hinauf, bis wir einen freien Blick auf Marseille in weiter
Ferne haben, auf das Graf-von-Monte-Christo-mäßig berühmte Château
d’If und die steinigen Inseln von Frioul.
„Da!“
ruft meine Frau und zeigt mit ausgestrecktem Arm ins Große Blau.
Tatsächlich
kreuzen einige weiße Dreiecke auf der azurnen Scheibe herum. Aber
auch mit einem Fernglas als Zwicker kann ich nicht so wahnsinnig viel
mehr erkennen. Das sind doch Segelboote wie du und ich, und wenn die
da herumschippern dürfen, dann kann das kein abgesperrtes Seegebiet
sein. Ergo: Nix Regatta.
Ein
paar Tage später bin ich mit unserer Jüngsten auf den Terrasses du
Port in Marseille.
„Da!“,
ruft meine Tochter und zeigt mit ausgestrecktem Arm ins Große Blau.
Tja,
jetzt hätte ich mal mein Fernglas nach Marseille mitnehmen sollen…
Macht nichts, diesmal ist es wirklich ein Treffer, nein es sind
gleich zwei: Links, am Château d’If, rennt eine Meute Surfer um
die Wette. Rechts, bei den Inseln von Frioul, sind es die 49er
Rennjollen. Ahoi, ich bin Zeuge von Olympia-Regatten!
Man
kann zwar nicht viel sehen, zum Beispiel schon gar nicht, wer
eigentlich gewinnt. Unsere Tochter lässt die Live-Übertragung auf
ihrem Handy laufen, und da verfolgen wir auf dem kleinen Monitor, was
wir im großen Panorama nicht so richtig mitkriegen. Aber, hey,
selbst auf den superklaren Drohnen- und Beiboot-Aufnahmen des
Fernsehens erkennt doch kein Laie, wer gerade führt und warum. Da
helfen auch ein paar digital eingeblendete Linien wenig, seien wir
ehrlich (obwohl ich selbst extrem entspannter Hobby-Segler bin):
Segeln hat was von Dressurreiten – du musst es schon selbst machen,
um zu kapieren, was da gerade abgeht. Alle anderen stehen da wie der
Ochs vorm Berg. (Muss man das heutzutage gendern? Die Ochs*in vorm
Berg?)
Trotzdem
können meine Tochter und ich angeben: Wir sind bei Olympia dabei,
und sei es in zwei Seemeilen Entfernung und an Bord eines
Einkaufszentrums am Hafen von Marseille.
Fußball:
Olympique Marseille ist die eigentliche Religion im Süden und das
Vélodrome ist ihr Tempel, habe ich vor beinahe zehn Jahren schon mal
hier verkündet. (Ja, uups, wie die Zeit vergeht. Ich bin zwar bloß
ein mittelfleißiger, aber immerhin ausdauernder
Provencebriefe-Schreiber. Und hier an dieser Stelle einen
Sonderapplaus für Sie, die und der Sie mir seit
was-weiß-ich-wievielen-Jahren gewogen sind. https://provencebriefe.blogspot.com/2014/11/dieanhanger-von-olympique-de-marseille.html)
Also,
aus irgendwelchen bescheuerten Marketinggründen darf das in
Marseille weltberühmte Vélodrome für die Olympiade nicht so
heißen, sondern ist kurzerhand in „Stade de Marseille“ umgetauft
worden, putain. Na, macht nichts. Wir laden die App und kaufen
darüber zwei Tickets für ein Vorrundenspiel: Frankreich gegen die
Fußballgroßmacht Neuseeland.
Ich
schocke unsere Jüngste, als ich sage, dass seit einer Trekkingtour
anno 1988 Neuseeland mein eigentlich absolutes Lieblingsland ist und
ich eventuell also für die Gäste… Dann schocke ich sie noch mehr,
als ich sage, ich habe nur noch Tickets im Gästeblock kaufen können.
(„War ein Scherz!“)
Das
Spiel ist für 19 Uhr angesetzt, zwei Stunden vorher füllt sich das
Stadion. 35 Grad, ein Himmel wie blaues Glas und die Wolken haben
sich zu hundert Prozent nach Paris verzogen, wo sie auf den Tag der
Abschlusszeremonie und also ihren zweiten großen Auftritt warten.
Geschätzt zwei Drittel der Plätze sind verkauft, aber, hey, ein
Olympia-Vorrunden-Spiel an einem Dienstagabend und 40 000 Leute im
Vélodrome, das hat man auch nicht alle Tage.
Neben
den üblichen hartgesottenen Ultras ist das hier so etwas wie ein
Familienfest: Mutter, Vater, kleine Kinder. Eine Freundesclique.
Kichernde junge und nicht mehr ganz so junge Mädchen, geschminkt wie
für den Barbesuch. Apropos Bar: Einige Herrschaften umgehen
wortwörtlich das stadioninterne Alkoholverbot, indem sie sich
einfach schon vor dem Stadion die Kanne gegeben haben und mit
entsprechender Schlagseite auf die Tribünen segeln. (Auch eine Art
Regatta: Findet dieser Kapitän Blau-, nun ja, -bart noch in den
Hafen?) Engagierter sind die Menschen, die sich Perücken, Baskenmützen, Plastikhähne in
den Farben der Trikolore auf den Kopf gepflanzt haben und mit
aufblasbaren Baguettes gegeneinander schlagen.
Ich
habe mir gedacht: Wenn schon, dann musst auch du Flagge zeigen, und
komme im Trikot vom FC Köln. Das ist ein ziemlicher Erfolg,
französisches Nationaltrikot oder Olympique Marseille oder Barcelona
trägt gefühlt jeder Zweite (unsere Tochter selbstverständlich im
Trikot von OM). Aber Kölle? Erstaunte Blicke: Putain, der Typ
trägt einen springenden Ziegenbock auf der Brust, wo haben sie den
denn freigelassen? Ich fühle mich stolz und Vélodrome-einmalig –
bis ich ein paar Reihen vor mir einen Typen in einem alten HSV-Trikot
ausmache. Zweimal zweite Liga in Marseille, hat man auch nicht alle
Tage.
Das
Spiel ist dann eigentlich wie jedes Spiel im Vélodrome. Als der
Stadionsprecher kurz vor Anpfiff das Publikum zum Schreien
auffordert, erreicht der Messwert auf der Anzeigentafel 130 Dezibel.
(Ob das man nicht gefälscht ist? Andererseits: Ich verstehe schon
nix mehr.) Dann Jubel, Trubel, Heiterkeit, La-Ola, Gesänge der
Ultras von Nord- zu Südkurve und zurück. Vor uns sitzt ein
geschätzt vierjähriger Zidane und sieht das Spiel seines Lebens.
Auf
den Betonstufen der Treppen hocken ein paar Kerle und rauchen Kame,
bald wabern überall süßliche Dämpfe durch die Runde, und es ist
nicht mehr allein die Hitze, die dich zwischen zwei La-Ola-Wellen
friedlich stimmt. (Es gibt im Stadion auch ein generelles Rauchverbot
und geschätzt tausend Ordner, aber, hey, wir sind in Marseille,
Cannabis ist hier ein Grundnahrungsmittel.)
Ach
ja, das Ergebnis: 3 : 0 für Frankreich. Entgegen den
Befürchtungen unserer Tochter waren nur ungefähr zehn
neuseeländische Fans im Stadion (und tatsächlich in unserem Block),
mit All-Black-Trikots und übergroßen Flaggen, doch selbst die waren
happy.
Nettes
Spiel, nette Olympiade, darf gerne so weitergehen.