Donnerstag, 2. Juli 2020

Montagne Sainte-Victoire bei Aix-en-Provence

Die Montagne Sainte-Victoire ist ein Wahrzeichen der Provence. Dieser Satz klingt ja mal so elektrisierend wie aus dem alten Baedeker, und der geneigte Leser mag sich fragen: Was, putain, will der Dichter uns damit bloß sagen?



Alors: Aus gewissen ebenso unsichtbaren wie allgegenwärtigen virologischen Gründen gleichen Reisen diesen Sommer leider wieder Pilgerfahrten im guten alten Mittelalter – man weiß nicht, ob, wann und in welchem Zustand man zurückkehrt. Also bleiben viele Leute lieber daheim, was durchaus verständlich ist. Also präsentiere ich für den Sommer wenigstens ein virtuelles Reiseerlebnis, wofür Sie dann hoffentlich Verständnis haben. (Wenn nicht: einfach hier wegklicken...)

Machen wir den Baedeker zuerst, dann haben wir das schon mal hinter uns: Die Montagne Sainte-Victoire ist kein einzelner Berg, sondern ein kleines Massiv, in west-östlicher Ausdehnung achtzehn Kilometer lang und nord-südlich fünf Kilometer breit. Der höchste Punkt ist der Pic des Mouches, 1011 Meter über dem Meeresspiegel. Apropos Meer: Die Sainte-Victoire erhebt sich östlich von Aix-en-Provence, und wenn man oben steht, dann glaubt man immer, in der bläulich schimmernden Ferne das Mittelmeer zu sehen, und wenn Sie bessere Augen haben als ich (da gehört leider nicht viel zu), dann stimmt das vielleicht auch.

Paul Cézanne, dessen Atelier bei Aix-en-Provence stand, konnte das Massiv vom Fenster aus sehen. Auf zahllosen Wanderungen hat er es ins malerische Visier genommen und die Sainte-Victoire damit zu einer Ikone der modernen Kunst gemacht.

Okay, Sainte-Victoire, Aix-en-Provence, 1011 Meter, Paul Cézanne, das war unser Baedeker.

Jetzt geht’s hoch. Es führen diverse Routen auf den Rücken dieses schlafenden Riesen, in präcoronischen Zeiten wuchteten jährlich 700 000 Trekker ihre schwitzenden Leiber hinauf, man ist also eher selten allein. Wir haben uns beim letzten Mal für einen Anstieg über einen im ersten Teil geradezu autobahnartig ausgebauten Wanderweg entschieden. Vollkommen unmöglich, sich zu verlaufen, aber, mon Dieu, das Teil ist so steil, dass dir schon bald die Waden zwicken. Auf dem Rückweg knirschen dir dafür die Knie, das ähnelt eher einem Absturz als einem Abstieg.



Kurz unter dem Gipfel wanken wir an einem Priorat vorbei, einem winzigen Gotteshaus aus dem 17. Jahrhundert, das in letzter Zeit von Freiwilligen restauriert worden ist. Endlich stehen wir dann oben, von Gleitschirmfliegern umschwirrt, am Sockel des neunzehn Meter hohen Gipfelkreuzes von 1875, das... Moment. Dieses blöde Gipfelkreuz steht gar nicht auf dem Gipfel. Mais non. Das Gipfelkreuz steht auf einer fünfundsechzig Meter unterhalb des Gipfels ins blaue Nichts ragenden Felskante, die sieht nämlich, fand man zumindest 1875, malerischer aus und steht auch näher an Aix-en-Provence, so dass man es vom Boden aus besser sehen kann.




Noch so ein paar True News zur Sainte-Victoire, mit denen man sich in trauter Rosé-Runde unter Freunden als echter Provence-Kenner ausweisen kann? D'accord:

Von diesem Gipfelkreuz aus hat man einen wundervollen Ausblick auf – das Kohlekraftwerk von Gardanne bei Aix-en-Provence, eines der letzten seiner Art in ganz Frankreich. DAS steht eher selten in Reiseführern. Macht vielleicht auch nichts, es soll nämlich bald abgeschaltet werden. Es sei denn, einige Irre in Regierung und Gewerkschaften setzen sich mit ihrem Plan durch, statt Kohle hier zukünftig Bäume zu verfeuern, weil das „ökologischer“ ist.



Die Sainte-Victoire ist ein echter „Jurassic Park“, denn einige der ältesten Gesteinsschichten des Massivs stammen noch aus dem Jura.

Jeder Einheimische erzählt einem, dass der Name auf die römische Siegesgöttin Victoria zurückgeht, weil hier irgendwo im Jahre 102 v. Chr. der römische Feldherr Marius die Kimbern und Teutonen geschlagen hat. Fake! „Ventur“ ist ein Name aus der Sprache der vor-römischen, ligurischen Bevölkerung der Region, das wurde von den Römern und Latein schreibenden Chronisten des Mittelalters zu „Venturius“ gemacht und verschliff sich erst vor ein paar hundert Jahren zu „Victoire“.

Und die Montagne Sainte-Victoire ist nicht der höchste Berg der Provence und nicht einmal des Départements. Der Pic de Bertagne im nahen Massiv von Sainte-Baume beispielsweise ist einunddreißig Meter höher.

Noch.

Die Montagne Sainte-Victoire wächst nämlich dank gewaltiger tektonischer Verschiebungen tief im Erdinnern (die der Provence gelegentlich auch Erdbeben bescheren) um durchschnittlich sieben Millimeter jährlich in die Höhe.

In diesem Sinne: Schönen Sommer und kommen Sie wieder, bevor die Montagne Sainte-Victoire uns allen über den Kopf gewachsen ist!


6 Kommentare:

  1. Der Roman ist gut geschrieben und die Geschichte ist spannend.
    Für mich war der Schauplatz besonders interessant, waren wir doch im vorletzten Herbst nur wenige Kilometer entfernt in den Ferien.
    Kurz die Lektüre hat Spass gemacht und macht Lust auf mehr.

    Allerdings ist mir da ein Detail aufgestossen, das mich in einem Kriminalroman überrascht hat.
    Im Roman steht (z.B. Seite 294): «Die Patrone hat das Opfer leicht von links in die linke Brust getroffen» und im Folgenden wird der Begriff «Patrone» noch mehrmals falsch verwendet.
    Dass Sie der Gerichtsmedizinerin unterstellen wollen, dass sie die Terminologie nicht beherrscht, glaube ich weniger.
    Bei Duden.de steht zum Begriff «Patrone» 1. Metallhülse mit Treibladung und einem Geschoss (siehe auch «Dr. Google»), also das gesamte Teil, das man in ein Gewehr oder eine Pistole steckt.
    Korrekt wäre im obigen Zusammenhang der Begriff «Geschoss», «Projektil» oder «Kugel», denn nur das kommt am Ziel an.
    Normalerweise bin ich da nicht so pingelig – aber bei einem Kriminalroman-Autor musste ich das los werden.

    Nichts für ungut und ich freue mich auf den nächsten Einsatz von Commissaire Roger Blanc.

    Freundliche Grüsse
    Olivier

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  2. Mein Beitrag oben bezog sich auf den Roman "Verlorenes Vernègues", zu welchem da gestern noch ein Beitrag stand... Sorry.

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  3. Danke für den Tipp, werde ich korrigieren - und der Beitrag steht immer noch da, nur jetzt halt eine Seite weiter hinten. Das kann man z.B. unter "Blog-Archiv" anklicken; oder unten unter dem Reiter "Älterer Post". Das ist nicht ganz übersichtlich, sorry, doch so sind tatsächlich alle Provence-Briefe noch da. Beste Grüße, Cay Rademacher

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  4. Sehr geehrter Herr Rademacher
    Ich habe mehrere Ihre Bücher gelesen. Vor allem Ihre Trilogie über Deutschland während der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fand ich ausgezeichnet. Ich mag auch einige der Provence Krimis mit Capitaine Roger Blanc. Ich lese gerade Gefährliche Cote Bleu. Ich hoffe Sie werden nicht beleidigt wenn ich Ihnen sage dass der Nachname "Antunes" die als Spanisch bezeichnet wird, ist eigentlich Portugiesisch. Die Spanische Version schreibt sich Antunez.
    Mit freundlichen Grüßen
    Margarida Mota-Bull

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    1. Liebe Frau Mota-Bull,
      vielen Dank für Ihre freundlichen Worte. Sie haben recht, eigentlich ist es ein "z", doch viele Spanier haben ihre Namen "französiert", also "s" statt "z" geschrieben. Für manche, die vor Franco geflohen waren, war es zudem sicherer, sich als Portugiesen auszugeben. Mit den besten Grüßen aus dem Süden, Ihr Cay Rademacher

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    2. Vielen Dank für Ihre Antwort Herr Rademacher. Ich wusste das nicht über die Änderung wegen Francos Regime. Es macht sehr viel Sinn und eigentlich vielen Portugiesen, die Salazars Regime um die Zeit auch fliehen müssten, haben es umgekehrt gemacht und sich als Spanier angegeben. Sehr interessant. Nochmals vielen Dank. Schöne Grüße, Margarida

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