Mittwoch, 25. März 2015

Der Absturz von Germanwings 4U9525 in Südfrankreich

Die 150 Menschen an Bord des Airbus von Germanwings-Flug 4U9525 haben gestern ihr Leben an einem schroffen und erhabenen Ort verloren. Verwandte besitzen ein Haus in den Alpen der Haute-Provence, bloß eine gute Wandertour entfernt, wir sind hin und wieder dort. Auf manchen Gipfeln umschließt dich eine Stille, so unfassbar tief, als gäbe es kein Leben mehr auf dieser Welt.


Seyne-les-Alpes, wo sich nun Hunderte Retter und Politiker und Journalisten und wohl bald auch schon Hinterbliebene versammeln – versammeln müssen, denn es ist das einzige Städtchen im Tal – ist ein Ort, der sich an eine Bergflanke schmiegt: Eine einzige Straße, gewunden wie ein Gebirgsfluss und hinter manchen Kurven kaum fünf Meter breit. Eine uralte Festung über den Dächern der gedrängten Häuser. Eine bezaubernd restaurierte Barock-Kapelle, viel zu verspielt und sanft für diesen Ort in Steingrau. Menschen, die dich noch grüßen, wenn sie dir auf den bürgersteiglosen Seitengassen entgegen kommen. Eine Apotheke.
Die nächsten größeren Städte sind Digne und Barcelonnette (Das „kleine Barcelona“, manchmal trieft die Geschichte von schwarzer Ironie und schlechtem Geschmack.), und die liegen je schon eine Dreiviertelstunde Fahrt entfernt.
Wenn das Wetter gut ist.


Verlässt du den Ort, links oder rechts in die Flanken der Zweitausender, Dreitausender hinein, umwölben dich Tannenwälder. Im Winter bist du dankbar für Schneeschuhe, ihre Trittflächen verhindern, dass du bis zu den Knien im weißen Pulver einsinkst, ihre Eisenspikes krallen sich in den Boden, so dass man wie ein Insekt über steile Anstiege kriecht. Ein paar Forst- und Wanderwege, dann bloß noch Unterholz.
Manchmal öffnen sich die Wälder zu Almen und im Winter verlassenen Feldern. Ruinen alter Häuser, kaum mehr als graue Steinhaufen. Scheunen, die Tore verrammelt, die hölzernen Außentreppen schief und verrottet. Aus manchen Ställen dampft es: Schafe, die in tierwarmen Pferchen ausharren, die Körper umhüllt von Winterwolle.
Kletterst du höher, weichen die Bäume zurück. Buckelige Hänge. Schnee. Felsen. In der Ferne grauweiß glitzernde Gipfel, von Horizont zu Horizont. Ein Gefühl, als würde man durch Alaska streifen, und plötzlich erinnerst du dich wieder daran, dass sich die Wölfe die Seealpen zurückerobert haben, inzwischen reißen die Tiere einige Tausend Schafe pro Jahr.
Am Hang, windgeschützt, dort, wo die Sonne hineinscheint, ist es beinahe schon so warm wie am Mittelmeer. Im Spätsommer wachsen hier Blaubeeren, stecknadelkopfklein und herrlich süß. Hundert Meter weiter, wo ein sibirischer Sturm einen Felsbuckel freischält, trifft dich die Kälte dann wie ein Sprung ins Antarktiswasser.



Die Retter, die nun die Leichen und die Trümmer aus dem zwei Quadratkilometer großen, zernarbten Felshang unterhalb der Gipfelkette der Trois-Évêchés bergen, riskieren ihr Leben für diese traurige Pflicht. Böen zerren an den Helikoptern, die sie nach oben fliegen. Wolken verhüllen die Bergflanken. Nur wenn der Himmel aufreißt, dann werden sie fünfzig, hundert Kilometer weit auf Felszinnen blicken. Und auf einen Himmel, so tiefblau wie römisches Glas. Und auf die Kondensstreifen von Flugzeugen, die darüber ziehen, als wären sie immateriell.


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