Donnerstag, 3. April 2014

Canadair, das fliegende Feuerwehrauto in Südfrankreich

Brummend wie eine träge Hornisse fliegt ein plumpes, gelbrotes Wasserflugzeug dicht über unseren Segler hinweg und sinkt wenige Bootslängen weiter auf die vom Mistral aufgeschäumten Wellen. Propeller wirbeln weiße Gischtvorhänge hoch. Die Maschine berührt bloß die Wasseroberfläche, rast, Schleier zu beiden Seiten aufwerfend, einige Hundert Meter über die Wogen. Dann quält sie sich mit brüllenden Motoren wieder Handbreit für Handbreit in die Luft - und gleitet schließlich mit knapper Not über die Hügel bei Miramas-le-Vieux. Das Ziel des Piloten ist ein Feuer irgendwo im Norden, von dem dünne, schwarzbraune, bitter riechende Rauchschleier bis zu uns wehen.
Bienvenue, Canadair!
Wir segeln an einem Sommerabend über den Étang de Berre. Der scharfe Nordwind hat den Himmel blaugewaschen. Als wir am Westufer bei Istres ankern, röhrt plötzlich jenes auffällige Wasserflugzeug heran, das alle hier bloß le Canadair nennen – die spektakulärste Waffe der französischen Feuerwehr im Kampf gegen die sommerlichen Waldbrände.
Dem ersten Löschflugzeug folgen, in jeweils wenigen Sekunden Abstand, sechs weitere, die sich in engen Kurven wie massige Raubvögel auf den Étang stürzen und in den wenigen Augenblicken, die sie über die Wogen rasen, je sechs Tonnen Wasser in ihre Rümpfe saugen.
Sommerzeit ist Feuerzeit in der Provence. Ölreiche Pinien und Zypressen, trockene Eichen, Garriguegestrüpp, so spröde wie Zunder, dazu ein Mistral, der zwölf Stunden intensives Sonnenlicht mit Böen vereint, die Deutschlands Autobahnrichtgeschwindigkeit erreichen können - wenn es ein ideales Rezept für einen Waldbrand gibt, dann ist es das. Eine weggeworfene Zigarette, ja eine achtlos „entsorgte“ Flasche, die unter diesen Bedingungen als Brennglas wirkt, reichen aus, um etliche Hektar, um ganze Naturschutzgebiete in Landschaften zu verwandeln, die aussehen, als hätten die Amerikaner hier Napalm auf den Vietcong geworfen. (Ganz zu schweigen von den connards, die Matratzen im Dickicht verbrennen, um sich den Weg zur Müllkippe zu sparen. Die ihren Porsche Cayenne abfackeln, weil sie die Versicherung dafür nicht mehr zahlen können und sich schadlos halten wollen. Die...)
In den heißen Monaten stehen die Feuerwehrwagen nicht in den Wachen, sondern im Wald, an verkehrsgünstigen Stellen, dort, wo sich mehrere Routes Départementales kreuzen. Die pompiers rasten in voller Montur unter den Zweigen, spielen Boule, dösen, essen, eine Idylle … Bis der Alarm kommt, von irgendwo her. Jedes Jahr brennt es, mal mehr, mal weniger. Im Juli und August dürfen Wanderer nicht mehr auf die Wege, zu gefährlich für den Wald (falls sie sich wie connards benehmen), zu gefährlich für sie selbst - falls erst einmal ein Feuer entfacht ist, das im Mistral schneller rast, als ein Mensch laufen könnte.
Die spektakulärste Eingreiftruppe stellt das gute halbe Dutzend Canadairs, seit vier Jahrzehnten der Stolz der Feuerwehr. Die Piloten starten vom nahen Flughafen Marseille-Provence aus, füllen ihre Tanks im nebenan glitzernden Étang de Berre, dann rasen sie im Tiefflug zum Brandherd und kippen ihre Ladung ab - wie Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg, nur dass hier Rettung und nicht Zerstörung aus dem Himmel regnet.
Manchmal kehrt die Staffel nur ein-, zweimal zum Nachtanken zurück, dann ist der Brand bezwungen. Manchmal verdunkeln die Schatten der Canadairs Stunde um Stunde die Ufer des Étangs. Die Piloten müssen nicht nur waghalsig und geschickt sein, sie müssen sich konzentrieren können wie ein Herzchirurg und ausdauernd sein wie ein Preisboxer. Seit Jahren ist keine Maschine mehr abgestürzt.
Demnächst wird die Staffel verlegt, nach Nîmes, gegen den heftigen Widerstand aller lokalen Bürgermeister und Würdenträger. Aber auf dem Flughafen Marseille-Provence will man ausbauen, Profit siegt wieder einmal über Sicherheit. Denn von Nîmes aus werden die schwerfällig wirkenden Canadairs einige Minuten mehr benötigen, um den Étang de Berre zum Auftanken zu erreichen. Das mag sich nicht nach viel anhören - aber wenn du den Rauch im Mund schmeckst und der Mistral wütet, dann zählst du die Sekunden.

P.S.: Bislang war ich mit dem Boot zufällig immer in Ufernähe, wenn die Canadairs zu ihren Sturzflügen ansetzten. Ich frage mich, was passiert, wenn ich mal mitten auf dem Étang de Berre kreuze und die gelbroten Riesenhornissen plötzlich dicht über die Hügelkante brummen...

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