Donnerstag, 16. November 2023

Skorpione, Geckos und andere Hausbewohner

Vor, jetzt müssen wir alle mal ganz tapfer sein, tatsächlich schon beinahe zehn Jahren ist der erste Krimi um Capitaine Roger Blanc erschienen. Dort gibt es eine Einstiegsszene, die ich heute nicht mehr schreiben würde. Das hat nichts mit woken Sensitivity Readern zu tun (deren Tun ich mit großer Begeisterung verachte), sondern mit … Insekten. Genauer: einem Insekt.

Einem schwarzen Skorpion.





Der Einstieg geht nämlich folgendermaßen: Blanc wird gegen seinen Willen in die Provence versetzt, in seinem Frust kickt er einen Stein fort – und scheucht damit einen Skorpion auf. (mehr dazu hier: https://provencebriefe.blogspot.com/2014/05/esmag-vielleicht-etwas-seltsam.html) Tatsächlich war es früher hier genau so. Du hast irgendwo irgendeinen beliebigen Stein angehoben, und schon hob Euscorpius flavicaudis seinen vorwitzigen Stachel und zwei vorwitzige Scheren. Sie waren auch gerne im Haus unterwegs, alte Steinwände und undichte Fenster, hey! Das war nicht lebensgefährlich, sondern alltäglich. Mich hat einmal so ein zwei Zentimeter kurzer Genosse in den Finger gestochen, das fühlte sich an wie eine Kombination aus Wespenstich und Stromschlag. Ein echter Wachmacher, aber nach ein paar Minuten hast du die Sache schon wieder verdaut. (D'accord, wer allergisch reagiert, findet sich vermutlich in der Notaufnahme wieder, aber das gilt leider ja auch für die Wirkung mitteleuropäischer Feld-, Wald- und Wieseninsekten.)

Doch dieses Jahr habe ich noch keinen einzigen Skorpion gesehen. Letztes Jahr auch nicht. Und vorletztes Jahr, glaube ich, auch nicht. Das Foto oben habe ich vor sechs Jahren gemacht...

Wo sind die Biester bloß alle hin? Skorpione, meinte ich irgendwo mal gelesen zu haben, sind neben Ratten die Tiere gewesen, die auf den Pazifikinseln überlebt haben, auf denen testweise Atombomben gezündet worden waren. Zähe Kerle jedenfalls, gedeihen in Wüsten, Regenwäldern, Höhlen und halten es in manchen Weltgegenden auch noch in fünftausend Metern Höhe aus. Wir versprühen im und um das Haus kein Gift, die Bepflanzung hat sich nicht großartig verändert, von irgendwelchen neuen Raubtieren habe ich auch nichts gehört. Aber die Skorpione sind fort.

Wenn man erst einmal darüber nachdenkt, fallen einem dann gleich ein paar andere Tiere ein, die von der mediterranen Bühne auf- oder abtreten. Früher flitzten viele Eidechsen über Wände und Mauern und nur sehr wenige Geckos. Heute sind es ausschließlich (und viele) Geckos. Nicht, dass ich etwas gegen Geckos hätte, im Gegenteil. Die flinken Minisaurier (Die Freundin unseres Sohnes taufte einen „Fridolin“) sind großartig, vor allem im Haus. Ein Gecko im Zimmer, und du hast Ruhe vor Fliegen und Mücken. Ein Gecko in der Küchenspüle, und du musst ganz schön flink sein, um ihn aus dieser Falle wieder zu befreien. Aber was ist aus den ebenfalls insektenvertilgenden und ebenfalls schnellen Eidechsen geworden? (Das ist mir aufgefallen, als ich beim Joggen im Wald eine Eidechse aufgescheucht habe. Da wurde mir klar, dass ich dieses Jahr zuvor bislang noch gar keine … genau.)





Oder das: Meine Liebste und ich sitzen im Spätsommer auf der Terrasse und trinken Espresso. Da bewegt sich etwas auf der Stuhllehne gegenüber – auf den Eisenbögen stolziert eine wirklich stolze, wirklich große Gottesanbeterin herum. Die habe ich als Kind anno Dunnemals mal in irgendwelchen Tierfilmen gesehen. Doch live in der Provence? Vermutlich leben die hier seit Jahrmillionen, aber zumindest in den letzten Jahrzehnten haben sie sich gut vor mir versteckt.

Jetzt jedoch kommen Gottesanbeterinnen zum Kaffeeklatsch.





D'accord, nun reden wir alle wieder über den Klimawandel. Und die Provence wird ja auch immer heißer (siehe hier: https://provencebriefe.blogspot.com/2021/02/mimose-bluht-der-fruhling-kommt-zu-fruh.html). Aber, verdammt, Skorpione lieben doch gerade Hitze und Trockenheit! Und Eidechsen sind sicher keine Polarbären! Und Gottesanbeterinnen verspeisen Insekten, nicht wahr? Aber gibt es von Beutetieren plötzlich so viel mehr, dass sie jetzt überall jagen? Oder so viel weniger, dass sie sich aus früheren Verstecken hinaus und bis auf unsere Stuhllehne wagen müssen?

Vielleicht bin ich ja zu blöd das zu googeln, doch ich finde keine wissenschaftliche These, etwa zum Verschwinden der Skorpione. Liegt es also an mir? Bilde ich mir das alles bloß ein, weil die Skorpione irgendwo eine Rave-Party feiern und ich habe das als einziger nicht mitgekriegt? Für jeden sachdienlichen Hinweis wäre ich dankbar. Bis dahin kicke ich hin und wieder Steine weg und hoffe, endlich einen alten Bekannten zu treffen.