Unsere
Gartenpforte gehört jetzt zur Kaste der Unberührbaren – das
schmiedeeiserne Ding nämlich wird tagsüber so verdammt heiß, dass
du es nicht mehr anfassen kannst. Das gilt auch für, ausgerechnet,
unseren Sonnenschirmständer, den wir in einem Anfall von Wahnsinn in
schwarz eloxierter Ausführung gekauft haben. Schwarz, Sonne,
Scheiße, muss ich mehr sagen?
Wir haben eine Wetterstation von Météo
France, die eigentlich ganz gut ist. (Außer, dass sie für den
nächsten Tag grundsätzlich Regen prognostiziert, wahrscheinlich ist
dieser Teil der Anlage noch auf Hamburg eingestellt...) Météo
France jedenfalls hat Freitag letzter Woche unter der schattigen
Pergola vierundvierzig Grad gemessen, auf dem Weg zum Haus waren's in
der Sonne achtundvierzig, und nachdem man das Auto in der Stadt so
richtig schön stundenlang auf dem Parkplatz gegart hat, wagte sich
dessen Außentemperaturanzeige nahe an die sechzig Grad heran. Und da
war noch Juni, merde,
dieser Sommer fängt gerade erst an...
Hitzewelle
heißt in Frankreich wunderschön la
canicule
– kommt von canicula,
lateinisch „kleiner Hund“ - der den Griechen und uns Heutigen als
Sirius bekannte Stern im Sternbild Kleiner Hund, der im Juli und
August durch einen astronomischen Zufall direkt neben der Sonne
aufgeht. Die Alten glaubten, dass dieser Himmelszwerg unsere
Lichtquelle derart zusätzlich befeuert, dass die Sonne sich zu
Höchsthitze aufschwingt, heißt ja auch bei uns „Hundstage“.
Bitte nicht lachen über diesen Aberglauben: Wir haben zweitausend
Jahre Fortschrittsvorsprung vor den Römern, aber trotzdem soll es ja
heute Leute geben, die den Klimawandel für einen Mythos halten. So
viel zum Thema Mensch und Hitze und Wissenschaft in der Geschichte.
Also,
Hitze... Unsere besagte Wetterstation hat auch noch um acht Uhr abends vierzig Grad angezeigt. Was tun, wenn man selbst einen
Sonnenschirm nur mit Handschuhen anfassen kann? Zunächst mal: Gar
nicht unter den Sonnenschirm gehen. Einfach im Haus bleiben. Besagte
abergläubische Vorfahren (wenn auch aus einem ganz anderen
Jahrhundert) haben unseren alte Kasten nämlich mit dicken
Steinmauern hochgezogen. Die halten kühl! Ganz ohne Klimaanlage, man
muss nur geschickt lüften. D'accord,
nach einer Woche canicule
haben wir am frühen Nachmittag auch achtundzwanzig Grad im
Erdgeschoss. Unterm Dach messe ich lieber gar nicht. Da habe ich
nämlich meine Schreibstube, und zum Glück habe ich einen neuen
Computer ohne Lüfter, der würde sonst da oben winseln, bis mir die
Ohren klingeln. (Vermutlich wird mein ultramoderner Rechner dank ohne
Lüfter demnächst vorwarnungslos an einem Hitzeschlag verrecken.
Irgendetwas ist immer.)
Wir
sind jetzt Kaltduscher. Wir saufen Wasser wie die Pferde. Wir trinken
heißen Tee und Kaffee – wirklich, machen die Araber schon ewig,
und die kennen sich mit Wüstenhitze deutlich besser aus als wir. Wir
essen tonnenweise sonnensüßes Obst und frischen Salat und sonst nur
wenig. Und unser Hund verwandelt sich in einen See-Hund. Eigentlich in einen Bach-Hund, er springt bei jedem Spaziergang in die Touloubre und
schwimmt schlabbernd im Wasser.
Was bei uns im Garten wächst, muss
täglich geflutet werden, und seltsamerweise haben wir Bäume und
Oleander, die bei dieser Glut nicht etwa welken, sondern wachsen wie
irre. Wir haben asiatische Hornissen, die alles attackieren, was
fliegt – die gehen wahrscheinlich sogar auf die Jets vom Flughafen
Marignane los. Wir haben tropische Tigermücken, die auch tagsüber
stechen und grässliches tropisches Fieber übertragen – die aber
so unbeweglich sind, dass du sie selbst mit hitzegelähmter Hand
locker in die Ewigen Jagdgründe befördern kannst.
Apropos
Ewige Jagdgründe: Neulich kreuzte ich im Wald hinterm Haus den Weg
einer mindestens anderthalb Meter langen Schlange. Ich dachte, dass
ist eine einheimische und mithin harmlose Art. Aber als ich näherkam,
spannte sie sich und zischte böse. Ich habe es dann doch nicht
ausprobiert, ob sie wirklich einheimisch und harmlos ist.
Autofahren
ist auch super. Wir haben einen Elektrowagen, einen eSmart Forfour.
Den bekommst du als Neuwagen in Frankreich in schwarz oder gar nicht.
Ungelogen, wir wollten weiß, aber hatten keine Wahl. Normalerweise
cruist man mit offenen Fenstern durch die Gegend. Jetzt aber musst du
in der kleinen Kiste die Klimaanlage anwerfen – und dann schwitzt
der Fahrer nicht vor Glut, sondern vor Reichweitenangst. Diese
Klimaanlage frisst dir so was von Strom aus der Batterie, da würden
einem die Tränen kommen, wenn man denn noch Flüssigkeit im Körper
hätte.
Wenn
wir dann also mit dem eSmart nach Salon-de-Provence fahren, fühlen
wir uns wie Brötchen, die in den Ofen geschoben werden. Städtische
Angestellte haben auf Plätzen und Straßen mobile Sprinkleranlagen
aufgestellt, die Asphalt und Gehwegplatten besprühen. (Auf der
zentralen Place Morgan standen früher viele schattige Laubengänge.
Dann haben sie die Fläche schick und leider schattenlos saniert.
Jetzt wachsen da einige bleistiftdünne Jungplatanen, die unseren
Enkeln wieder Schatten spenden werden – vorausgesetzt, der von dem
einen oder anderen ignorierte Klimawandel wird diese Bäumchen nicht
unterwegs in verdorrte Skelette verwandeln.) Die Schwimmbäder in
Salon-de-Provence verlangen keinen Eintritt mehr und sind bis in die
Nacht geöffnet. Die klimaanlagengekühlten Aufenthaltsräume von
Seniorenheimen stehen nun allen älteren Mitbürgern offen, damit
auch die, die in überhitzten Wohnungen leben, sich runterkühlen
können. Freiwillige verteilen Wasser und achten darauf, dass die
ganz Jungen und ganz Alten ausreichend trinken. Das traditionelle
Renaissancefest (Was das ist, steht hier: https://provencebriefe.blogspot.com/2017/07/amletzten-wochenende-sind-nostradamus.html) wurde vorsorglich
abgesagt.
Das
ist jetzt ein Kalauer aus der zweituntersten Schublade, stimmt aber:
die Leute gehen mit der Hitze ziemlich cool um.
Denn,
immerhin, wir haben in der Region noch keinen einzigen Hitzetoten.
2003 war das anders, da starben die Leute (nicht nur in Frankreich)
wie die Fliegen. Inzwischen hat selbst die kleinste Gemeinde
Notfallpläne, und das Gesundheitsministerium schaltet Fernsehspots
und Anzeigenseiten, mit denen es die Leute zum Trinken und zum
Sonnenschutz auffordert. Züge und Flugzeuge verkehren regelmäßig.
Unsere Straßen werden weder weich noch rissig. Wer arbeiten muss,
der arbeitet auch, selbst mittags im Freien. Und auf ihre letzten Schultage haben viele Kinder gar nicht oder nur wenig hitzefrei bekommen.
Es soll Länder geben, da kommen die Menschen mit einer Hitzewelle
nicht so gut klar.
Hört
sich das an wie Jammern auf hohem Niveau? Aber nein! Ich liebe die
Hitze, ehrlich. Wenn ich am frühen Morgen durch die Hügel jogge,
ist es noch frisch, doch man ahnt schon, was kommen wird – und
dieses klimatische Anfeuern macht die Zikaden wahnsinnig, die wie
besessen sägen. Und die kommende Hitze dampft Pinienduft aus den
Bäumen, dass ich mit jedem Atemzug schwindelig werde vor Glück. Und
um Mitternacht geht es ganz
dekadent in den Pool. Da treibe ich im lauen Wasser, und über mir
funkeln die Sterne, als wär's tatsächlich der Saharahimmel...
In
diesem Sinne: einen schönen Sommer!
Vielen Dank für dieses wundervolle Stimmungsbild aus dem provencalischen Sommer! Und ich dachte schon, die 37° letzte Woche in Süddeutschland wären heiß ... Ist halt immer relativ.
AntwortenLöschenMit konstant hohen Temperaturen und trockener Luft komme ich in der Regel viel besser klar als mit stark schwankenden Bedingungen, wie wir sie in den letzten Wochen oft hatten. Dank ihrem Post weiß ich jetzt, auf welche Region ich die Suche konzentrieren könnte, wenn es mal an die Wahl des Alterssitzes geht.
Ich wünsche Ihnen weiterhin einen genußvollen Sommer mit morgendlichem "Pinienkiffen" auf der Joggingrunde und nächtlichem Sternenbad. Und natürlich produktives Schwitzen in der Schreibstube. Klingt insgesamt sehr paradiesisch.
Herzliche Grüße,
Andreas
Merci beaucoup!
LöschenHallo Herr Rademacher,
AntwortenLöschenSind gerade in Aix im Urlaub. Ich lese gerade ihr neuestes Werk.herrliche Lektüre spannend und gutgeschrieben. Kann man sich das Buch signieren lassen ? Grüße Mathias Jokisch
Hallo Herr Jokisch, herzlichen Dank. Es tut mir leid, dass ich Ihnen erst jetzt antworte, ich war zwei Wochen unterwegs. Sollten Sie noch in der Provence sein:am 1. 8. bin ich in Marseille. Beste Grüße Cay Rademacher
LöschenHallo Herr Rademacher,
AntwortenLöschenLeider überschneidet sich diese. Wir geben morgen unser Quartier hier nahe Aix-en-Provence leider auf und reisen weiter für 2 Tage in die Camargue. Ihr neues Buch liest sich recht spannend, danke für die tolle Urlaubslektüre. Ich hoffe, sie schreiben noch viele tolle Bücher. Für die Provence sind sie vollends zu beneiden! Liebe Grüße Mathias Jokisch