Weil
Hillary Clinton es nicht geschafft hat, die erste Präsidentin ihres
Landes zu werden, könnte Marine Le Pen es schaffen, die erste
Präsidentin ihres Landes zu werden. Das ist doch mal ein
historischer Scherz, und der ist zum Totlachen.
Denn,
klar, Trump ist, wie Le Pen, der kristallreine, eindimensionale,
zerstörerische Protest: Zerschlagt das System! Und was eigentlich
danach kommen soll, das ist, sorry, scheißegal.
Hillary
Clinton konnte in ihrem Rennen um die Macht mehr Geld ausgeben, sie
hatte einen riesengroßen Teil der Medien auf ihrer Seite, das große
Wirtschaftskapital sowieso, eine goldglänzende Legion von
Hollywood-, Pop- und Sportstars, von Autoren und Professoren; sie
hatte Jahrzehnte in der Löwenarena der Politik hinter sich, davon
acht im Weißen Haus an der Seite ihres alles in allem noch immer
recht populären Gatten, dazu Jahre als Außenministerin und
Senatorin; sie hatte bereits mehrere ultraharte Wahlkampagnen
durchgefochten. Kurz: Hillary Clinton war viel, viel besser
munitioniert als ... alle einigermaßen demokratischen Politiker im
heutigen Frankreich.
Also:
Wenn ein Donald Trump eine solche formidable Gegnerin wie Hillary
Clinton beiseitefegen kann, dann kann eine Marine Le Pen auch die
Hobbits beiseitefegen, die noch zwischen ihr und dem Elysée stehen.
Seien
wir ehrlich: Populisten gibt es immer, und immer wird es Vollpfosten
geben, die ihnen begeistert zubrüllen werden. Das sind aber,
meistens, ziemlich wenige, weil die Mehrheit der Menschen eigentlich
nett, vernünftig und friedfertig ist. Populär werden Populisten
erst, wenn eine Demokratie in der Krise ist. Und Krise heißt Krise,
wenn es große Probleme gibt, die niemand mehr löst. Populisten
gewinnen keine Wahlen – es sind Demokraten, die Wahlen verlieren.
Erst, beispielsweise, in der Agonie der Weimarer Republik ist so eine
Knallcharge wie Hitler groß geworden. Und welcher Demokrat stand ihm
1931, 1932 entgegen? Genau. Es gab keinen Politiker von Format mehr,
nicht bei den Sozialdemokraten, nicht im Zentrum, nirgendwo, der noch
eine brauchbare, glaubwürdige demokratische Alternative zum
Marschtrittdenken der NS-Horden präsentiert hätte.
In
vielen Kommentaren kann man nun zwischen den Zeilen lesen, dass
letztlich ein Haufen blöder, armer, zukurzgekommener, weißer Männer
Trump gewählt habe. Abgesehen vom etwas bedenklichen
Demokratieverständnis solcher Kommentare – One
man, one vote,
Baby, egal, ob Einstein sein Kreuzchen macht oder ein Trailerkid.
Also, abgesehen davon: Fast die Hälfte der Wählerinnen hat
ebenfalls für Trump gestimmt. Yupp. Obama und Sanders haben in ihren
(Vor-)Wahlkampagnen mehr Frauenstimmen eingefahren als Hillary
Clinton.
Vielleicht
ist es doch so, dass die Leute nicht ganz so blöd sind, wie viele
Kommentatoren sie nun schmähen. In den USA kann man wahnsinnig
leicht seinen Job, seine Gesundheit, seinen Schulplatz, sein Haus,
sein Alles verlieren. Clinton ist für dieses gnadenlose System
(mit-)verantwortlich, und sie hat immer klar gemacht, dass sie an diesem System auch nichts ändern wird. Trump hingegen hat, auf unfassbar
primitive, vulgäre und hasszerfressene Weise, aber eben doch
klargemacht, dass er es ändern will.
In
den größeren Städten hat, beispielsweise, ungefähr die Hälfte
aller schwarzen Männer mindestens schon einmal im Gefängnis
gesessen. Trump mag ein übler Rassist sein – aber das System, das
diese Männer massenhaft hinter Gitter verfrachtet, ist unter anderem
dank einiger Gesetzesverschärfungen durch Clinton (male) entstanden,
was Clinton (female) nie zu ändern versprochen hat. Deshalb wählen
Schwarze noch lange nicht Trump – aber warum sollten sie in
wahlentscheidend großer Masse Hillary Clinton wählen? Es ist nicht
pure Blödheit, die ihnen vorgaukelt, dass Hillary Clinton für ein
diskriminierendes, gescheitertes System steht.
Es ist ihr Alltag.
Ich
lebe in Frankreich und habe auch mal für eine (überschaubare) Zeit
in den USA gelebt – und da fängt man an, Parallelen zu ziehen, und
da wird es ungemütlich.
Mais
oui,
die politische Kultur ist in Frankreich eine andere, das Wahlsystem
ist es auch, die Parteien sind es sowieso. Und doch... Auch hier ist
das gesamte System so sehr in der Krise, dass sich Millionen nicht
bloß aus Bauchgefühl, sondern aus echtem Schmerz bedroht fühlen:
Ein
Viertel der französischen Jugendlichen ist arbeitslos.
In
Frankreichs Städten werden Hunderte Menschen von islamistischen
Tätern ermordet und wir haben einen Präsidenten, der danach im
Fernsehen erklärt, dass man da sowieso nichts machen könne. Und bis
weit in den muslimischen Mainstream (wir reden hier auch von
Abgeordneten) wird erklärt, dass doch einige der Ermordeten Juden
seien und deshalb... genau.
In
den letzten zehn Jahren ist ein erheblicher Teil der französischen
Industrie einfach verdampft.
Die
französischen Arbeitsgesetze sind zwanzig Mal so umfangreich wie die
Arbeitsgesetze in dem bekannten Sklaven-Niedriglohn-Ausbeuterland
Schweiz: 4000 Seiten Text gegen 200 Seiten.
Die
Bürokratie ist so irre ausgewuchert, dass selbst für alltäglichste
Dinge – du willst einen Schulbus für die Kinder beantragen, ein
umgestürzter Baum staut einen Bach auf – nicht einmal klar ist,
wer dafür überhaupt zuständig ist.
Diese
Liste könnte ich noch sehr, sehr lange fortsetzen. Man kann
Handwerker fragen oder Lehrerinnen, Richter oder Krankenschwestern.
Sie erzählen schier unfassbare Dinge. Und nirgendwo ändert sich
etwas, nichts verbessert sich, Stillstand überall.
Und
die Politik? 2017 ist doch Präsidentenwahl....
Also:
Bei den Grünen (EELV) ist die einzige profilierte Kandidatin gleich
in der ersten Runde der internen Vorwahlen wie ein flammender
Zeppelin vom Himmel geschossen worden. Jetzt werden sie von zwei
charismatischen Leerstellen repräsentiert. Jean-Luc Mélenchon ist
ein wortgewaltiger Linksprediger ohne eigene große Partei. Die
letzten Kommunisten Frankreichs wollten ihn unterstützen (zumindest
die Spitzenfunktionäre der PCF wollten es), doch bei einer
parteiinternen Abstimmung... genau. Arnaud Montebourg wäre auch
gerne Linkspopulist, aber er weiß nicht, ob er bei den Sozialisten
kandidieren soll oder außerhalb oder überhaupt. Das alte Spiel
mithin, die Linke ist zerstritten und ausschließlich mit sich selbst
beschäftigt.
François
Hollande? Der lässt sich von einem Leibwächter auf dem Motorroller
zur Mätresse kutschieren und diktiert zwei Journalisten über Jahre
hin (!) ein Geständnisbuch voll peinlichster Selbstenthüllungen in
den Block. Wenn ich als Krimi-Autor einen solchen Präsidenten
erfunden hätte, würde mir selbst meine überaus freundliche und
verständnisvolle Lektorin das Manuskript als Keks in den Mund
stopfen. „So einen Trottel im höchsten Staatsamt glaubt dir kein
Mensch!“
Ah,
aber die Rechte! Ein Präsidentschaftskandidatkandidat der
(demokratischen) Rechten fabulierte von „jüdischen Verschwörern“,
die Hillary Clinton zum Sieg manipulieren werden. (Hat nicht ganz
geklappt.) Nicolas Sarkozy, der schon einmal Gelegenheit hatte, la
France
zu retten, das aber irgendwie versemmelt hatte, fordert nun
öffentlich, alle vom Geheimdienst als „Verdächtige“ bezeichnete
Personen einzusperren. Einfach so, ohne Urteil und prinzipiell für
immer. Ein Gulag à
la français.
Korrigiert mich, wenn Ihr könnt: Aber damit hat ein ehemaliger
Präsident der Republik sogar Donald Trump rechts außen überholt.
In
Frankreich steckt das System, steckt zumindest das Establishment aus
Politik und Medien und allem, was dazugehört, in einer mindestens so
profunden Krise wie in den USA. Aber kaum einer der Systempolitiker
hat eine so starke Position, wie Hillary Clinton sie gehabt hat. Und,
bei allem Missfallen, man muss darüberhinaus zerknirscht zugeben:
Marine Le Pen ist tausendmal klüger, geschickter und strategisch
denkender als Donald Trump.
Alors,
oui,
seit Amerikas 11/9 ist auch Frankreichs 11/9 möglich. Der Front
National kriecht auf das Herz der Macht, auf das Herz der Nation zu,
das Undenkbare ist denkbar geworden und der historische Scherz zur
bitteren Möglichkeit.
PS:
Es gibt noch eine Hoffnung, und die heißt Alain Juppé. Ein
politisches Schlachtross der Gaullisten, schon über die Siebzig, der
jetzt gegen Sarkozy und Co. die Vorwahlen der Rechten zum
Präsidentschaftskandidaten gewinnen will. Chancen dazu hat er, und
vielleicht ist sein Alter seine größte Chance. Er selbst hat es
gesagt und jeder weiß es: Diese Mann hat nur einen Schuss frei.
Juppé hat nur eine Amtszeit, er wird sich nicht um eine Wiederwahl
oder um Umfragewerte scheren. Wenn jemand rasch und, leider, brutal
die Reformen macht, die das demokratische System nun braucht, um
demokratisch zu bleiben, dann er.
Vielleicht.
Frankreichs
bescheidene Hoffnung also ruht auf einem persönlich eher
schüchternen, verbindlichen, technokratischen, nur bedingt
mitreißenden Herrn im besten Rentenalter.
Wie
sieht es eigentlich in Deutschland aus?
PPS: Jetzt hat Emmanuel Macron, Selfmademillionär, Ex-Wirtschaftsminister und Frankreichs einziger Sozialdemokrat (Was für eine Vita für so relativ wenige Lebensjahre!) auch seine Kandidatur angemeldet. Damit hat er den traditionellen Rechten ihre Werbeshow mitten in der heißen Phase der Vorwahlen vermasselt. Und seinem Präsidenten und Ex-Förderer Hollande die eigene Kandidatur und zugleich einen staatstragenden Auslandsbesuch versalzen. Im Boxen nennt man so etwas "Wirkungstreffer". Mal sehen, was Macron noch so alles drauf hat...
PPS: Jetzt hat Emmanuel Macron, Selfmademillionär, Ex-Wirtschaftsminister und Frankreichs einziger Sozialdemokrat (Was für eine Vita für so relativ wenige Lebensjahre!) auch seine Kandidatur angemeldet. Damit hat er den traditionellen Rechten ihre Werbeshow mitten in der heißen Phase der Vorwahlen vermasselt. Und seinem Präsidenten und Ex-Förderer Hollande die eigene Kandidatur und zugleich einen staatstragenden Auslandsbesuch versalzen. Im Boxen nennt man so etwas "Wirkungstreffer". Mal sehen, was Macron noch so alles drauf hat...
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