Freitag, 15. Januar 2021

Schnee und Viren in der Provence

 

Im Weihnachtskrimi „Stille Nacht in der Provence“ habe ich sinngemäß geschrieben, dass es bei uns eigentlich nie schneit – et voilà, kaum kommt der Januar, schon schneit es im Midi...








Wir wachen auf, und alles liegt unter einer feinen weißen Decke. Schnee klebt auf den Buckeln und Vorsprüngen der alten Steinmauern, liegt als Decke über Tisch, Stühlen, Liegestühlen, begräbt die Wiese, glitzert im Bambus am Ufer der Touloubre. Der Himmel ist grau, man sieht kaum ein paar Meter weit, so dicht tanzen die Flocken in der Luft – und so wild, dass ich glauben möchte, sie fallen gar nicht zu Boden, sondern machen Kapriolen in der Luft wie besoffene Kunstflugpiloten.








Über dem Bach steht feiner Nebel. Hier ist es wohl nur etwa 0 Grad kalt, der Schnee klebt wie eine schwere Decke auf der Natur. Als ich mit dem positiv verwunderten (Positiv? Darf man das noch im positiven Sinne meinen?) Hund hinaus gehe, klebt Schnee an seinen Pfoten, an seiner Schnauze, überall. Nur ein paar Dutzend Meter weiter geht es die Hügel hoch. Hier knirscht der Schnee unter den Sohlen, mit jedem Höhenmeter fällt das Quecksilber um ein paar Millimeter.

Ansonsten: Stille.








Kein Auto auf irgendeiner Route Départementale, denn außer Yours Truly mit seinen althamburger Traumata hat hier niemand Winterreifen aufgezogen. Kein Fahrradfahrer. Kein Wanderer. Kein Jogger. Kein Jäger, gepriesen sei Petrus für jede Flocke, die er aus dem Kissen schüttelt! (Ach nee, das war Frau Holle.)

Apropos Jäger: Im Schnee fühlt man sich wieder so wie in den Tagen der Ausgangssperre. Eigentlich besser, nämlich gleicher. Wir haben das in Frankreich nun schon zweimal hinter uns und vielleicht steht uns der nächste Massenhausarrest bald bevor. (Geimpft wird hier viel weniger als in Deutschland, was unter anderem daran liegt, dass die Bürokraten in Paris wie immer alle Franzosen im Allgemeinen und Ärzte wie Krankenschwestern im Besonderen für doof halten und deshalb einen detaillierten Erlass veröffentlicht haben, wie zu impfen sei. Diese Anleitung war leider grotesk falsch, so wurde vorgeschrieben, die Impfspritze in einem spitzen (statt rechten) Winkel anzusetzen und nur dicht unter die Haut zu führen, statt tief in den Muskel. Was insofern egal war, als mit den Impfdosen falsche Spritzen geliefert wurden, mit viel zu kurzen Nadeln. Man könnte denken, im Gesundheitsministerium hatte niemand Zeit, sich auf die bevorstehende Impfkampagne vorzubereiten.)

Eh bien, Schnee ist gerechter als Ausgangssperre, weil er der große Gleichmacher ist. In der echten Ausgangssperre zum Beispiel durfte unsere damals zwölfjährige, kerngesunde Tochter nicht in den Wald (Ansteckungsgefahr, klar). Ein fünfundsiebzigjähriger, übergewichtiger, an Diabetes und Lungenkrankheiten leidender Mann durfte aber sehr wohl dort hinein – sofern er Jäger war und eine Knarre bei sich trug. Damit hat er wahrscheinlich die Viren abgeschossen, so dass Covid ihn nicht erwischte, denn für Waidmänner galt die Ausgangssperre auf einmal nicht mehr. Man hat hier Märkte auf Parkplätzen vor Supermärkten dichtgemacht, aber die Supermärkte dahinter offengelassen. Die Buchläden waren geschlossen, da nicht essenziell – aber Lottoannahmestellen waren offen, da essenziell, jo nich! Du durftest (und darfst immer noch) nicht trotz Maske, Sicherheitsabstand und was-weiß-ich ins Theater oder Kino, aber als ich mit dem TGV von Brüssel nach Aix-en-Provence gefahren bin, saß ich fünfeinhalb Stunden lang Schulter an Schulter mit meinem Sitznachbarn in einem bis auf den letzten Sitz ausgebuchten Waggon.

Dass wir uns nicht missverstehen: Meine Frau ist Krankenschwester, eine Tochter studiert Medizin, in der erweiterten Familie sind leider schon ein paar Leute an Covid gestorben. Ich habe inzwischen sieben Tests hinter mir (meine Nase und die Wattestäbchen sind per „Du“), trage Maske, bis ich mit beschlagener Brille blind durch die Gegend stolpere, bin sehr für Impfungen und harte Maßnahmen – aber ich lasse mich ungern vera... Genau. Die Seuchenpolitik ist manchmal grotesk widersinnig, weil sie eher das Resultat ganz gewöhnlicher Lobbyarbeit ist als vernünftige medizinische Vorsorge. (Jäger haben eine bessere Lobby als Kinder, zum Beispiel, Lotto bringt dem Staat mehr Einnahmen als Bücher, wobei das noch zu beweisen wäre.)

Wo war ich? Schnee. Alors, für ein paar Stunden waren wir wieder alle gleich, jeder in seinen vier Wänden, die Welt war friedlich. Inzwischen ist die weiße Pracht wieder weggetaut, vorgestern haben wir den ersten Kaffee des Jahres draußen getrunken. Dick eingepackt, im Windschatten einer Mauer (der Mistral blies), aber immerhin.

Vielleicht wird 2021 ja doch noch alles gut.

1 Kommentar:

  1. Wunderbar. :) Ich habe vom Schnee im Midi von unseren Verwandten gehört, und muss sagen, den würde ich auf Dauer ARG vermissen. <3 Wir hatten in Mittelhessen unterhalb des Westerwalds in diesem Jahr ganz untypisch viel und lange Schnee, und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben dass uns noch ein wenig bevorsteht.

    AntwortenLöschen