Essen
in Frankreich, ahhh! Bei der Grande Nation ist vielleicht die
Grandeur ein ganz klein wenig geschrumpft: Die Force de Frappe
schützt irgendwie nicht gegen Angriffe, Camus und Sartre sind schon
lange tot, Citroën
baut keine göttlichen Limousinen mehr und es gab in Paris auch schon
mal weniger Politiker, die Ärger mit der Justiz hatten. Aber, bon
appétit, die Grande Nation bleibt eine Grande Cuisine.
Bocuse
und Co. bleiben die weißbekittelten Götter im Pantheon, der Guide
Michelin ist ihr Messbuch und Dutzende hochopulente Rezeptschmöker
verkünden immer aufs Neue die Heiligenlegenden aus den Fresstempeln
der Republik. Wenn in französischen Filmen nicht gerade nackte
Menschen aufeinander liegen, dann sitzen sie beisammen und reißen
entweder Witze über nordfranzösische Mundart oder philosophieren
hochvage und melodramatisch herum – auf jeden Fall aber schaufeln
sie beim Reden noch Unmengen an Köstlichkeiten und Kalorien in sich
hinein. Stimmt das Klischee?
Klar.
Selbstverständlich
gibt es auch bei uns McDoof und Würger King und schreckliches
Übergewicht. Doch das gepflegte Essen – also vor allem und eigentlich das
Abendessen – bleibt der Angelpunkt so ziemlich jeder
französisch-menschlichen Beziehung. Schon Oberstufenschüler und
Studenten kochen irgendetwas zusammen oder hocken stundenlang im
Bistrot. Und danach geht es so weiter, immer weiter, und wenn du
hochbetagt und schwerdement fast alles vergessen hast, dann ist das
(betreute) Essen immer noch irgendwie wichtig. Ich habe die
Statistiken gerade nicht zur Hand (ihre genauen Zahlen sind auch eigentlich
nicht so bedeutsam), aber der Durchschnittsfranzose verbringt viel mehr
Zeit mit dem und gibt ein viel größeres Budget für das Essen aus
als sein Gevatter auf der anderen Seite des Rheins.
Nur:
Gastro-Porn ist das nicht. Es soll Frankreichkrimis geben, die zur
Hälfte aus Rezepten bestehen. Und manche Freunde besuchen uns in der
Küche mit Notizheft und Kamera, im festen Willen, die berühmten
köstlichen Rezepte mit zu stenografieren und zu fotografieren.
Welche Enttäuschung dann, denn das Kochen ... „passiert einfach
so.“
Treffen
sich ein paar Freunde, dann bringt jeder etwas mit. Danach stellt man
sich in die Küche, schwatzt und lacht und panscht die Sachen
zusammen – nach Gefühl oder zumindest ohne großes Nachdenken,
weil man das, siehe oben, ja halt schon seit Kindheitstagen gemacht
hat. Beim Hin- und Hergehen greift man sich Teller oder Gläser und
plötzlich ist auch der Tisch gedeckt. Und irgendwie ist der Wein
geöffnet worden und irgendwann fängt es an und dann hört es
einfach nicht mehr auf. Kein Mensch guckt in ein Kochbuch (oder
stellt gar einen iPad auf den Eichentisch), höchstens hat der eine
Kumpel einen Trick drauf, den sich die anderen dann angucken und für
den Rest ihrer Tage behalten werden.
Beinahe
von alleine duften dann Bouillabaisse oder Soupe au Pistou oder
Gardianne de Taureau oder Aïoli
durchs Haus. Und da die Mittelmeeranrainer nicht weit sind und die
Provence seit jeher Einwandererland ist, gehören Couscous und
Merguez und Paëlla
längst auch zu unseren Nationalgerichten.
Es
ist auch weder schwer noch teuer noch romantisch, an die Zutaten zu
kommen. Die wundertätigen „Kräuter der Provence“ wachsen gratis
und in unfassbaren Mengen im Wald direkt hinterm Haus, der Winzer ist
beinahe ein Nachbar, die Olivenölkooperative ist nicht weit, Gemüse
und Eier gibt's beim Bauern oder auf dem Markt, und das Lammfleisch
kaufen wir bei Eltern aus der Klasse unserer Jüngsten, denn Schäfer
ist hier so ein Allerweltsjob wie Journalist in Hamburg.
Dann
wird getafelt und getafelt und getafelt. Denn vom Apéritif bis zum
Dessert – stets wird mehr aufgetragen, als auch der gutwilligste
und dehnungsfähigste Bauch aufnehmen könnte. Macht nichts: Die
Reste werden einfach am nächsten Tag gegessen, und manche – etwa
die Soupe au Pistou – schmecken beim Aufwärmen noch etwas
köstlicher als beim ersten Kochen.
Und irgendwann ist es spät und
selbst die Zikaden haben aufgehört zu Sägen und alle
philosophischen Fragen sind geklärt und alle Lacher sind gelacht und
alle sind erschöpft und eigentlich bleibt nur noch eine einzige
Frage zu klären.
Bei
wem essen wir das nächste Mal?
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