Montag, 12. Dezember 2022

Kalter, aber klagloser Winter in der Provence

Winter im Süden, letzte Nacht fiel das Thermoter auf unter -3 Grad Celsius, und neben ein paar anderen Dingen ist auch im nuklearen Frankreich das Heizen ziemlich teuer geworden, weil ein Irrer im Kreml sitzt. (Und, seien wir ehrlich, weil wir anderen Irren seit Jahren energiemäßig über unsere Verhältnisse gelebt haben.) Eh bien, wer will, der kann jeden Abend in den Nachrichten ein paar Millionen Menschen sehen, die wirklich Grund zur Klage haben, ich will mich nicht beklagen, sondern dies:





Da ist zum Beispiel unser Sohn, der in einem kleinen Apartment bei uns um die Ecke wohnt. In einem alten provenzalischen Städtchen, in einem alten provenzalischen Haus, direkt unter dem provenzalischen Dach, dass provenzalisch isoliert ist, also gar nicht. Die großen, einglasigen Fenster haben ein Spaltmaß, du wunderst dich, dass die Tauben nicht von draußen durchschlüpfen können. Mit anderen Worten, die Bude wird schweinekalt.

Da es aber ein altes Haus ist, steht vor der nördlichen, dem Mistral zugekehrten Außenwand ein alter Kamin, den irgendjemand irgendwann mal verstopft hat. Da könnte man einen modernen Ofen einsetzen, mit Holz heizen und, tja, wenn es denn Ofen lieferbar gäbe. Gibt's natürlich nicht. Mais oui, dann auf einmal doch, jemand hat genau das Modell bestellt, das wir haben wollen, es aber nicht genommen... Also haben pater filiusque (sorry, Latein passt nun mal zur Weihnachtszeit) den neuen Ofen drei Stockwerke die alte Treppe hochgeschleppt, weil die Handwerker wiederum keine Termine frei hatten. Das Teil wog zum Glück im niedrigen dreistelligen Kilogrammbereich und ließ sich danach widerstandslos installieren. Anschließend gab's im Kamin selbst neue Rohre, eine Kappe, Isolierung, alles nach Norm (der Junior ist vom Fach) – et voilà, Kaminfeuer statt Netflix in der Bude, und da wird einem warm ums Herz und an den Füßen!

Da ist zum Beispiel das Familienessen in Vieux Vernègues – mehr zum Ort gibt's hier: Vernègues). Wir ergattern den letzten freien Tisch im Le Repaire, essen köstliche und beinahe zur Region passende Crêpes, direkt vor einem Ofen vom gleichen altehrwürdigen Hersteller wie der im Apartement des Sohnes, nur gefühlt zehnmal so groß. Anschließend wandern wir durch die Ruinen, der Hügel des Örtchens ist etwa dreihundert Meter hoch, der Mistral pfeift uns die Socken von den Füßen. Aber, hey, der Himmel ist wie blaues Porzellan, und der Blick reicht von schneebedeckten Alpengipfeln bis zum Mittelmeer.





Da ist zum Beispiel der nette Chirurg, der mir am Ohr herumschnippelt. Eine Nacht bin ich sein Gast im Krankenhaus von Avignon. Macht nichts, sagt der Doktor, sehen Sie am nächsten Morgen einfach aus dem Fenster. D'accord, ich habe ein Pflaster auf dem Ohr und gleiche damit ungefähr dem ollen van Gogh auf seinem Selbstporträt, nachdem der sich in Arles entohrt hatte. (mehr zum ollen Maler hier: https://provencebriefe.blogspot.com/2015/05/dienatur-hier-ist-auerordentlich.html) Aber in der Morgendämmerung blicke ich, wie ärztlich verschrieben, aus dem Fenster, und siehe, der Mont Ventoux leuchtet am Horizont, eine riesige Haiflosse mit einer Spitze aus Schnee. In diesem Moment hätte ich auch gerne gemalt wie der olle Vincent, aber da ich farbtechnisch ein Stümper bin, musste es das Handy tun. Tat's auch.



Also: Der Winter ist kalt, es gibt ein paar Schwierigkeiten, aber es könnte auch viel schlimmer sein. Irgendwo stolpert man immer über Schönheit. In diesem Sinne...

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