„Die
Natur hier ist außerordentlich schön“schreibt Vincent van Gogh
seinem Bruder Theo - und lobt damit die Provence. Genauer: Arles, die
Rhône,
die Camargue, Saintes-Maries, das Mittelmeer... Am 19. Februar 1888
reist er nach Süden, fünfzehn Monate weilt er in und bei Arles, es
sind die glücklichsten seines kurzen Lebens. „Überall ist die
Himmelskuppel von einem wunderbaren Blau, die Sonne strahlt ein
blasses Schwefelgelb aus.“
Tatsächlich
mag man als Maler trunken werden von den Farben der Provence oder
vielleicht auch wahnsinnig, denn keine Palette der Welt kann die
Nuancen fassen, in der hier Himmel und Erde, in der Felsen, Wolken,
Laubkronen, Rebstöcke, Gemäuer, in der noch alltäglichste Dinge
wie Bänke oder Briefkästen leuchten, flimmern, glühen.
Eine
simple Besorgungsfahrt, ein Fußweg von fünf Minuten, ein Blick von
der Terrasse, kann hier zum Bilderrausch mutieren, halb Spaziergang
durch eine imaginäre Galerie, halb psychedelischer Trip.
Morgens
legt sich das Frühlicht wie Honig über Hausmauern und Hügelkuppen.
Manchmal, wenn meine Tochter zur Grundschule unseres Städtchens
geht, blickt sie auf ein weites Tal, in dem, hundert Meter unter
ihren Füßen, Nebelfiguren aufquellen wie Totengeister. An anderen
Morgenden drückt der Mistral ebendort das hochgewachsene, noch
sattgrüne Getreide in Wellen zusammen, die wie Schauer eines
Fieberkranken über die Felder zucken.
Mittags
ist der Himmel blassblau, beinahe weiß vor Hitze, weiß ist die
Sonne, weiß glänzt der Sandboden, silbern schimmern die schmalen
Blätter der Olivenbäume. Schatten wie Scherenschnitte, klein,
präzise, tintenschwarz. Die schmiedeeiserne Krone des städtischen
Glockenturms steht in der Luft wie ein chinesisches Schriftzeichen.
Nachmittags
glüht der Boden, als würde er der Sonne antworten. Alles schimmert
warm und rot, das knotige Holz unter den Weinreben, die
jahrhundertealten Stützmauern der terrassierten Felder, die
Dachschindeln aus gebranntem Ton. Das Mittelmeer liegt da wie
flüssiges Gold, man darf absurderweise denken, dass die Boote, die
durch dieses Wasser gleiten, gleich entzündet werden und in Flammen
vergehen.
Abends
ist das Band des Horizonts violett wie schwerer Damast. Manchmal,
wenn erst zur späten Stunde der Mistral aufkommt, zerreißen Böen
Wolkentürme zu gewaltigen Gebilden, zu Kontinenten ohne Substanz, zu
Fabelfiguren und Höllengebilden, die von einem Licht, das aus ihren
Leibern selbst zu strahlen scheint, rot und rosa, orange und gelb
schimmern. Nach wenigen Augenblicken schon ist der Spuk zerfetzt,
sind seine Farben verglüht zu Eisengrau.
Nachts
ist der Mars ein rötliches Signallicht auf schwarzem Samt, ist die
Venus ein weißer Stecknadelkopf, sind die Sterne verstreute
Glassplitter, sind Pinienkronen und Eichenäste Konturen in einer
zweidimensionalen Welt, nur zu ahnen, weil ihre Massen noch schwärzer
sind als der schwarze Himmel.
Manchmal
höre ich gar nicht mehr auf hinzusehen. Und ich weiß nicht, ob es
ein Fluch ist, dass ich nicht malen kann, oder nicht vielmehr eine
Gnade. Denn könnte ich malen, würde mich dieses Licht einfach
fortspülen wie die Meeresströmung einen Schwimmer.
„Ich
habe ein schreckliches Bedürfnis nach – soll ich das Wort sagen –
nach Religion“, gesteht Vincent van Gogh dem Maler Émile Bernard,
„dann gehe ich nachts hinaus ins Freie und male die Sterne.“
Was für eine grandiose Beschreibung verschiedener Stimmungen.Mit ganzem Herzen nachempfunden!
AntwortenLöschenBonne journée!
Merci beaucoup et bonne journée aussi!
Löschen