Für
Capitaine Roger Blanc könnte der Herbst in der Provence schöner
sein als ein Sommer in Paris: Die, wortwörtlich, mörderische Hitze
weicht mildem Septemberlicht und gnädigen Temperaturen. Die endlosen
Ferien haben doch ein Ende, der Touristenstrom dünnt aus,
die Abendsonne glänzt honiggolden, T-Shirt-Wetter legt sich auf den
Midi, die Frauen sind wunderschön und vielleicht ist das Leben doch
perfekt.
Eigentlich
schade, dass ausgerechnet dann ein Flugzeug vom Himmel stürzt.
Blanc
wird in seinem neuen – dem dritten – Kriminalfall mitten in der
Nacht in einen Olivenhain gerufen, unter den Mauern der wuchtigen,
düsteren Burg von Lançon.
Eine kleine Propellermaschine ist in Flammen aufgegangen, und der
tote Pilot ist nicht irgendwer: Zwischen Lançon und
Salon-de-Provence erstreckt sich, auch im echten Leben, die Base
Aérienne 701. Dort werden die zukünftigen Kampfpiloten Frankreichs
ausgebildet – und Frankreich ist ein Land im Krieg, dessen
Luftwaffe dringend neue Piloten braucht. Es ist einer dieser jungen
Pilotenschüler, der, am allerletzten Tag seiner Ausbildung und bei
perfekten Bedingungen, zwischen den Bäumen aufgeschlagen ist,
beinahe schon in Sichtweite seiner Basis.
Bloß
kein Selbstmord! Der Absturz des Germanwings-Airbus in den See-Alpen,
praktisch vor der Haustür der Provence, hat die Menschen hier tief
schockiert. Die Offiziere der Base Aérienne wollen um jeden Preis
verhindern, dass man darüber spekuliert, ob nun auch einer ihrer
Piloten geistig so labil ist, dass er sehenden Auges in den Boden
gerast ist. Aber wenn es kein Selbstmord sein darf und das Flugzeug
technisch in Ordnung war und der Pilot praktisch fertig ausgebildet
war und das Wetter schön war – was, putain,
war dann die Ursache für den Absturz?
Blanc
sowie seine Kollegen Fabienne und Marius ermitteln. Ziemlich rasch
erfahren sie, dass es mehr als eine Technik gibt, um ein Flugzeug vom
Himmel zu holen. Und dass es mehr als einen Provenzalen gibt, der ein
sehr, sehr gutes Motiv hätte, genau dieses Flugzeug vom Himmel zu
holen.
Dann
geschieht ein zweiter Mord in Lançon. Das Opfer ist ein aus Algerien
stammender Landarbeiter, der schon seit Ewigkeiten für den
cholerischen Burgbesitzer des Städtchens schuftet – und der exakt
in jenem Olivenhain erstochen wurde, in dem auch das Flugzeug
aufgeschlagen ist...
Kriege
und Katastrophen, das ist nicht wirklich überraschend, machen keinen
höflichen Umweg um die Provence, bloß, weil sie so idyllisch ist.
In der Schönheit lauert der Tod, und warum sollte das im Midi anders
sein? Capitaine Blanc ist gegen seinen Willen von Paris in die
Provinz versetzt worden. Und er hat befürchtet, dass dort niemals
etwas Wichtiges geschieht. Was für ein Irrtum: Plötzlich ist das
ganze Land vielleicht im Krieg und ganz sicher im Ausnahmezustand und
der Terror kommt auch in die Provence.
Man
kann das als Autor hier schlecht ignorieren: Vor den Schulen unserer
Kinder sind Sicherheitszonen eingerichtet worden. (Ein islamistischer
Attentäter hat im Süden ja auch gezielt Kinder niedergeschossen.)
Schwer bewaffnete Soldaten und Polizisten patrouillieren durch
Flughäfen und Bahnhöfe. Und als wir zur Weihnachtsmesse gingen,
standen Polizisten mit einem Kampfhund vor dem Portal Wache, um das
Gotteshaus vor Anschlägen zu schützen – nicht in Algier, sondern
in Salon-de-Provence.
Auf
den Terror des IS reagiert die Regierung mit dem Ausnahmezustand. Man
möchte gar nicht wissen – nee, nee: eigentlich möchte man es ganz
genau wissen, darf aber nicht -, was dem Geheimdienst DGSI jetzt
alles so erlaubt ist, was die Agenten tun, was sie planen...
Und
auf den Terror des IS reagiert manch gemeiner Franzose mit dem
Wahlzettel – in vielen Gemeinden erreicht der Front National
inzwischen locker die fünfzig Prozent und mehr. Will heißen: Alle
anderen Parteien ZUSAMMEN haben weniger Stimmen als der Verein von
Marine LePen.
Mais
oui.
Gefällt das Roger Blanc? Mais
non.
Also ermittelt er sich die Nase blutig und das Herz wund (Eine
geheimnisvolle Untersuchungsrichterin lässt ihn nicht los und deren
mächtiger Gatte läst ihn, auf ganz andere Art, ebenfalls nicht vom
Haken.) und die Fiktion ist gar nicht so weit entfernt von der
Realität. Blanc schnüffelt im Olivenhain und in der Burg von Lançon
herum, die beide sehr real sind – jeder geneigte Reisende kann sich
diese und andere Orte des Krimis (von außen) ansehen. Blanc
schnüffelt einer verwirrten Frau hinterher, die nachts durch die
Wälder zieht und als „Hexe“ verschrien ist und auch das ist
höchst real. Blanc schnüffelt auf der realen Base Aérienne herum –
die im Roman geschilderte „Taufe“ der Piloten ist ebenso echt
wie, nun ja, das Verbot, zum Aperitif Flugmanöver abzuhalten.
Mais
oui:
Die angehenden Kampfpiloten Frankreichs dürfen im Fall der Fälle
Atombomben abwerfen, aber sie dürfen nicht zu jener Stunde über die
Köpfe der Nachbarn brummen, während der die halbe Provence einen
Pastis schlürft. Anisschnaps schlägt Atombombe, das ist
französische Lebensart. Sehr real sind die Schläger, die auf
(nord-)afrikanische Landarbeiter Jagd machen, die hämischen
SMS-Nachrichten, die sie sich nach der Tat schicken, stammen direkt
aus einer sehr realen Ermittlung. Und, das ist nun wahrhaftig keine
Überraschung, sehr real ist die Gewalt, ist die ständige Bedrohung,
ist auch der für junge Menschen faszinierende Sog, den islamistische
Radikale Tag für Tag ausüben.
Kurz:
Es ist etwas faul in der Provence. Capitaine Blanc muss sich Dämonen
stellen, um seine Wahlheimat zu retten.
Hoffen
wir, dass es ihm gelingt.
P.S.: Für die geneigte Leserin, für den geneigten Leser - hier gibt es weitere Informationen zum dritten Fall des Capitaine Roger Blanc: