Es ist noch immer frisch in der Provence, und in Deutschland und anderen skandinavischen Ländern soll sogar Schnee gefallen sein, habe ich gehört. Da wärme ich mich gerne digital an Bildern, die auf meiner Festplatte schlummern – zum Beispiel an Fotos, die ich in einem anderen Februar geschossen habe und die mir deshalb Vorfreude auf den nächsten Februar machen, zumindest jedoch Hoffnung.
Alors, Carro und La Couronne. Das sind zwei Orte am Mittelmeer, gehören beide zur Stadt Martigues, und obwohl sie nur ein paar Schritte auseinander liegen, könnten sie verschiedener kaum sein. La Couronne, das ist vor allem Strand und Strand und nochmal Strand. So ziemlich ganz Frankreich kennt diesen Flecken und halb Frankreich war schon mal hier. Denn seit dem Neolithikum wird in La Couronne „Camping Paradis“ gedreht, das ist so etwas wie die selige alte „Lindenstraße“, nur auf einem Campingplatz am Mittelmeer. Eine Serie aus der gruseligen alten Zeit, als Macher und Publikum noch nicht an komplexere Handlungsstränge mit Neflix-Genen gewöhnt waren.
Das ist natürlich nicht hundertprozentig fair: La Couronne ist so schön, dass auch nennenswerte Kinofilme an seinen Gestaden abgedreht wurden, Lino Ventura und Jean-Paul Belmondo waren hier, Jeanne Moreau, Sandrine Bonnaire oder Audrey Fleurot. Eigentlich wird hier immer irgendwo gedreht, eines der größten Kino- und Fernsehstudios Frankreichs steht nebenan in Martigues.
D'accord, hinterm Strand blickt zudem noch die alte Kapelle Sainte-Croix aufs Meer und, ja doch, der Strand ist wirklich schön. Wenn man einen Platz findet...
Carro hingegen ist ein Fischerdorf und gefühlt am Ende der Welt: Dreißig Boote im Wasser, das so durchsichtig ist wie Luft. Ein Fischmarkt direkt hinterm Pier. Einige rein nützliche, entschieden un-ästhetische Versorgungsanlagen. Eine Handvoll hüttenkleiner Fischerhäuser hinter der Hafenpromenade. Zwei, drei richtig tolle Restaurants ohne jedes Geschnösel.
Klingt super? Geht noch weiter: Da oft der Wind pfeift, werden hier das ganze Jahr über Windsurfer high vor Glück und lahm in den Armen. Neulich, na gut, schon eine Zeit her, musste ein Surfer von der Küstenwache gerettet werden, weil seine Arme so lahm geworden waren, dass er sein Segel nicht mehr halten und er nur noch auf seinem Brett liegen konnte. (Ach ja: Hier dümpeln auch zwei Boote der Küstenwache, Carro ist die älteste Station im ganzen Mittelmeer, gibt’s seit 1868. Die Boote und Stationen werden von Freiwilligen bemannt, und für jeden, der hier schon mal rumgesegelt ist, sind sie die Helden der Côte Bleue.)
Spaziert ein bis hierher verirrter Reisender, den Hafen im Rücken, die Küste entlang Richtung La Couronne, stolpert er (das darf man im schlimmsten Fall wörtlich nehmen) in aufgegebene Steinbrüche. Aus den Felsen wurden bis ins vorletzte Jahrhundert hinein Steine für die Bürgerhäuser von Marseille gesägt. Und manchmal, wenn bei einem dieser alten, schönen Klötze eine stilechte und denkmalpflegerisch abgesegnete Renovierung ansteht, wird immer noch der eine oder andere Block aus der Küste gesäbelt. Meistens aber sind diese aufgegebenen Steinbrüche leer. Mich erinnern sie an Ruinen einer untergegangenen Zivilisation (was sie irgendwie ja auch sind) und Risse und Spalten bilden felsige Rahmen für wundersame Ausblicke auf das Meer.
Apropos Meer: Noch ein Stück weiter ragt stolz der Leuchtturm von La Couronne ins Große Blau. Er funktioniert noch heute tadellos und hat zwei Aufgaben. Erstens weist er nachts den Profiskippern und Hobbykapitänen gleichermaßen den Weg und warnt sie vor der recht tückischen Landzunge von La Couronne.
Und zweitens erweckt er am Rand der Provence plötzlich die Illusion von Neuengland. Ehrlich, ein weiß-roter Leuchtturm, Felsen, ein blauer Ozean, man wäre nicht überrascht, wenn hier jeden Moment John Irving und Stephen King diskutierend um die Ecke kämen. Tun sie leider nicht, am Ende ist es bloß der Autor dieser Zeilen, tja.
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