Am
letzten Wochenende sind Nostradamus und Katharina von Medici mit
großem Gefolge bei uns durch Salon-de-Provence gezogen und unsere
jüngste Tochter ist mitgegangen. So ungefähr. Seit einunddreißig
Jahren zelebriert die Stadt – Achtung, Wortspiel für
Französischlehrerinnen! - die Fêtes
Renaissance
(Klingt fast gleich wie, genau, Faites
Renaissance!
Nicht verstanden? Macht nix: Ich wäre mit meinem Schulfranzösisch
da auch schon ausgestiegen, ich war kein Held. Die Übersetzung und
Erläuterung überlasse ich jetzt den Französischlehrerinnen.)
Anno
Domini Fünfzehnhundertschlagmichtot jedenfalls hat nämlich
Katharina von Medici – Catherine de Médicis für ihre Untertanen
-, die nahezu allmächtige und nicht total unblutlüsterne
Königinmutter Renaissancefrankreichs, den dräuenden
Zukunftsdeuter Michel de Nostredame (Nostradamus ist die Version für
Lateinlehrer.) zwecks Konsultationen besucht. Nostradamus hat in
Salon-de-Provence (damals Salon de Crau) gelebt, und Platz für den
königmütterlichen Hofstaat gab's in der Stadt allemal: Kurz zuvor
war zufällig gerade mal wieder eine Seuche durchgezogen, und da
standen viele Häuser komfortablerweise leer.
Ich
habe in meinem Leben schon das eine oder andere historische Buch
gelesen, aber noch nie bin ich über einen Text gestolpert, in dem
behauptet würde, dass dieser Salon-Besuch die Geschicke Europas,
Frankreichs oder wenigstens der Provence grundstürzend geändert
hätte.
Egal.
Seit
1986 – die Älteren unter den Lesern werden sich erinnern: um diese
Zeit herum waren Nostradamus' Prophezeiungen plötzlich viel höher
in den Bestsellerlisten, als es meine armen Provencekrimis je
schaffen werden – seit 1986 jedenfalls begeht Salon-de-Provence
jenen Besuch alljährlich im Sommer mit einem mehrtägigen Spektakel.
(Der originale Katharina-Nostradamus-G2-Gipfel fand, nun bin ich doch genau, am 17. Oktober 1564 statt. Das aktuelle Fest wurde heuer vom
30. Juni bis 2. Juli zelebriert, aber, eh
bien,
im Oktober könnte es regnen, und wer will sein Fest schon mit
Wassertropfen teilen? Irgendwann werden sie in der Provence noch
Weihnachten in den Juli verlegen.)
Das
Fest ging neunundzwanzig Jahre lang ungefähr so: Großbürgerliche,
nicht ganz uneitle, nicht ganz unreiche Damen und Herren zwängten
ihre Leiber in prachtvollste Renaissanceklamotten, dem
Nostradamus-Darsteller wurde ein Rauschebart angeklebt und der Papst
war auch jedes Jahr dabei, und dann sind diese überstolzen
Großbürger in einem historischen Umzug am gaffenden Volk vorbei
defiliert, hinauf ins alte Schloss der Stadt. Als hätte sich nichts
geändert seit Fünfzehnhundertschlagmichtot.
Seit
Salon-de-Provence jedoch einen neuen Bürgermeister hat, dürfen auch
weniger Bemittelte mitgehen. (Nein, juchhu, kein Politiker vom Front
National: Nicolas Isnard ist ganz bürgerlich bei den Gaullisten und
war, echt wahr, Neunzehnhundertschlagmichtot DJ auf unserer
Hochzeit.).
Also
war unsere Jüngste mitsamt Freundinnen, diversen Müttern und einem
tapferen Großvater dabei, als Bauersgirl verkleidet, wenn schon
Dritter Stand, dann richtig Dritter Stand. Sie hatte Sonnenblumen und
Lavendel in der Hand und Sonne im Herzen und war ungefähr schon Tage
vorher rotgesichtig-aufgeregt.
Um
einundzwanzig Uhr ging's los: Immer noch eine Katharina, füllig,
streng, ganz in Schwarz gekleidet, immer noch ein bärtiger
Nostradamus, immer noch ein oller Papst und immer noch wirklich,
wirklich cool aussehende Renaissancehöflinge und -damen. Dahiner
Ritter auf Rössern, höher als jeder SUV; Bauern auf Karren, die von
Eseln gezogen wurden, die munter auf die Straßen kackten;
akrobatische Fahnenschwenker aus Salons italienischer Partnerstadt
Gubbio; Gestalten auf Stelzen, mit Flöten und Dudelsack, Mitglieder
von Kostümgruppen, deren Mädels und Jungs sich denken: Renaissance
= Mittelalter = Elben und Orks.
Will sagen: grellbunt geschminkte, spitzohrige Darsteller, die so was
von einundzwanzigstes Jahrhundert sind, das kann man sich gar nicht
vorstellen, die aber mächtig Lärm und mächtig Spaß machen. Und,
klar, fast zum Schluss: die Bäuerinnen.
Am
Freitag- und am Samstagabend ist unsere Jüngste so durch Salon
marschiert. Am Ende war sie ziemlich erschöpft, obwohl eigentlich
gar nicht viel passiert ist. Als karnevalserprobter Ex-Rheinländer
erwartet man ja instinktiv bei einem Umzug, zu dem sich erwachsene
Menschen in irrsten Kostümen verkleiden, Kammelleregen und
Bützchengewitter. Nichts da. Die Leute stehen am Gassenrand und
bestaunen die prächtig Herausgeputzten, die winken freundlich
zurück. Aber, hey, die Stimmung ist großartig: überall dröhnt
mehr oder weniger mittelalterliche Musik zwischen den Gassen, in
Buden kannst du allerlei Krimskrams kaufen (der Experte sagt:
allerspätestes Mittelalter), und die Cafés, Bars und Restaurants
sind voll, voller, Salon-de-Provence.
Kurz:
Es hat mordsmäßig Spaß gemacht.
Mit
dem Renaissance-Umzug beginnt traditionell hier der Kultursommer. In
Arles hast Du die besten Fotografen der Welt zu Gast, in La Roque-d'Anthéron die besten Pianisten (siehe Provencebrief vom 20. August 2015; https://provencebriefe.blogspot.fr/2015/08/dienocturnes-von-chopin-klingen-gut.html),
in Aix-en-Provence und Orange die tollsten Sänger und überhaupt
gibt's Konzerte, Theateraufführungen und Ausstellungen, dass einem
Augen und Ohren übergehen. (Viele übrigens für lau.) Auch in
Salon-de-Provence steht der Rest des Sommers keineswegs unter
Kitschverdacht: Mitte Juli werden etwa famose Theatertruppen aus
Paris und Grenoble moderne Stücke und Klassiker geben, mitten im
Innenhof der Burg aus der Renaissance.
Ganz
echt, das alles, und diesmal auch ganz authentisch.
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