Mittwoch, 6. März 2024

Cote Bleue im Sturm

Neulich hat das Mittelmeer mal Atlantik gespielt, und das war schon schön. Den Szenenwechsel hatten wir dem Südwind zu verdanken. Wind aus Süden, das bedeutet eine Ahnung von Afrika, schön warm, und manchmal trägt er sogar Saharasand zu uns, bis die Luft im gelbraunem Staub diesig schimmert. Meistens aber saugen sich die fröhlichen Böen über dem Meer mit Wasser voll und laden das dann an Land über unseren Köpfen wieder ab.





So war es auch vor ein paar Tagen – nur ausnahmsweise mit Windstärke acht oder neun, keine Ahnung wieviel, jedenfalls habe ich ordentlich was auf die Mütze bekommen. Wir sind mal wieder an der Côte Bleue gewandert, und da sagt unsere Tochter: „Das sieht aus wie England.“





Und tatsächlich fühlte es sich an wie Broadchurch mit Pinien. (One of my favorite tv series, especially seasons one and two.) Die Küste ist steil und felsig, fällt aus zwanzig, dreißig Metern nahezu lotrecht ins Wasser, dahinter das große Blau.

Well, diesmal das große Grau.

Der Himmel ist von Horizont zu Horizont fahlgrau, darin dunkelgraue, weiße, silbrige Wolkenstreifen und Wolkenfetzen. Das Mittelmeer hat die Farbe von Schiefer angenommen, geriffelt von zahllosen hellen Schaumkronen, in Landnähe leuchtet es türkis. Der Wind treibt die Wellen gegen die Küste, wo sie sich zu Brechern aufbäumen, bevor sie in haushohen Gischtwänden an den Felsen zerstieben. Du hörst ihr dumpf grollendes Branden, lange bevor du das Meer siehst. Ist mir hier noch nie zuvor passiert.





Am Horizont halten eine Fähre nach Algerien und ein Frachtschiff – wie es aussieht: reichlich unbeeindruckt – stur Kurs gen Süden. Der Leuchtturm von Planier blinkt tagsüber nicht (zumindest kann ich keine Leuchtzeichen ausmachen) und steht bloß als brauner Bleistiftstummel vor dem fernen Himmel. Feinste Tropfen wirbeln von den Brechern hoch zum Küstenweg, es duftet nach Meer, und auf den Lippen liegt der Geschmack von Salz. Möwen segeln auf gezackten, ruckartig die Höhe wechselnden Kursen durch die Böen. Du folgst mit den Augen ihrem Flug, und ganz plötzlich sind sie weg, als hätte sie der Sturm oder das Meer verschluckt.





Wir erreichen die Calanque des Anthénors, eine winzige Bucht, kaum mehr als eine Kerbe in der Steilküste. Am Meeressaum ein paar Handbreit Kieselstrand, die Steine über Äonen vom Wasser glattgeschliffen. Drumherum zernarbte sandfarbene und graue Felsen. Und ganz allein, hart diesseits der auslaufenden Wellen auf dem Boden sitzend, eine junge Frau, Muslima, Kopftuch, ihr Körper umhüllt von einem langen, modischen Wintermantel, den sie sich gegen die Böen eng um den Leib geschlungen hat. Aus dem Maghreb, denke ich, vielleicht hat sie das Mittelmeer, ihr Mittelmeer, noch nie so entfesselt gesehen. Sie bemerkt uns nicht, sie hört uns nicht (die Brecher…), sie blickt bloß unverwandt aufs Meer hinaus, hält ihr schönes Gesicht in diesen salzigen Wind.

Auf ihren Zügen spiegelt sich das pure Glück.




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