Die
genialste Erfindung der an genialen Erfindungen reichen französischen
Kultur ist ohne Zweifel der Kreisverkehr. In Deutschland pflügen
quadratisch-praktisch denkende Tiefbauingenieure Kreuzungen durch die
Landschaft, an deren roten Ampeln man dann selbst nachts, wenn nur
noch Füchse und Eulen unterwegs sind, endlose Minuten dumm auf der
Straße steht. Bestenfalls erdenken sie, wie bei meinem Vater
praktisch vor der Haustür, einen Kreisverkehr mit so vielen durch
Betonbarrieren unterteilten Ein- und Ausfädelspuren, dass man ein
Diplom an der TH Aachen errungen haben muss, um die richtige Ausfahrt
aus diesem Labyrinth zu treffen. In Frankreich bauen sie stattdessen
seit dem Neolithikum einen Kreisel, um den die Autofahrer wie im
Karussell brausen, bis sie, quasi auf natürliche Weise, durch die Fliehkraft an der richtigen Ausfahrt wieder hinausgeschleudert
werden.
Der
einzige, entscheidende Trick eines jeden rond-point:
In dessen Mitte wölbt sich ein kleiner, künstlicher Hügel auf. Der
muss höher sein als die Sitzposition der normalen Chauffeure. Wenn
man als Autofahrer nämlich wegen dieses Hügels nicht sehen kann,
wer alles schon durch den Kreisverkehr flitzt und zugleich jedoch
weiß, dass die, die schon drinnen sind, Vorfahrt haben, dann, eh
bien,
fährt man einigermaßen langsam und vorsichtig in die Spirale ein.
Ungefähr
ebenfalls seit dem Neolithikum waren eben jene künstlichen
Sichtbehinderungen stets kleine, konische Erdhaufen, auf denen
unzerstörbar robustes Gestrüpp wucherte. Seit wenigen Jahren jedoch
vollzieht sich, zumindest hier im Midi, eine ästhetische,
straßenbautechnische und finanzielle Revolution: Die Hügel in der
Mitte der Kreisverkehre werden von den jeweils für sie zuständigen
Städten zu, nun ja, Denkmälern? Monumenten? Werbeinseln? Auf jeden
Fall zu bizarren Formationen umgestaltet.
In
Salon-de-Provence etwa stiert seit ein paar Monaten der örtliche
Säulenheilige Nostradamus als metallischer Schattenriss die
kreiselnden Autofahrer an. Und wenn keiner vorbeifährt, dann schaut
der große Renaissance-Visionär auf einen Möbelladen, einen
Citroën-Händler
und die Rampen, die zu einer Schnellstraße hinaufführen. Ob das der
Wahrsager in seinen verrätselten Prophezeiungen auch irgendwo
vorausgesagt hat?
Ein
paar Hundert Meter weiter, gleiche Stadt, gleicher Kitsch, prunkt
eine monströse, quaderförmige Marseiller Seife auf einem
Kreisverkehr, der, zum Beispiel, direkt auf eine Autobahnzufahrt
mündet.
Mein
Lieblinskreisverkehr wölbt allerdings die D113 auf, eine Route
départementale, die von Salon-de-Provence bis nach Marseille führt,
wo die Pendler wie die Wahnsinnigen rasen und wo deshalb jedes Jahr
mehr Leute sterben als in so manchem Schützengraben des Ersten
Weltkriegs. Dort hat die Stadt Lançon
(Die dem einen oder anderen geneigten Leser vielleicht aus dem einen
oder anderen Roger-Blanc-Krimi bekannt ist.) einen wahrhaft
pharaonischen Bau errichtet. (Ich darf das sagen, ich habe kürzlich
die Pyramiden gesehen und verkünde hiermit autoritativ, dass selbst
Cheops nicht auf die Idee gekommen wäre, einen solchen Kreisverkehr
zu errichten.)
Da
erhebt sich, im Irgendwo zwischen Olivenbäumen und Feldern und einem
Laden für Reiterbedarf, ein Mount Everest des Kreisverkehrs auf.
Darauf: Eine natursteinverkleidete Mauer, in der Mitte ein halb
geöffnetes, gigantisches schmiedeeisernes Tor, drumherum Grünzeug
wie im Park zu Versailles, in den vier Hauptachsen das in den Boden
eingelassene Stadtwappen, so groß, dass es noch die Astronauten von
der ISS aus sehen können. Das Tor öffnet sich zum blauen Himmel,
die Mauer begrenzt nichts als die Luft drumherum und wenn man das
Monument aus der Nähe bewundern will, dann müsste man zu Fuß den
Kreisverkehr queren, was, siehe oben, latent suizidal wäre und
deshalb meines Wissens noch nie jemand gewagt hat.
Da
fragt man sich schon: Putain,
warum setzen die Städte plötzlich solche Monumente auf ihre
Straßen?
Ich
habe da eine Theorie, die selbstverständlich vollkommen
unsoziologisch ist:
Erstens
fördert eine Stadt mit pharaonischen Bauten zuallererst die lokale
Industrie. Das gewaltige und gewaltig überflüssige Tor von Lançon
etwa wurde von einem örtlichen Schmied gefertigt, und der wird sich
das fürstlich bezahlt haben lassen. Das sichert Arbeitsplätze,
Gewerbesteuern und im Zweifelsfall die Wiederwahl eben jenes
Bürgermeisters, der diesen Kreisverkehr geformt hat.
Zweitens
schließen sich gerade alle Städte in gefühlt hundert Kilometer
Umkreis zu einer Metropolenregion Aix-Marseille zusammen, einer Art
Mega-Großstadt. Praktisch niemand hat dieser von der Regierung in
Paris dekretierten Reform zugestimmt, und das ist noch eine
Untertreibung. Von den 120 betroffenen Bürgermeistern waren 119
dagegen: Nur der Bürgermeister von Marseille war dafür, dass jetzt
alle Gemeinden des Umlands verwaltungstechnisch, vereinfacht
ausgedrückt, zukünftig ungefähr so wie außen liegende
Stadtbezirke behandelt werden.
Denn
die allgemeine, wahrscheinlich und traurigerweise höchst
realistische Befürchtung ist, dass, ist erst einmal die Metropole
da, alle Gelder aus allen diesen schönen Städten in den
korruptionszerfressenen Taschen von Marseille verschwinden werden.
Alors:
Die Städte haben, bevor die Metropole jetzt per Gesetz über sie
gekommen ist, das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinausgeworfen,
nein, hinausgeschleudert.
Die
kleine Route départementale zwischen unserem Dorf und unserem
Städtchen, drei Kilometer den Hügel hoch, ungefähr so breit wie
eine Go-Kart-Bahn, ist in den letzten Monaten
was-weiß-ich-wieviele-mal aufgerissen, neu asphaltiert, wieder
aufgerissen,wieder neu asphaltiert worden. Das lässt sich mit
Behördenirrsinn alleine nicht mehr erklären, das muss Methode
haben: Lieber vergräbt man seine Euroscheine im Asphalt einer
Landstraße, als sie nach Marseille zu überweisen.
Und
so hat halt auch jede Stadt in hundert Kilometer Umkreis um Marseille
pseudo-antike Ruinen, ausrangierte Militärflugzeuge, metallene
Riesenherzen, eingravierte Wahlsprüche, gekünstelte Olivenmühlen
und was weiß ich noch auf ihre Kreisverkehre gepflanzt. Hauptsache,
das lokal dem Steuerzahler sauer abgeknöpfte Geld wird lokal
verbaut und nicht in die verhasste Mafiakapitale investiert.
Drittens,
und hier es doch ein ganz klein wenig traurig, müssen auch in der
Provence Städte zu Marken werden, es ist der Kapitalismus, Baby!
Salon-de-Provence etwa setzt auch deshalb Nostradamus und
Riesenseifen an Umgehungsstraßen, weil auf eben jenen
Umgehungsstraßen Shopper dahinbrausen. Nur wenige Kilometer weiter
nämlich, in Miramas, hat der Bürgermeister eine Village
de marques
auf die (in der Trockenheit hier nicht so arg) grüne Wiese gesetzt:
Ein riesiges Outlet-Center, das sich als provenzalisches Dorf
verkleidet hat: Jeder Shop ein pseudo-mediterranes Haus, keine
Hundescheiße auf dem Trottoir, Security ist da, und Parkplätze gibt
es, dass dir die Augen tränen.
Seit
dem Neolithikum weiß jeder, dass solche Shoppingareale dir die
Innenstädte töten können. Wer geht in die Boutiquen, zum Bäcker,
in die typischen, tollen, großartigen Cafés, Bistrots und
Restaurants, wenn er, kostenlos parkend, in eine desinfizierte
Neo-Provence eintauchen kann? Leider viele.
Salon-de-Provence
ist eine lebendige Stadt, 50 000 Einwohner, eine Burg in der Mitte,
schöne Läden drumherum. Aber wenn sie das noch lange bleiben will,
obwohl direkt nebenan so ein Konsumententempel hochgezogen worden ist
(Mon
Dieu,
Hunderte Passagiere, die auf Kreuzfahrtschiffen in Marseille ankern,
werden mit Bussen direkt in die Village
de marques
gekarrt! Das ist für diese Touris der Provence-Ausflug des
Tages...), dann muss sie halt ... genau: Werbung machen!
Diese
Kreisverkehre sind deshalb stolze, laute und vielleicht ein ganz
klein wenig verzweifelte Reklametafeln für die Stadt. Das Aufbäumen
einer Gruppe unbeugsamer Gallier gegen die Caesaren des globalen
Konsumkapitalismus. Ein Akt des Widerstands, gewissermaßen. In
diesem Sinne: Bei den nun anstehenden Weihnachtseinkäufen umrase ich
Nostradamus, zwinkere ihm zu – und lass mich auf die Straße
hinausschleudern, die mich in die Innenstadt führt. Zu den Cafés
und Bistrots und, ja doch, auch zu den Ständen des
Weihnachtsmarktes.
PS: Falls jemand zufällig gerade Lust auf die Provence hat, gibt es hier aktuell noch schüchterne Anregungen:
http://de.france.fr/de/lektueretipps-fuer-frankreich-fans/rubric/149701/interview-mit-cay-rademacher-tipps-fuer-ihre-provence-reise?btl=1
PS: Falls jemand zufällig gerade Lust auf die Provence hat, gibt es hier aktuell noch schüchterne Anregungen:
http://de.france.fr/de/lektueretipps-fuer-frankreich-fans/rubric/149701/interview-mit-cay-rademacher-tipps-fuer-ihre-provence-reise?btl=1
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