Émile Zola ist ein Säulenheiliger der französischen Literatur, und gemeinsam mit seinem alten Kumpel Paul Cézanne formt er das Doppelgestirn von Aix-en-Provence, denn die beiden Großgenies sind ja, unter anderem, hier zur Schule getigert. Es ist aber sein Vater François Zola, dessen Werk jeder Besucher heute noch mit Augen, Ohren, Händen, sogar der Nase, wenn man aufmerksam genug schnuppert, bewundern kann. Ein Werk zudem, das mindestens so aktuell ist wie die Romane seines Filius, denn Zola Senior kümmerte sich ums Wasser, und das wird ja bekanntlich knapp.
Und so war das auch schon vor zweihundert Jahren, und das war DIE Chance für den Alten.
François Zola wird in Venedig geboren, ein ehemaliger Offizier, ausgebildeter Ingenieur, Doktor der Mathematik, ein Mann, der sich erst, aber das ahnt er da noch nicht, in der späten Blüte seiner Jahre in Aix-en-Provence niederlässt. Die Stadt ist weniger groß als heute und weniger malerisch, um es mal vorsichtig zu formulieren. 1835 und dann gleich noch mal 1837 bricht hier das große Sterben und das große Scheißen aus, denn die Cholera geht um. Der Erreger ist damals noch nicht bekannt, doch den Stadtvätern ist schon klar, dass – endlich – frisches, sauberes Wasser in den Ort fließen muss, damit das Elend sich nicht länger wiederholt. Aber wie?
François Zola hat die Idee: Stauen wir einen Bach im Vallée de Vauvernargues auf, einem Tal am Hang der Sainte-Victoire, des Hausbergs von Aix-en-Provence. Ein Stausee wäre ein großes, vor allem ganzjährig nutzbares Wasserreservoir. Über einen Kanal könnte man das kostbare Nass auch im trockenen Sommer bis nach Aix-en-Provence leiten.
Gesagt, getan und … eh bien, gesagt ja, getan nein, denn die französische Bürokratie hat im 19. Jahrhundert dasselbe Niveau wie im 21. Jahrhundert: Bedenken, Schlampereien, Verzögerungen, Schlafmützigkeit, Kompetenzgerangel, schiere Unfähigkeit. Es dauert (zum Glück für alle Beteiligten cholerafreie) zehn Jahre, bis, endlich, 1847 Zolas Grundstein gesetzt wird – und das darf man wörtlich nehmen.
Denn der Ingenieur plant einen gemauerten Staudamm, mehr als siebenunddreißig Meter hoch, oben noch sechs Meter breit. Um dem Druck der Wassermassen besser standhalten zu können, ist er zur Seeseite hin bogenförmig geschwungen. Es wird der größte Staudamm seiner Zeit und ein Prototyp aller modernen (allerdings aus Beton gefertigten) derartigen Barrieren.
Wie schade, dass Zola Senior das nicht mehr erlebt. Der Ingenieur, späte Blüte, tja, stirbt noch im ersten Jahr der Bauarbeiten an einer Lungenentzündung. Die Nachfolger werkeln nach seinen Plänen weiter, wenn auch der Umfang des Sees kleiner ausgeführt wird als vom Meister geplant. Am Ende werden zweieinhalb Millionen Kubikmeter Wasser aufgestaut und über einen Kanal beinahe acht Kilometer weit in die Stadt geleitet – wo das Wasser unter anderem aus dem prachtvollen, 1860 eingeweihten Brunnen an der Rotonde sprudelt, den Einheimische wie Touristen noch heute bewundern. (Und wo man das Wasser sehen und fühlen und rauschen hören und, ja doch, riechen kann, denn Süßwasser duftet.)
Zolas Kanal brachte bis in die 1970er-Jahre Wasser nach Aix. Dann wurde höher am Berg der deutlich größere Stausee von Bimont geschaffen. Heute ist der See an der Barrage Zola eher ein langgestreckter Tümpel, das Reservoir dient nun als Notaufnahmebecken für den Fall extremer Regenfälle, wenn die so heftig ausfallen sollten, dass der Lac de Bimont alleine die Wassermassen nicht mehr aufnehmen könnte.
Wer sich hierher verirrt – es sind recht wenige Wanderer -, steht in einem vergessenen Tal, auf dessen Grund der Rest-See cézannemäßig grün schimmert. Das Wasser selbst ist klar, doch wächst auf dem Boden irgendeine Pflanze, deren farbsatte Brillanz das ganze Gewässer tunkt. Der Staudamm ist von Zeiten und Feuchtigkeit geschwärzt, doch noch immer makellos gemauert. Wer darüber flaniert, wähnt sich beinahe auf dem Wall einer alten Burg, die durch irgendeinen magischen Trick ins Tal versenkt wurde. Und über den Hügeln leuchtet die graue Pyramide der Sainte-Victoire in jeder Tagesstunde irgendwie doch in einer anderen Farbe, und man versteht, warum Zola Juniors Jugendfreund Cézanne nach vielen Wanderjahren an diesen Ort zurückgekehrt ist.
Apropos Zola Junior: Émile Zola und seine verwitwete Mutter blieben nach dem unerwarteten Tod von François Zola erst einmal mittellos zurück. Frisches Wasser: ja. Frisches Geld: nein. Zum Glück konnte der Sohn ganz ordentlich schreiben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen