Freitag, 3. Oktober 2014

Chancre Coloré, der Killer der Platanen

Im Herbst fallen anderswo die Blätter von den Bäumen – bei uns fallen dieses Jahr die Bäume selbst. Uns hat der chancre coloré heimgesucht, der Fluch der Provence.
Die Geschichte geht so: Es war einmal eine schöne Landschaft, in der schöne und nicht so schöne Monarchen von Ludwig XIV. bis zu Napoleon III. entlang von Straßen, Flüssen, Kanälen und Zufahrten Platanen pflanzten. Und so wölben im Süden, vom Canal du Midi bis nach Aix-en-Provence, lange Reihen turmhoher Bäume Kathedralendächer aus Laub über Wanderer und Süßwasserkapitäne. Grün und golden fließt das Licht durch die Blätter, silbergraugelb schimmert die altersfleckige Rinde, köstlich ist der Schatten an einem Sommertag. Die einzigen, die je über diese Pracht geflucht haben, sind die Autofahrer, die in Alleen, die in der Postkutschenzeit gepflanzt worden sind, regelmäßig die Rückspiegel ihrer überbreit ausgewucherten Fahrzeuge himmeln. (Und es fluchen die stolzen Besitzer, die solche Platanen auf dem eigenen Grundstück wiederfinden, jeden Herbst über einen Himalaja an unverrottbaren papierbraunen Blättern.)
Doch, ach, 1940 kam die Wehrmacht ins Land, 1944 kamen die Amerikaner, um die Deutschen wieder zu vertreiben. Und mit den GIs kamen Granaten und diese Granaten steckten in hölzernen Transportkisten und in diesem Holz steckte Ceratocystis platani, ein winziger Pilz, der kurz zuvor erstmals überhaupt in Nordamerika bemerkt worden war.
Chancre coloré befällt ausschließlich Platanen und zerstört nach und nach im Innern des Stammes das wasserführende System: Ungefähr drei bis sieben Jahre nach einer Infektion mit Sporen schält sich die Rinde ab, der Stamm verfärbt sich ins Violette, die Blätter segeln vorzeitig von den Ästen. Nach einem weiteren Jahr Todeskampf ist auch der größte Baumriese ausgetrocknet und erledigt. Der Pilz wird unterirdisch von Wurzel zu Wurzel weitergereicht und seine Sporen reisen mit dem Wasser der Flüsse und Kanäle und vielleicht übertragen sie sogar die Vögel, die von Zweig zu Zweig flattern. Kann man den Baum schützen? Nein. Kann man einen befallenen Baum retten? Nein. Der Pilz ist das Todesurteil – oft genug auch für die Platanen nebenan. Denn um den Unhold wenigstens langsamer durch die Provence wüten zu lassen, haben die Präfekten angewiesen, dass auch gesunde Bäume in unmittelbarer Nähe, ja eigentlich alle Exemplare im Umkreis von 35 Metern um einen Maladen der Kettensäge zum Opfer fallen.
Jedenfalls sehen am Canal du Midi Baumreihen aus, als hätten sie vor einem Exekutionskommando gestanden. In Städten und noch an entlegenen Routes départementales sind, der schieren Zahl nach, ganze Wälder verdorrt. 50 000 Platanen sollen allein in Südfrankreich schon vernichtet worden sein.

Wir haben eine Platanenallee, Platanen hinter dem Haus, eine – eine einzige (!) - Platane am Fluss, der unser Grundstück begrenzt. Diese eine Platane, ein zweihundert Jahre alter Riese mit Zwillingsstamm, scheinbar so gelassen und ewig wie die Zeit selbst, verfiel plötzlich im letzten Jahr. Hat der Fluss die Pilzsporen in seine Wurzeln gespült? Haben Arbeiter, die Unterholz am Ufer ausdünnten, ihre Werkzeuge nicht desinfiziert? (Denn auch verseuchte Sägen können den Schädling von Baum zu Baum tragen.)
Wir mussten den sterbenden Baum jedenfalls letztes Jahr niederlegen. Und nun? Nun hat es die drei Platanen hinter dem Haus erwischt, deren Wurzelwerk wohl bis zu jenem ersten Opfer reichte. Und wieder klettern extra angeheuerte Spezialisten (sie haben im Midi viel zu tun und Wartezeiten wie Schönheitschirurgen) als kettensägenbewehrte Affen durch das Geäst und legen die Giganten mit Hilfe eines Kranwagens um. Sie legen sie auf Spezialmatten, sie behandeln das Holz mit Spezialchemikalien, sie transportieren die Reste bis auf das letzte Blatt mit Speziallastwagen fort. Aus den Stämmen der Riesen müffelt es schon faulig, der Odem des violetten Todespilzes.

Nun haben wir viel, viel Licht um das Haus – und eine Sorge mehr: Was, wenn auch jetzt der Pilz nicht gestoppt ist? Wenn er den ersten Baum der Allee erreicht? Wenn auch dort ein Zweihundertjähriger nach dem anderen unter den Sägeketten fällt? Das kostet nicht bloß Unsummen Geld, es tut auch in der Seele weh, diese stummen Hausgenossen am Boden zu sehen.

Wir beratschlagen jedenfalls schon, welche Bäume wir neu pflanzen werden. Entschieden ist noch nichts, nur das: Platanen werden es nicht sein, leider.

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