Sprechen
wir einmal über das zweitinteressanteste Thema der Welt nach, äh,
Donald Trump: das Wetter. Wollen Sie einmal einen provenzalischen
Wetterbericht lesen, obwohl Sie gerade in, sagen wir, Hamburg,
Berlin, München, Köln schmachten? Wirklich. Eh bien...
5.
Januar, gegen 12.00 Uhr. Sonne, wolkenloser Himmel, leichtester
Südwind, achtzehn Grad Celsius im Schatten, aber hier ist weit und
breit kein Schatten. Über den Wellen schwebt eine fingerdünne
Dunstschicht, das Wasser kräuselt sich höchstens so hoch wie eine
ungebügelte Tischdecke, ein Schwarm Gänse zieht majestätisch
nordwärts durch den Zenith. Kann ich alles ganz genau beobachten.
Ich
war nämlich mit meinem Sohn segeln.
Wie
jedes Jahr rund um Silvester. Weil es immer so schön ist.
Wir
haben an Bord Mittag gegessen, die Jacken konnten wir wirklich nicht
mehr anbehalten, aber Sonnenbrillen waren praktisch und eigentlich
hätte uns eine Tube Sonnencreme auch nicht geschadet. Zur selben
Zeit saß meine Frau mit den Töchtern übrigens beim Essen auf der
Terrasse...
Bei
den Blumen und Sträuchern sprießen die ersten Triebe, das Gras
schießt in die Höhe, Vögel zwischtern, klar, hey, es ist doch
schon Januar!
Ein
Klischee?
Nun
ja. Einerseits haben wir es in der Provence amtlich: Im abgelaufenen
(Rekord-)Jahr 2017 ist Marseille Frankreichs sonnigste Stadt gewesen.
(„Sonnig“ ist ja ein Attribut, das einem sonst nicht als
allererstes zu Marseille einfällt.) Marseille hat es auf 3110
Sonnenstunden im Jahr gebracht, das sind 60 bis 70 Stunden mehr als
an der Côte d'Azur oder auf
Korsika. Paris hinkt mit 1629 Stunden hinterher, und will wirklich
jemand wissen, wieviele es in im bretonischen Brest waren? Gut,
tapfer sein: 1257 Stunden.
Andererseits
haben wir hier schon im November, während Hamburger Freunde noch
tapfer den üblichen Regen ignorierten, morgens die Autos freikratzen
müssen. Nachts kann die wunderbare, klare provenzalische Luft
nämlich schweinekalt werden. Und das ziemlich rasch.
Das
ist eines der ersten Dinge, die jeder Neu-Provenzale lernt:
unterschätz den Winter nicht! In der Sonne kann es tatsächlich am
frühen Nachmittag bis beinahe zwanzig Grad warm sein. Aber sobald
das Gestirn erschöpft hinter den Horizont fällt, rauscht das
Thermometer nach unten, als wäre die Quecksilbersäule der Kopf
einer Tiefenbohrung. Zehn Grad Temperaturverlust in der ersten Stunde
nach Dämmerung – kein Problem. Zwanzig, fünfundzwanzig Grad
Verlust bis zur Mitte der Nacht – kein Problem. In den Fünfziger
Jahren des letzten Jahrhunderts ging es einmal von nachmittags bis
nachts binnen acht Stunden um fast vierzig Grad in den Keller:
zwanzig Grad, es wurde bloß das Vorzeichen vertauscht.
Seit
ungefähr zwölf Wochen verfeure ich deshalb Abend für Abend ganze
Wälder in unserem herrlichen Ofen. Unsere Jüngste hat Körnerkugeln
für die Meisen aufgehängt, denn die haben nichts zu picken.
Hungrige Wildschweine kommen abends oft und tagsüber leider manchmal
auch schon bis nahe ans Haus, um Knollen und was-weiß-ich-noch aus
dem Boden zu wühlen. (Meine Frau hat gestern beinahe einen
Herzinfarkt erlitten, als sie sich plötzlich mittags zwischen Bäumen
Auge in Auge mit einem ausgewachsenen Eber wiederfand. Zum Glück war
dieses Wildschwein gerade aus irgendwelchen Gründen desorientiert und ist erratisch durch die Botanik gerannt, statt
zur Attacke überzugehen.)
Deshalb
muss man hier zwischen Anfang November und Ende Januar die Sonne
genießen, sobald sie da ist: Raus in die Wälder, Küsten, Berge,
raus aufs Boot, raus auf die Terrasse, raus in die Cafés und
Bistrots, raus, raus, raus! Aber vergiss bloß Mantel und Mütze
nicht und immer schön in den Himmel gucken, um zu sehen, wo die
Sonne gerade steht. Und immer mal wieder zwischen die Bäume linsen,
um nicht über ein Wildschwein zu stolpern.
Der
echte Frühling beginnt im Midi normalerweise erst irgendwann im
Februar. Dann sind Pflanzen und Tiere in Feierfortpflanzungslaune und
der Mensch kann sich etwas entspannter zurücklehnen: Wird schon
nicht mehr frieren...
Übrigens
sind mein Sohn und ich dann einen Tacken zu spät im Hafen gewesen.
Es dämmerte schon, und wir haben mit steifen Fingern und eisigen
Füßen die Yacht, nun ja, winterfest gemacht.
P.S.:
Wir erinnern uns: 3110 Sonnenstunden 2017 in Marseille. In Hamburg
waren es im gleichen Zeitraum 1450. Muss ich noch erkläreDate:Jan. 13, 2018n, warum ich
ausgewandert bin? (Besten Dank, Ralph!)
Die 580 Stunden Sonne in Hamburg ist die Summe für den Sommer 2017, der Ganzjahreswert liegt bei etwa (je nach Quelle) 1450 Stunden.
AntwortenLöschenWas natürlich die Aussage kaum schmälert...