Im
Herbst fallen anderswo die Blätter von den Bäumen – bei uns
fallen dieses Jahr die Bäume selbst. Uns hat der chancre
coloré
heimgesucht, der Fluch der Provence.
Die
Geschichte geht so: Es war einmal eine schöne Landschaft, in der
schöne und nicht so schöne Monarchen von Ludwig XIV. bis zu
Napoleon III. entlang von Straßen, Flüssen, Kanälen und Zufahrten
Platanen pflanzten. Und so wölben im Süden, vom Canal du Midi bis
nach Aix-en-Provence, lange Reihen turmhoher Bäume Kathedralendächer
aus Laub über Wanderer und Süßwasserkapitäne. Grün und golden
fließt das Licht durch die Blätter, silbergraugelb schimmert die
altersfleckige Rinde, köstlich ist der Schatten an einem Sommertag.
Die einzigen, die je über diese Pracht geflucht haben, sind die
Autofahrer, die in Alleen, die in der Postkutschenzeit gepflanzt
worden sind, regelmäßig die Rückspiegel ihrer überbreit
ausgewucherten Fahrzeuge himmeln. (Und es fluchen die stolzen
Besitzer, die solche Platanen auf dem eigenen Grundstück
wiederfinden, jeden Herbst über einen Himalaja an unverrottbaren
papierbraunen Blättern.)
Doch,
ach, 1940 kam die Wehrmacht ins Land, 1944 kamen die Amerikaner, um
die Deutschen wieder zu vertreiben. Und mit den GIs kamen Granaten
und diese Granaten steckten in hölzernen Transportkisten und in
diesem Holz steckte Ceratocystis
platani,
ein winziger Pilz, der kurz zuvor erstmals überhaupt in Nordamerika
bemerkt worden war.
Chancre
coloré
befällt ausschließlich Platanen und zerstört nach und nach im
Innern des Stammes das wasserführende System: Ungefähr drei bis
sieben Jahre nach einer Infektion mit Sporen schält sich die Rinde
ab, der Stamm verfärbt sich ins Violette, die Blätter segeln
vorzeitig von den Ästen. Nach einem weiteren Jahr Todeskampf ist auch der
größte Baumriese ausgetrocknet und erledigt. Der Pilz wird
unterirdisch von Wurzel zu Wurzel weitergereicht und seine Sporen
reisen mit dem Wasser der Flüsse und Kanäle und vielleicht
übertragen sie sogar die Vögel, die von Zweig zu Zweig flattern.
Kann man den Baum schützen? Nein. Kann man einen befallenen Baum
retten? Nein. Der Pilz ist das Todesurteil – oft genug auch für
die Platanen nebenan. Denn um den Unhold wenigstens langsamer durch
die Provence wüten zu lassen, haben die Präfekten angewiesen, dass
auch gesunde Bäume in unmittelbarer Nähe, ja eigentlich alle
Exemplare im Umkreis von 35 Metern um einen Maladen der Kettensäge
zum Opfer fallen.
Jedenfalls
sehen am Canal du Midi Baumreihen aus, als hätten sie vor einem
Exekutionskommando gestanden. In Städten und noch an entlegenen
Routes
départementales
sind, der schieren Zahl nach, ganze Wälder verdorrt. 50 000 Platanen
sollen allein in Südfrankreich schon vernichtet worden sein.
Wir
haben eine Platanenallee, Platanen hinter dem Haus, eine – eine
einzige (!) - Platane am Fluss, der unser Grundstück begrenzt. Diese
eine Platane, ein zweihundert Jahre alter Riese mit Zwillingsstamm,
scheinbar so gelassen und ewig wie die Zeit selbst, verfiel plötzlich
im letzten Jahr. Hat der Fluss die Pilzsporen in seine Wurzeln
gespült? Haben Arbeiter, die Unterholz am Ufer ausdünnten, ihre
Werkzeuge nicht desinfiziert? (Denn auch verseuchte Sägen können
den Schädling von Baum zu Baum tragen.)
Wir
mussten den sterbenden Baum jedenfalls letztes Jahr niederlegen. Und
nun? Nun hat es die drei Platanen hinter dem Haus erwischt, deren
Wurzelwerk wohl bis zu jenem ersten Opfer reichte. Und wieder
klettern extra angeheuerte Spezialisten (sie haben im Midi viel zu tun
und Wartezeiten wie Schönheitschirurgen) als kettensägenbewehrte
Affen durch das Geäst und legen die Giganten mit Hilfe eines
Kranwagens um. Sie legen sie auf Spezialmatten, sie behandeln das
Holz mit Spezialchemikalien, sie transportieren die Reste bis auf das
letzte Blatt mit Speziallastwagen fort. Aus den Stämmen der Riesen
müffelt es schon faulig, der Odem des violetten Todespilzes.
Nun
haben wir viel, viel Licht um das Haus – und eine Sorge mehr: Was,
wenn auch jetzt der Pilz nicht gestoppt ist? Wenn er den ersten Baum
der Allee erreicht? Wenn auch dort ein Zweihundertjähriger nach dem
anderen unter den Sägeketten fällt? Das kostet nicht bloß Unsummen
Geld, es tut auch in der Seele weh, diese stummen Hausgenossen am
Boden zu sehen.
Wir
beratschlagen jedenfalls schon, welche Bäume wir neu pflanzen
werden. Entschieden ist noch nichts, nur das: Platanen werden es
nicht sein, leider.
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