Montag, 15. Mai 2023

Stille Sainte-Victoire, Roger Blancs zehnter Fall

Was hat die Provence berühmt gemacht? Lavendel? Oliven? Rosé? Eh bien, es sind die, genau, Dinosaurier. Es war nämlich vor langer, langer Zeit, da war der Midi der Jurassic Park von dem, was mal der Kontinent Europa werden sollte. Das wussten Sie nicht? Das wusste Capitaine Roger Blanc auch nicht. Aber jetzt, in seinem zehnten Fall, lernt er es und ist ziemlich erstaunt darüber. Sie können, wenn Sie Blanc & Co. gewogen sind, diese Ermittlungen vom 17. Mai an verfolgen.





Die Geschichte geht so: Die Sainte-Victoire ist der Hausberg Südfrankreichs. (siehe auch hier: https://provencebriefe.blogspot.com/2020/07/montagne-sainte-victoire-bei-aix-en.html) Die tausend Meter hohe Felswand liegt direkt hinter Aix-en-Provence und scheint sich jedesmal verwandelt zu haben, wenn man ihr nahekommt. Mal wirkt die Sainte-Victoire wie eine Pyramide, die aus der Garrigue wächst, mal wie eine gigantische steinerne Klinge, die eine hügelige Landschaft zerteilt, mal wie ein Alpengipfel, der sich hierhin verirrt hat und geblieben ist, weil es so schön ist. Zu jeder Jahreszeit, zu jeder Tageszeit, zu jeder Stunde, gefühlt zu jeder Minute ändert sich die Farbe des Felsens: grau, gelb, ocker, rosa, orange, blau, der Gipfel ist die größte Leinwand im Umkreis von mindestens hundert Kilometern. Kein Wunder, dass Paul Cézanne die letzten Jahre seines langen Lebens in Aix-en-Provence und Le Tholonet verbracht hat, um diesen Berg immer und immer wieder zu malen, er konnte sich nicht sattsehen, er konnte sich nicht sattmalen.




Als Capitaine Roger Blanc und seine Freunde und Kollegen zur Sainte-Victoire gerufen werden, geht es allerdings nicht um Cézanne, sondern um Staudämme und knappes Wasser (zu Wasser, Dämmen und dem Vater von Zola: https://provencebriefe.blogspot.com/2023/04/lac-zola-der-sainte-victoire-bei-aix-en.html), um anarchische Trekker und Gleitschirmpiloten, die um das Gipfelkreuz schwirren wie bunte Rieseninsekten und dabei zufällig Augenzeugen eines Verbrechens werden.






Und es geht eben auch und vor allem um Dinosaurier. Seit dem 19. Jahrhundert ist ausgerechnet die Sainte-Victoire, gemeinsam mit den benachbarten Regionen um das Städtchen Velaux und entlang des Baches Arc, ein Eldorado der Paläontologen. Das, was heute ein Postkartenberg ist, war vor einigen Dutzend Millionen Jahren nämlich ein Sumpf. Und in dem stapften, selbst der Laie ahnt es bei diesem Namen: gewaltige Titanosaurier herum, die vom furchterregenden Arcovenator gejagt wurden, das ist die Marseiller Ausgabe vom T-Rex. Dazu finden Knochenjäger auch, zum Beispiel, seltsame Flugsaurier, in Herden grasende Pflanzenfresser, Riesenkrokodile und so viele versteinerte Eier, dass man in der Provence das größte Saurieromelette der Geschichte braten könnte.

Capitaine Roger Blanc erfährt nur zu rasch, dass Paläontologen zwar seriöse Wissenschaftler sind, aber eben auch Gelehrte mit einem manchmal unguten Sportsgeist. Sie liefern sich einen Wettlauf: Wer hat den Größten, den Spektakulärsten, den Schönsten? Dinosaurier, natürlich. Wer eine neue Art findet, darf sie beschreiben und benennen und macht sich in Knochenjägerkreisen unsterblich. Und wer bereits bekannte Skelette freilegt, darf sie, das ist ganz legal, meistbietend verkaufen. Dabei kann so ein oller Dino schnell mal mehr einbringen als eine Ladung Kokain. Und wo es um Millionensummen geht, ist die Gier nicht weit, denn die menschliche Gier ist größer als der größte Titanosaurier. Und wo die Gier groß ist, fließt irgendwann Blut...


Alle diese Fossilienfundstellen liegen mitten in der Natur versteckt, im Schatten der Sainte-Victoire und doch nahezu unbekannt – allein schon, um Plünderer abzuhalten. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie Capitaine Roger Blanc in diese verborgene Welt der Knochenjäger folgen und dabei die Sainte-Victoire mit neuen Augen sehen, so malerisch wie der geniale Cézanne, aber eben doch ganz anders.






P.S.: Das ist Roger Blancs zehnter Fall und damit für uns alle so etwas wie ein kleines Jubiläum. Um das zu feiern, gehe ich auf eine bescheidene Tour – mehr dazu gibt es hier:

https://www.dumont-buchverlag.de/verlag/aktuelles/detail/cay-rademacher-auf-lesereise/

Zehn Fälle, das bedeutet für Roger Blanc, dass er jetzt zehn Monate in der Provence ist, denn jeder Fall findet im folgenden Monat statt. Für uns Nicht-Romanfiguren hingegegen sind mal eben zehn Jahre verweht. Was den nettten, wenn auch etwas irritierenden Effekt hat, dass unser Gendarm in zehn Monaten Provence die Ereignisse der letzten zehn Jahre miterlebt hat. Mir macht das immer noch viel Spaß, ich freue mich, sic Deus lo vult, schon auf die nächsten zehn Monate, die zehn Jahre werden...