Dienstag, 12. Dezember 2023

Chapelle Saint-Sixt bei Eygalières

 Der Coverboy der Provence heißt Sixtus. Mit dem Satz wollte ich ja schon immer mal beginnen. Eigentlich ist die Sache selbstverständlicher zu kompliziert, um sie in bloß sechs Wörter zu fassen. Alors: Eine Kapelle, die dem Heiligen Sixtus geweiht ist – die Chapelle Saint-Sixte – hat sich über Jahrzehnte zäh als das Motiv emporgearbeitet, das für die Provence steht. Als symbolischer Aufmacher von Artikeln, Cover von Zeitschriften, Foto von Websites, Umschlagbild von Reiseführern. (Für die Jüngeren: Reiseführer sind Tripadvisor auf Recyclingmaterial.) Immer mal wieder schafft es das kleine Gotteshaus ins Herz der Layouter und Bildredakteurinnen und damit vor die Augen von Leserinnen, Usern, wem auch immer. So wie jetzt:








Die Kapelle ist ja auch hübsch.

Saint-Sixte steht seit beinahe tausend Jahren etwa einen Kilometer östlich von Eygalières. Das ist, wenn man großzügig geographisch schätzt, ungefähr auf halber Strecke zwischen Saint-Rémy und Cavaillon. Eine romanische Kapelle, die im 12. Jahrhundert auf einem grauweißen Kalksteinhügel errichtet wurde, wo zuvor bereits ein antiker Tempel gestanden hatte. Aus den Steinwänden wachsen massige Stützwände wie Rippen, das Gotteshaus ist wirklich das: nicht größer als ein Haus. Die Kapelle ist auch zu bescheiden für einen richtigen Turm, stattdessen erhebt sich über den Dachfirst ein simples Glockengestell. Im Netz zeigen die meisten Fotos der Kapelle das Glockengestell noch so kahl wie mein Haupt. Doch in echt hängt längst wieder eine Glocke drin und ein schmiedeeisernes Kreuz steht noch obendrauf.






An eine Seite schmiegt sich ein ummauertes Mini-Kloster an das Gotteshaus, die Mönche, die hier einst wirkten, brauchten wirklich wenig Platz. Weil von Generation zu Generation mehr Pilger hierher kamen, wurde eine Vorhalle an den Eingang unterhalb des Glockengestells angebaut. Sie ist ein halbes Jahrtausend jünger, sieht aber genauso alt aus wie die Kapelle.

Gerade in ihrer Askese ist das Monument schön: Die Mauern sind frisch verputzt und schimmern grau, das Gewölbe der Vorhalle ist in einem kräftigen Ockergelb gehalten, ein starker Kontrast zum dunklen Grün der Zypressen, die als Wächter neben dem Gotteshäuschen stehen, und zum überirdischen Blau des Himmels. Diese Komplementärfarben hätten Vincent van Gogh gefallen, orange und blau, der niederländische Meister hat gerne mit derartigen Kontrasten gespielt. Es führt nicht einmal ein richtiger Weg den Hügel hinauf, muss es auch nicht. Der Felsboden ist so karg, dass Buschwerk nur hier und dort grüne Inseln formt, der Rest ist nackter und mithin leicht zu begehender Boden.

In einer Art Kranz rund um den Hügel haben sich Olivenbäume und Micocouliers aus Spalten gezwängt. Fast alle Stämme und Äste sind schwarz verbrannt von einem Feuer, das mindestens im Vorjahr, wenn nicht vor noch längerer Zeit gewütet haben muss. Doch die Bäume, die hier wachsen, sind zäh: An den äußersten Spitzen ihrer vernarbten Äste sprießt frisches grünes Laub.





Die schmucklosen Mauern und der karge Fels, die blassen Farben des Gotteshauses und die intensiven Farben der Natur, die Olivenhaine am Fuß der Anhöhe und der Blick auf die blau schimmernden Steinwogen der Alpilles, vom Vordach umrahmt – das ist die Provence. Die Natur ist karg und abweisend, aber der Mensch ringt ihr trotzdem Früchte und sogar den Glauben ab. Andererseits tut er das nicht in triumphierender Großspurigkeit, sondern bescheiden, still, weitab von aller Geschäftigkeit. Sant-Sixt gehört genauso in die Landschaft wie ein Stein oder ein Baum.

Ach ja, Sixtus, der Namenspatron und Coverboy: Sixtus II. war einer der ersten Päpste, er wurde am 6. August 258 in Rom aus einem Gottesdienst heraus verhaftet und noch am selben Tag enthauptet. Er ist der Schutzpatron, der bei Halsschmerzen hilft. (Logisch, selbiger wurde ihm ja durchtrennt, der Heilige weiß, wie sich das anfühlt.) Er steht schwangeren Frauen bei. (Don't ask me why.) Er behütet die Bohnenernte. (Dont ask me … genau.) Und, in der Provence extrem wichtig und vermutlich deshalb zog die Kapelle einst so viele Pilger an: Der Heilige Sixtus sorgt für ein gutes Gedeihen der Weintrauben.

Diese Kapelle ist also einen Besuch wert, nicht nur zu Weihnachten...