Mittwoch, 3. Juli 2019

Hitzewelle in der Provence


Unsere Gartenpforte gehört jetzt zur Kaste der Unberührbaren – das schmiedeeiserne Ding nämlich wird tagsüber so verdammt heiß, dass du es nicht mehr anfassen kannst. Das gilt auch für, ausgerechnet, unseren Sonnenschirmständer, den wir in einem Anfall von Wahnsinn in schwarz eloxierter Ausführung gekauft haben. Schwarz, Sonne, Scheiße, muss ich mehr sagen?



Wir haben eine Wetterstation von Météo France, die eigentlich ganz gut ist. (Außer, dass sie für den nächsten Tag grundsätzlich Regen prognostiziert, wahrscheinlich ist dieser Teil der Anlage noch auf Hamburg eingestellt...) Météo France jedenfalls hat Freitag letzter Woche unter der schattigen Pergola vierundvierzig Grad gemessen, auf dem Weg zum Haus waren's in der Sonne achtundvierzig, und nachdem man das Auto in der Stadt so richtig schön stundenlang auf dem Parkplatz gegart hat, wagte sich dessen Außentemperaturanzeige nahe an die sechzig Grad heran. Und da war noch Juni, merde, dieser Sommer fängt gerade erst an...
Hitzewelle heißt in Frankreich wunderschön la canicule – kommt von canicula, lateinisch „kleiner Hund“ - der den Griechen und uns Heutigen als Sirius bekannte Stern im Sternbild Kleiner Hund, der im Juli und August durch einen astronomischen Zufall direkt neben der Sonne aufgeht. Die Alten glaubten, dass dieser Himmelszwerg unsere Lichtquelle derart zusätzlich befeuert, dass die Sonne sich zu Höchsthitze aufschwingt, heißt ja auch bei uns „Hundstage“. Bitte nicht lachen über diesen Aberglauben: Wir haben zweitausend Jahre Fortschrittsvorsprung vor den Römern, aber trotzdem soll es ja heute Leute geben, die den Klimawandel für einen Mythos halten. So viel zum Thema Mensch und Hitze und Wissenschaft in der Geschichte.
Also, Hitze... Unsere besagte Wetterstation hat auch noch um acht Uhr abends vierzig Grad angezeigt. Was tun, wenn man selbst einen Sonnenschirm nur mit Handschuhen anfassen kann? Zunächst mal: Gar nicht unter den Sonnenschirm gehen. Einfach im Haus bleiben. Besagte abergläubische Vorfahren (wenn auch aus einem ganz anderen Jahrhundert) haben unseren alte Kasten nämlich mit dicken Steinmauern hochgezogen. Die halten kühl! Ganz ohne Klimaanlage, man muss nur geschickt lüften. D'accord, nach einer Woche canicule haben wir am frühen Nachmittag auch achtundzwanzig Grad im Erdgeschoss. Unterm Dach messe ich lieber gar nicht. Da habe ich nämlich meine Schreibstube, und zum Glück habe ich einen neuen Computer ohne Lüfter, der würde sonst da oben winseln, bis mir die Ohren klingeln. (Vermutlich wird mein ultramoderner Rechner dank ohne Lüfter demnächst vorwarnungslos an einem Hitzeschlag verrecken. Irgendetwas ist immer.)
Wir sind jetzt Kaltduscher. Wir saufen Wasser wie die Pferde. Wir trinken heißen Tee und Kaffee – wirklich, machen die Araber schon ewig, und die kennen sich mit Wüstenhitze deutlich besser aus als wir. Wir essen tonnenweise sonnensüßes Obst und frischen Salat und sonst nur wenig. Und unser Hund verwandelt sich in einen See-Hund. Eigentlich in einen Bach-Hund, er springt bei jedem Spaziergang in die Touloubre und schwimmt schlabbernd im Wasser.



Was bei uns im Garten wächst, muss täglich geflutet werden, und seltsamerweise haben wir Bäume und Oleander, die bei dieser Glut nicht etwa welken, sondern wachsen wie irre. Wir haben asiatische Hornissen, die alles attackieren, was fliegt – die gehen wahrscheinlich sogar auf die Jets vom Flughafen Marignane los. Wir haben tropische Tigermücken, die auch tagsüber stechen und grässliches tropisches Fieber übertragen – die aber so unbeweglich sind, dass du sie selbst mit hitzegelähmter Hand locker in die Ewigen Jagdgründe befördern kannst.
Apropos Ewige Jagdgründe: Neulich kreuzte ich im Wald hinterm Haus den Weg einer mindestens anderthalb Meter langen Schlange. Ich dachte, dass ist eine einheimische und mithin harmlose Art. Aber als ich näherkam, spannte sie sich und zischte böse. Ich habe es dann doch nicht ausprobiert, ob sie wirklich einheimisch und harmlos ist.
Autofahren ist auch super. Wir haben einen Elektrowagen, einen eSmart Forfour. Den bekommst du als Neuwagen in Frankreich in schwarz oder gar nicht. Ungelogen, wir wollten weiß, aber hatten keine Wahl. Normalerweise cruist man mit offenen Fenstern durch die Gegend. Jetzt aber musst du in der kleinen Kiste die Klimaanlage anwerfen – und dann schwitzt der Fahrer nicht vor Glut, sondern vor Reichweitenangst. Diese Klimaanlage frisst dir so was von Strom aus der Batterie, da würden einem die Tränen kommen, wenn man denn noch Flüssigkeit im Körper hätte.
Wenn wir dann also mit dem eSmart nach Salon-de-Provence fahren, fühlen wir uns wie Brötchen, die in den Ofen geschoben werden. Städtische Angestellte haben auf Plätzen und Straßen mobile Sprinkleranlagen aufgestellt, die Asphalt und Gehwegplatten besprühen. (Auf der zentralen Place Morgan standen früher viele schattige Laubengänge. Dann haben sie die Fläche schick und leider schattenlos saniert. Jetzt wachsen da einige bleistiftdünne Jungplatanen, die unseren Enkeln wieder Schatten spenden werden – vorausgesetzt, der von dem einen oder anderen ignorierte Klimawandel wird diese Bäumchen nicht unterwegs in verdorrte Skelette verwandeln.) Die Schwimmbäder in Salon-de-Provence verlangen keinen Eintritt mehr und sind bis in die Nacht geöffnet. Die klimaanlagengekühlten Aufenthaltsräume von Seniorenheimen stehen nun allen älteren Mitbürgern offen, damit auch die, die in überhitzten Wohnungen leben, sich runterkühlen können. Freiwillige verteilen Wasser und achten darauf, dass die ganz Jungen und ganz Alten ausreichend trinken. Das traditionelle Renaissancefest (Was das ist, steht hier: https://provencebriefe.blogspot.com/2017/07/amletzten-wochenende-sind-nostradamus.html) wurde vorsorglich abgesagt.
Das ist jetzt ein Kalauer aus der zweituntersten Schublade, stimmt aber: die Leute gehen mit der Hitze ziemlich cool um.



Denn, immerhin, wir haben in der Region noch keinen einzigen Hitzetoten. 2003 war das anders, da starben die Leute (nicht nur in Frankreich) wie die Fliegen. Inzwischen hat selbst die kleinste Gemeinde Notfallpläne, und das Gesundheitsministerium schaltet Fernsehspots und Anzeigenseiten, mit denen es die Leute zum Trinken und zum Sonnenschutz auffordert. Züge und Flugzeuge verkehren regelmäßig. Unsere Straßen werden weder weich noch rissig. Wer arbeiten muss, der arbeitet auch, selbst mittags im Freien. Und auf ihre letzten Schultage haben viele Kinder gar nicht oder nur wenig hitzefrei bekommen. Es soll Länder geben, da kommen die Menschen mit einer Hitzewelle nicht so gut klar.
Hört sich das an wie Jammern auf hohem Niveau? Aber nein! Ich liebe die Hitze, ehrlich. Wenn ich am frühen Morgen durch die Hügel jogge, ist es noch frisch, doch man ahnt schon, was kommen wird – und dieses klimatische Anfeuern macht die Zikaden wahnsinnig, die wie besessen sägen. Und die kommende Hitze dampft Pinienduft aus den Bäumen, dass ich mit jedem Atemzug schwindelig werde vor Glück. Und um Mitternacht geht es ganz dekadent in den Pool. Da treibe ich im lauen Wasser, und über mir funkeln die Sterne, als wär's tatsächlich der Saharahimmel...
In diesem Sinne: einen schönen Sommer!



5 Kommentare:

  1. Vielen Dank für dieses wundervolle Stimmungsbild aus dem provencalischen Sommer! Und ich dachte schon, die 37° letzte Woche in Süddeutschland wären heiß ... Ist halt immer relativ.
    Mit konstant hohen Temperaturen und trockener Luft komme ich in der Regel viel besser klar als mit stark schwankenden Bedingungen, wie wir sie in den letzten Wochen oft hatten. Dank ihrem Post weiß ich jetzt, auf welche Region ich die Suche konzentrieren könnte, wenn es mal an die Wahl des Alterssitzes geht.

    Ich wünsche Ihnen weiterhin einen genußvollen Sommer mit morgendlichem "Pinienkiffen" auf der Joggingrunde und nächtlichem Sternenbad. Und natürlich produktives Schwitzen in der Schreibstube. Klingt insgesamt sehr paradiesisch.

    Herzliche Grüße,
    Andreas

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  2. Hallo Herr Rademacher,
    Sind gerade in Aix im Urlaub. Ich lese gerade ihr neuestes Werk.herrliche Lektüre spannend und gutgeschrieben. Kann man sich das Buch signieren lassen ? Grüße Mathias Jokisch

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    1. Hallo Herr Jokisch, herzlichen Dank. Es tut mir leid, dass ich Ihnen erst jetzt antworte, ich war zwei Wochen unterwegs. Sollten Sie noch in der Provence sein:am 1. 8. bin ich in Marseille. Beste Grüße Cay Rademacher

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  3. Hallo Herr Rademacher,
    Leider überschneidet sich diese. Wir geben morgen unser Quartier hier nahe Aix-en-Provence leider auf und reisen weiter für 2 Tage in die Camargue. Ihr neues Buch liest sich recht spannend, danke für die tolle Urlaubslektüre. Ich hoffe, sie schreiben noch viele tolle Bücher. Für die Provence sind sie vollends zu beneiden! Liebe Grüße Mathias Jokisch

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