Die Tour d'Horloge in Salon-de-Provence ist ganz sicher nicht das berühmteste Monument im Midi, doch ich finde diesen Uhrenturm richtig sympathisch. Das liegt gar nicht mal so sehr daran, was gebaut worden ist, also an seinem Äußeren, sondern eher, wie er gebaut worden ist, also an seiner Geschichte. (Klar, ich habe, erstens, in fernen vergangenen Zeiten noch fernere vergangene Zeiten studiert und bin, zweitens, auch schon mal mediterraner Bauherr gewesen, da freut man sich immer, wenn man was lernen kann.)
Also: Kurz vor dem Jahr 1600 beschließt der Rat der Stadt Salon, dass man eines der überflüssig gewordenen mittelalterlichen Festungstore durch einen Uhrenturm ersetzen soll, damit fürdahin alle Bürger wissen, wie spät es ist. Das ist auch eine Form vom Abschied aus dem Mittelalter und der Ankunft in der Moderne: Jeder muss jetzt pünktlich sein. Das ist ein öffentliches Bauvorhaben und, die Berliner unter uns kennen das, bei öffentlichen Bauvorhaben geht es Schlag auf Schlag: Schon gut ein Vierteljahrhundert nach dem Beschluss wird bereits der Grundstein gelegt. Der Baumeister Joseph Portau und die Maurer Sautel, Père et Fils, machen sich 1626 an die Arbeit, zwischendurch verklagt der eine den anderen oder den Stadtrat, aber 1630 ist der Turm fertig.
Oder, halt, doch nicht...
Die öffentlichen Bauherren, die Berliner unter uns kennen das, haben second thoughts. Zwei Etagen sind nicht genug für einen Turm, wer hätte das gedacht, es müssen, genau, drei Etagen sein! Leider, die Lauterbachs unter uns kennen das, kommt dann ein Virus dazwischen. Die Pest geht um, und von den damals gut dreitausend Bürgern Salons ist plötzlich die Hälfte tot. (Es lohnt sich, über solche Seuchen nachzudenken, bevor man mal wieder über Corona und Coronamaßnahmen weint.) Jedenfalls dauert es noch bis 1664, dann aber haben Salons Überlebende die dritte Etage endlich errichtet.
Ein Uhrmacher aus Lançon setzt ein Uhrwerk ein, das nicht allein die Zeit, sondern auch die Mondphasen anzeigt. Drei Glocken, insgesamt schlappe zweieinhalb Tonnen Bronze, werden mit der Mechanik gekoppelt und melden auch akustisch, wem welche Stunde geschlagen hat. Was ich übrigens genial finde: Man hat gerade diese Stelle der alten Stadtmauer als Platz des Uhrenturms gewählt, weil sie in der Hauptwindrichtung steht. So weht das Glockengeläut besonders oft und besonders laut über die Dächer, auf dass niemand mehr sagen kann, er wüsste nicht, wie spät es ist, Zeitdruck made im 17. Jahrhundert.
Nun, der Turm wirkt wie ein mittelalterlicher Donjon, nein, halt, wie ein Renaissancebauwerk, nein, halt, wie ein italienischer Campanile, nein, halt, manche Flaneure erinnert er sogar an eine chinesische Pagode, aber, hey, er tut seine Pflicht. Das Uhrwerk erwies sich als so solide, dass man bislang ungefähr einmal pro Jahrhundert neue Zahnräder und was man sonst so braucht einbauen muss, es läuft zuverlässiger als ein Renault und ist wartungsfreundlicher als ein iPhone. Als 1909 die Erde in der Provence bebte, blieb der Turm unerschütterlich stehen, das Uhrwerk allerdings auch: Es zeigte zehn nach neun Uhr abends an, den exakten Zeitpunkt des seismischen Ereignisses. Dann wurde die Mechanik wieder repariert und, tja, die Uhr läuft und läuft.
Was mich aber - d'accord, nicht als Historiker, wohl aber als Bauherren - vor Bewunderung wirklich auf die Knie sinken lässt, sind die Gesamtkosten für alles: für über sechs Jahrzehnte gestreckte Maurerarbeiten, drei Bronzeglocken, eine eisernen Spitze und eine hochkomplexe mechanische Uhr waren 11.161 Livres fällig.
Das entspricht nach heutigem Umrechnungskurs ungefähr 335.000 Euro.
Eh bien, unsere modernen Bauten schaffen wir nur noch mit ein paar Nullen bei den Kosten mehr, aber dafür halten sie dann auch ein paar Nullen bei den Jahren weniger lang.
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