Montag, 8. August 2022

Die Passage nach Maskat

Marseille ist, was ja leider manchmal vergessen wird, seit schlappen zweieinhalb Jahrtausenden einer der schönsten und größten Häfen des Mittelmeers. Das war in der Antike schon so, das ist heute noch so – und das war auch in einer Epoche so, die zumindest ich als irgendwie „goldenes Zeitalter“ im Kopf habe: die Zwanziger Jahre. (Die des letzten Jahrhunderts. Für unsere Zwanziger Jahre fallen mir ganz andere Adjektive ein als ausgerechnet „golden“.) Also, die Jahre 1920ff waren erstaunlich modern, ziemlich irre, sie endeten tragisch und irgendwie umweht sie bis heute ein romantischer Hauch. Jazz-Age, Roaring Twenties, Les Années folles.

Eigentlich ein gutes Romanthema.


Es hat allerdings ein Weilchen und ein paar Tausend Kilometer Umweg gedauert, bis ich auf diesen Trichter gekommen bin. Vor ein paar Jahren habe ich, man traut sich ja kaum, das so zu nennen, nun ja: auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet. Eigentlich habe ich auf der Mein Schiff 1 (Dem alten Dampfer dieses Namens, es gibt, glaube ich, inzwischen einen neuen.) ein paar Vorträge für die Passagiere gehalten, das war's schon mit der Arbeit. Dafür schipperten wir von der Türkei via Ägypten bis nach Maskat und Dubai. Genau: Ägypten... Suezkanal.... Deshalb habe ich das Angebot damals angenommen, wann bekommt man sonst noch mal die Chance, mit einem Ozeanliner diese legendäre Passage zu machen? Mit einem Schiff quer durch die Wüste, das ist auch bei Temperaturen über 30 Grad Celsius schon sehr, sehr cool.



Maskat im Sultanat Oman erwies sich dann ebenfalls als kleine Offenbarung: Eine schöne, glücklich unrestaurierte, sehr lebendige orientalische Stadt. Kurz: Die ganze Reise war selbstverständlich 21. Jahrhundert, aber irgendwie fühlten sich manche Tage an wie Agatha Christie.

Super, mache ich einen Roman draus. Ein Krimi auf dem Kreuzfahrtschiff? Es kam mir keine richtige Idee, ich wollte meinem zeitweiligen Arbeitgeber/Gastgeber auch keine blutige Geschichte andichten und, sorry liebe Reederei, Mein Schiff 1 ist ein ziemlich genialer Name für einen aktuellen Vergnügungsdampfer, aber das klingt leider deutlich weniger mythisch als, sagen wir: Titanic oder Mauretania.

Also historisch, Back to the Future of the Jazz Age und, hey, ich habe Marseille direkt vor der Nase, und hier herrschen immer années folles! In den Zwanziger Jahren waren die Luxusdampfer der hiesigen Reederei Messageries Maritimes die Königinnen von Mittelmeer, Rotem Meer, Indischen Ozean, Pazifik. Von der Provence aus ging es mit ihnen, unter anderem, in die Levante, nach Arabien, Afrika, Indochina, Japan, Tahiti... Die 1925 in Dienst gestellte Champollion zum Beispiel war in der Ersten Klasse so luxuriös ausgestaltet wie das (ja ebenfalls gerade erst in den Zwanziger Jahren sensationell entdeckte) Grab des Tutanchamun. Statuen, Fresken, Hieroglyphen überall, und in das Rauchglas der Restaurantfenster waren Lotusblüten eingraviert, dem Pharao hätte es an Bord sicher gefallen.

Die Champollion ist irgendwann vor Beirut gesunken. Von der einstigen Pracht zeugen nur noch ein paar Augenzeugenberichte und Fotos – bei meinen Recherchen bin ich zum Beispiel auf diese Postkarte gestoßen, die ein Passagier kurz vor der Abfahrt aus Marseille an einen namentlich nicht genannten Copain, einen Freund geschrieben hat.





Auf diese Champollion habe ich ziemlich erfundene, teilweise erfundene und ganz und gar echte historische Gestalten zur „Passage nach Maskat“ eingeladen: Einen Fotografen, der an den berühmtesten Lichtbildner der Weimarer Republik erinnert, eine kokain- und skandalsüchtige Nackttänzerin aus Berlin, eine traurige junge Französin, eine fröhliche ältere Engländerin, einen etwas zu optimistischen amerikanischen Ingenieur, einen italienischen Anwalt mit zweifelhaften Referenzen sowie eine Handvoll ziemlich mieser Typen. Voilà: Im Herbst 1929, die Welt ist im Champagner- und im Börsenrausch und jedermann verschließt die Augen vor der aufziehenden Gewitterfront der Dreißiger Jahre, geht diese bunte und alles andere als sündenfreie Gesellschaft an Bord der Champollion und reist quer durch die Meere bis nach Maskat. In Ägypten steigt man auf die Pyramiden (das war damals noch erlaubt, und Beduinen haben beim mühseligen Hochklettern geholfen) und besucht Howard Carter im Grab von Tutanchamun (ja, der hat auch 1929 dort gearbeitet) und, natürlich, man bewundert den Suezkanal. Alles könnte so schön sein – wenn nicht eine Reisende der Ersten Klasse spurlos verschwinden würde. Eine Dame, von der anschließend die allermeisten Mitpassagiere und Seeleute unerschütterlich behaupten, dass sie nie auf der Champollion gewesen ist...




Alors, das ist nicht Roger Blanc, und das ist auch nicht die Provence von heute. Es würde mich aber trotzdem freuen, wenn ich die eine oder andere Leserin, den einen oder anderen Leser dazu überreden könnte, an Bord der Champollion zu kommen und die Passage nach Maskat zu genießen.


P.S.: Der Historische Kriminalroman erscheint am 16. August. Mehr Informationen zum Buch gibt es wie immer beim Verlag DuMont:

https://www.dumont-buchverlag.de/buch/rademacher-passage-nach-maskat-9783832181970/



P.P.S.: Chère amies, cher amis, bientôt nous pouvons embarquer pour un voyage (historique) entre Marseille et Mascate. Bienvenue à bord du Champollion...


https://www.editions-jclattes.fr/livre/la-traversee-vers-mascate-9782702451212/

2 Kommentare:

  1. Sehr geehrter Herr Rademacher. Vielen Dank für diesen Roman über diese Schifffahrt in der 1930ern. Als ich den Roman begonnen habe, fiel mir auf dass sie dieses Portal des Grand Hotels beschrieben haben, das ich im Sommer selbst auch fotografiert habe. Zuvor habe ich den Krimi über Les Baux gelesen. In diesem wurde ein steinerner Fensterrahmen einer Ruine beschrieben, den ich im Sommer ebenfalls fotografiert hatte. Ich scheine den selben Blickwinkel zu haben wie sie. Ich bin mal auf den nächsten Provencekrimi gespannt.
    Vielleicht entdecke ich wieder ein Detail, das ich selbst schon in der Provence entdeckt habe... Liebe Grüße.

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    1. Hallo Steffen, herzlichen Dank - und viel Erfolg bei der Suche nach dem nächsten Motiv. Gibt davon ja einige in der Provence... Ihr Cay Rademacher

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