Der
gewöhnliche Provenzale hinterlässt in freier Wildbahn gerne Spuren
– wahrscheinlich, um sein Revier zu markieren. Statt ein Hinterbein
am Baum zu heben, werden an strategisch günstigen Stellen
Zigarettenkippen, Flaschen, Papiertaschentücher und, vor allem,
Plastikbehältnisse aller Art abgelassen. Jäger, die zur Zeit wieder
auf jedes bewegliche Ziel ballern, verschönern mit ihren bunten
Patronenhülsen selbstverständlich die Landschaft. (Kinder spielen
gerne damit, vor allem Jungen. Manchmal verliert ein Waidmann auch
mal eine scharfe Patrone...) Mountainbiker werfen die grellbunten
Flaschen ihrer Dopingdrinks in sportlichem Schwung während der
Schussfahrt ins Gebüsch. Picknickende Kleinfamilien hinterlassen
Lichtungen in einem Zustand, wie andernorts in Europa Wiesen nach
einem 50 000-Zuschauer-Open-Air-Festival aussehen. Und Bauarbeiter,
oft ursprünglich osteuropäischer Abkunft, laden nach vollbrachtem
Tagwerk im sanften Dämmer der untergehenden Sonne Betonschutt und
Eisenschrott malerisch neben einsamen Landstraßen ab.
Es
ist dabei keineswegs so, als ob es bei uns an Robin Hoods aus dem
Wald und für den Wald fehlen würde: engagierte Umweltschützer
kämpfen hier seit Jahren epische Schlachten für die Natur. Einer
der Ihren war sogar eine Zeit lang Umweltminister, aber es ist auch
kein Wunder, dass Nicolas Hulot schließlich vor kurzem aufgab,
resigniert. Denn schon auf gewissermaßen nationaler Ebene genießt
Ökologie nicht gerade oberste Priorität, um es mal vorsichtig zu
formulieren.
Dabei
wollen wir hier gar nicht jene amour
fou
zwischen der Grande Nation und ihren tollen Atomkraftwerken nennen,
nein, das Elend fängt schon viel simpler an. Glasflaschen zum
Beispiel gelten, außer für alle Arten Alkoholika, als überflüssige
Aliens – vom Wasser bis zur Cola schwappt jegliches Flüssiges in
Plastikflaschen. (D'accord,
ein paar Bio-Säfte kriegste auch im Glas und die eckigen Tetrapacks
sind ebenfalls ein Nischenprodukt.) Diese Plastikflaschen sind
selbstverständlich nicht
Pfand, klar. Die sollen in Öko-Containern recycelt werden, zusammen
mit Blechdosen und Zeitungen. Oui,
oui,
bei uns kommen Plastik, Metall und Papier in dieselbe Gelbe, eine
Trennung der Wertstoffe auf verschiedene Behälter wäre eine
unzumutbare Einschränkung bürgerlicher Freiheiten.
Bon,
alors:
Diese verdammten Plastikflaschen werden hier millionenfach geleert –
und es wird nur jede zweite Flasche recycelt. Im nationalen
Durchschnitt. Bei uns im Süden, Département Bouches-du-Rhône,
da ist es, na? Nein, noch schlimmer: jede zehnte Flasche... Eine
Flasche im Container, neun Flaschen in der Natur, das ist doch mal
eine Quote!
Als
wir in den mittleren Zweitausender Jahren unsere Ölmühle
restauriert haben, wollten wir eine Solaranlage auf dem Dach
installieren. Ging nicht. Hat niemand je gemacht, keiner wollte es
wagen, die Handwerker haben uns angeguckt, als wären wir bescheuert.
Begründung: „Ihr Dach liegt nicht richtig zur Sonne.“ In der
Provence! Mon Dieu, wir haben ungefähr einer Millionen soliden,
netten, fleißigen Arbeitsmännern erklärt, dass im trüben Hamburg
fußballfeldgroße Kollektoren auf Einfamilienhäusern glitzern und
da soll fast direkt am Mittelmeer ... vergiss es.
Merde,
ich habe mir später einen faltbaren Kollektor besorgt, eigentlich
für unsere Outdoor-Touren. Irgendwann habe ich den jeden Tag bei uns
auf den Tisch unter die angeblich suboptimale Sonnenstrahlung gelegt,
eine große Batterie drangeflanscht und mit dem tagsüber gewonnenen
Strom dann wenigstens nachts unsere Handys geladen. Die Leute sehen
mich immer noch an, als wäre ich, genau.
Nun
haben wir uns ein Elektroauto gekauft. Trotz diverser Abwrack- und
sonstiger Prämien noch immer gesichtsverzerrend teuer, aber, hey,
irgendwann muss man mal damit anfangen, oder? Ein Smart Forfour, kein
Exotenauto, aber wir mussten trotzdem einige Wochen auf ihn warten.
Es gab in ganz Frankreich nämlich nur gerade mal fünf auf Lager,
davon, klar, kein einziges Exemplar bei uns im Süden.
Es
ist ja schon ein paar Leuten vor mir aufgefallen, wie wahnsinnig geil
es ist, mit einem Stromer um die Kurven zu flitzen. Dieses
Autoscooter-Feeling und diese Stille und diese Beschleunigung und,
okay, dafür gibt es die Kollegen der Motorpresse.
Wir
rasen jedenfalls damit rum, im ersten Monat tausend Kilometer, fast
täglich im Einsatz, und die Leute gucken uns an, als wären wir, na ja, genau. Du fährst zum Beispiel irgendwo hin und ansonsten ganz
ernsthafte und kluge Bürger erklären dir dann mit Tremolo in der
Stimme, dass so ein Elektroauto überhaupt nicht fahren kann, weil es
ja immer liegenbleibt. Und du antwortest: „Aber ich bin doch soeben
und vor deinen Augen mit der Karre vorgefahren!“ Und sie sehen dich
an, als wärst du...
Also
alles hoffnungslos?
Mais
non.
Frankreich ist bekanntlich das Land der unbeugsamen gallischen
Dörfer. Stromer und andere Ökos bilden halt so etwas wie ein
gallisches Dorf. Klein, aber Caesar kann mich mal. Eigentlich flitzen
hier nämlich schon eine ganze Menge winziger Zoes rum, und
futuristische i3s und die schicken Teslas vom schicken Händler aus
dem schicken Aix-en-Provence. Täglich werden wir mehr. Und nicht nur
in Salon-de-Provence, selbst in unserem winzigen Nachbarstädtchen
haben sie inzwischen Stromparkplätze eingerichtet. Nur für uns
Gallier, und den Saft aus der Ladesäule gibt's sogar gratis.
Irgendwann
werden sie hier auch getrennte Container aufstellen. Irgendwann
werden die Gallier die Pfandflasche erfinden. Und irgendwann finden
wir auch noch jemanden, der uns einen Solarkollektor auf unser
suboptimales altes Dach schraubt.
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