Voilà, die „Geheimnisvolle Garrigue“ ist da! Capitaine Roger Blanc ermittelt in seinem neunten Fall, will sagen, er ist seit neun Monaten in der Provence, will sagen: es ist jetzt März im Midi.
März … da war doch was? Genau: Corona et Confinement. (So heißt das hier, was am anderen Rheinufer auf gut Hochdeutsch Lockdown genannt wurde, war aber viel strenger, dazu gleich mehr.) Das ist nun wirklich nicht zynisch gemeint, doch diese verdammte Seuche musste ich einfach, nein zweifach aufgreifen. Erstens bin ich ja auch Journalist und kann so ein Ereignis nicht ignorieren. Zweitens bin ich Krimi-Autor und, nun ja, wenn man das ganze Land einsperrt, dann ist das schon ein reichlich herausforderndes Setting für eben einen Krimi...
Die Provence war im März 2020 vielleicht so schön wie seit Menschengedenken nicht mehr. Der blaue Himmel, die magischen Farben, die waren wie immer präsent – nur diesmal ohne irgendeinen einzigen Kondensstreifen am Himmel und ohne Abgasschwaden der Rush Hour. Es war, nun, nicht unfassbar still, es war musikalisch: Kein scheppernder Renaultdiesel, kein drei Quadratkilometer gleichzeitig beschallendes, röhrend frisiertes Zweirad, ich habe stattdessen Singvögel jubilieren gehört, von deren Existenz ich bis dahin nichts ahnte, und selbst eine homöopathisch leichte Brise hat die Wipfel von Pinien und Eichen vernehmlich rauschen lassen. Sogar der Meteorologengott hat mitgespielt: Es war sonnig, schon Mitte März frühsommerlich warm, aber nicht zu trocken, die Natur hat in wenigen Wochen Terrain zurückerobert, das ihr über Generationen von uns Menschen entrissen worden ist. Im Étang de Berre beispielsweise staksten Flamingos herum, die aus der Camargue herübergeflogen waren, sie stolzierten durchs flache Wasser bis direkt neben der Startbahn des Flughafens von Marignane, denn, eben, da startete überhaupt nichts mehr.
Eine Idylle war das trotzdem nicht, wie könnte es auch eine gewesen sein: In den Krankenhäusern haben die Menschen um ihr Leben gekämpft (und weit mehr als in Deutschland haben diesen Kampf verloren), anderen hat die Seuche zwar nicht ihre Gesundheit, aber ihren Beruf und ihre Existenz ruiniert. Und Präsident Macron hat dem Virus den „Krieg“ erklärt (siehe hier: https://provencebriefe.blogspot.com/2020/03/nachden-worten-von-prasident-macron.html).
Das bedeutete: Polizei- und Gendarmeriekontrollen überall, sogar Überwachung mit Drohnen, saftige Strafen bei Missachtung der Ausgangssperre (bis hin zum Gefängnis) – und bei uns patrouillierten sogar schwer bewaffnete Fremdenlegionäre durch die Landschaft, denn deren Hauptquartier liegt in Aubagne, neben Marseille. (Interessantes Gedankenspiel: Ein paar Coronaleugner, die sich zum „Spaziergang“ verabredet haben, laufen einem Trupp Fremdenlegionäre in die Arme...)
Capitaine Blanc und seine Kollegen Marius und Fabienne jedenfalls verwandeln sich in diesem März von Gendarmen vorübergehend in Besatzungssoldaten, die eine Ausgangssperre durchsetzen: Sie verteilen an jeden einen PV (ein Strafmandat von mindestens 135 Euro), der ohne Sondererlaubnis seine Nase vor die Haustür schiebt. Und: Sie hassen diesen Job (wie die meisten ihrer echten Kollegen auch), weil sie nicht länger Mörder und Dealer jagen, sondern Rentner und Obdachlose stellen oder einfach Typen, die so schusselig sind, das Formular mit ihrer Sondererlaubnis zu Hause vergessen zu haben.
Glück im Unglück, gewissermaßen, dass Blanc und seine Leute denn doch einen echten Verbrecher jagen müssen, und was für einen: Ausgerechnet am Tunnel du Rove (siehe hier: https://provencebriefe.blogspot.com/2022/04/tunnel-du-rove-bei-marignane-jules-verne.html), einem der gruseligsten Orte in der ganzen Provence, verschwindet ausgerechnet eine junge Frau, und die einzige Spur, die sie zurücklässt, erinnert fatalerweise ausgerechnet an eine niemals aufgeklärte Verbrechensserie, die das Land schon vor Jahren einmal erschüttert hat.
Blanc stellt sich, einerseits, ganz klassische Fragen, wie bei jeder Ermittlung: Wer ist das Opfer? Was ist geschehen? Wer könnte ein Motiv haben, der Frau etwas anzutun? Schlägt der Täter von einst wieder zu oder ist dies das Werk eines Nachahmers? Andererseits stellt er sich Fragen, die er sich nie zuvor stellen musste: Was hat eine junge Frau mitten während einer Pandemie ausgerechnet am verlorenen Tunnel du Rove zu suchen? Und vor allem: Wer kann überhaupt ein Verbrechen begehen, wenn doch fast die gesamte Bevölkerung eingesperrt ist und alle Orte von Polizei, Gendarmerie und Armee bewacht werden?
Blanc, Fabienne und Marius machen sich also auf in jene seltsam verzauberte, seltsam unheimliche Provence: farbenfroh, jubilierend, warm, unfassbar menschenleer. Das heißt: Nach und nach finden sie heraus, dass sie in dieser scheinbaren Idylle doch nicht so alleine sind, wie sie dachten...
Das Buch gibt es ab dem 17. Mai in der guten, alten Papierform. (Greifen Sie zu, so lange es noch Papier gibt!) Oder in guten, neuen E-Book-Formaten. (Greifen Sie zu, so lange es noch Halbleiter gibt!) Oder demnächst auch wieder als Hörbuch. (Hören Sie zu, so lange … d'accord, das ist echt nicht mehr lustig.) Jedenfalls: Ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn Sie, geimpft, genesen, getestet oder nix von allem, mit Roger Blanc durch eine Provence streifen, wie es sie nie zuvor gegeben hat.
P.S.: Eine schöne Besprechung (mit bestem Dank an den Rhein!) gibt es im Bücheratlas:
Herzlichen Dank für "mein" jährliches Geburtstagsbuch! So fängt der Sommer auch am Rhein gut an!
AntwortenLöschenDas freut mich - und einen schönen Sommer!
LöschenIch freue mich immer schon Monate im Voraus, sobald ein neues Buch mit Roger Blanc angekündigt wird. Auch das neueste Buch hält, was es verspricht. Hervorragende Charaktere und wunderschöne Landschaft. Vielen Dank an den Autor für diese tolle Serie, die soviel zu bieten hat!
AntwortenLöschenMerci beaucoup!
LöschenHallo Herr Rademacher,
AntwortenLöschenHallo Mitarbeiter/in von Herrn „Rademacher“,
schon seit Jahren werde ich von Ihren Büchern gut unterhalten - lese und höre diese mit Freude.
Bei Ihrem letzten Werk „Geheinnisvolle Garrigue“ ist mir Folgendes aufgefallen, oder ich habe es einfach überlesen oder nicht gehört:
Laetitia Fabre wird Sonntags als vermisst gemeldet, sendete bisher jedoch regelmäßig an den Sonntagen Fotos mit ihrem Smartphone an ihre Freundin.
Warum versucht die Polizei denn nicht zuerst das Smartphone zu orten?
Ansonsten - bisher alles Klasse!
Nur die o.g. Frage treibt mich um…:-)
Hallo Joreko, vielen Dank für Ihre freundlichen Worte. Die Gendarmen suchen selbstverständlich immer nach dem Handysignal, nur beschreibe ich das nicht mehr jedes Mal ausführlich. Hier ist es so (S. 9), dass Sylvain anruft und sofort auf die Mailbox weitergeleitet wird, mehr braucht es, denke ich, nicht. (Das ist so wie, beispielsweise, Fingerabdrücke. Auch da sucht man ja eigentlich jedesmal nach ihnen, ohne dass es immer ausgeführt wird, sonst wird der Text einfach zu lang.) Nur da, wo es für die Geschichte wichtig wird - im spärteren Verlauf des Romans - geht es detaillierter um Handyempfang, -daten, -zeiten etc. Mit besten Grüßen, Cay Rademacher
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