Die
Hölle liegt unter den Ruinen von Les Baux, sie leuchtet in allen
Farben des Himmels und sie heißt Carrières
des Lumières
- „Steinbruch des Lichts“.
Diese Hölle ist vor vierzig Jahren geschaffen worden, und ihre Geschichte geht so:
Diese Hölle ist vor vierzig Jahren geschaffen worden, und ihre Geschichte geht so:
Les
Baux ist eine Burg auf einem der letzten Felssporne der Alpilles:
Eine wilde, wüste, majestätische Festung, die im Mittelalter die
weite Ebene am Saum des Berglandes beherrschte. Die Herrn von Baux
riefen hier einst zum Sängerwettstreit, ihr Gemäuer hallte von den
Liedern der Troubadours wider. Heute wirkt die mistralumtoste Ruine so
wild-perfekt wie ein Feen-Schloss aus einem teuer produzierten
Fantasy-Film. Die Mauern wachsen scheinbar übergangslos aus dem
schrundigen Felsgrund in die Höhe. Kein Wunder auch, denn sie sind
aus dem gleichen Stein geschnitten.
Val
d'Enfer
heißt die Schlucht, das „Höllental“, in der vom Mittelalter bis
ins 19. Jahrhundert für die Burg und für Kirchen und Häuser von
Baux-de-Provence Kalksteinblöcke herausgehauen, später herausgesägt
worden sind. Immer tiefer haben sich die Menschen dabei in den Berg
gehackt und geschnitten, und kein Granit hat je ihre Eisen
gesplittert, sondern am Ende der schnöde Mammon. Irgendwann war's zu
teuer, hier weitere Steine zu gewinnen. Der Mensch ging – und die
Höhle blieb.
Denn
über die Jahrhunderte haben die Bergleute dabei bis zu neun Meter
hohe, kathedralengroße, eckige Höhlen unter die Burg von Les Baux
getrieben. Als hätten sich, Achtung, Fantasy-Flash!, Tolkiens Zwerge
hier einmal so richtig verausgaben dürfen: Ein Zugang, als hätte
ein Unsterblicher mit seiner Axt den Fels gespalten. Dahinter
stockdüstere, eckige, wuchtige, majestätische Felshallen. Wände,
wie mit Thors Hammer geschlagen. Böden wie vernarbter Stein. Decken
im Dunkel über dem Kopf. Tempel eines archaischen Götterkultes, die
in einen Berg hineingezwungen worden sind.
Verlassen
und vergessen.
Bis
1959 Jean Cocteau die Hallen für sich entdeckte – und dort viele
Szenen seines Films Le
Testament d'Orphée
drehte. Und danach: verlassen und vergessen.
Bis
1975 der Journalist Albert Plécy den aufgegebenen Steinbruch sah und
eine geniale Vision hatte: Hier soll man Kunst zeigen! Nein, keine
Originale in einer schaudrig-modrige Eventhalle. Sondern, nun ja,
Dias...
Klingt
wie Opas Urlaubsfotoabend mit Toast Hawaii und Fanta? Plécy sah
Anderes. Die eckigen Wände aus hellem Kalkstein sind ideale
Projektionsflächen, und die Böden auch, und die Decken auch.
Überall in diesem lichtabgeschlossenen Geviert ließ er projizierte
Bilder aufleuchten: Skizzen alter Meister, so groß wie ein Bus.
Ölporträts, die eine Hauswand ausfüllen könnten.
Hunderte
Besucher kamen, um in den perfekt dunklen Höhlen die riesenhaften,
leuchteten Bilder zu bestaunen. Es kamen Tausende. Zehntausende.
Irgendwann aber kam der Bürgermeister von Baux-de-Provence und
entzog Plécys Firma die Lizenz, denn der Steinbruch gehört der
Gemeinde. Das Spektakel wurde, gegen gutes Geld vermutlich, einem
anderen privaten Betreiber verpachtet. Seither streiten sich Plécys
Leute und die wackeren Magistrate von Baux in einer der Troubadoure
würdigen juristischen Schlacht um Ruf und Entschädigung. Ich bin
kein Anwalt und insofern nicht kompetent genug, um sicher sagen zu
können, ob das Duell immer noch vor dem höchsten französischen
Gericht ausgefochten wird (eine Zeit lang war es jedenfalls so), oder
ob es wieder an untere Instanzen rücküberwisen wurde, oder ob wir
es nicht irgendwann noch am Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte oder in der Vollversammlung der Vereinten Nationen
bewundern werden. Wie es aussieht, wird uns dieser Rechtsstreit alle
überdauern.
Total
egal.
Denn
auch die neuen Betreiber von Culturespaces
verstehen ihr Licht-Handwerk. Inzwischen sind es einhundert
High-Tech-Projektoren und Musik aus einem
Ich-weiß-nicht-was-für-ein-Dolby-Sound-Gerät, die den alten
Steinbruch in einen Farben- und Ton-Ozean verwandeln, in eine Orgie
der Sinne, einen Zauberreigen, ein tanzendes virtuelles Museum.
Klingt immer noch nach Dia-Abend?
Hingehen!
Wir haben letztes Jahr Michel-Ange,
Léonard de Vinci, Raphaël.
Les Géants de la Renaissance
gesehen. Leonardos Notizen tanzten in ihrer spiegelschriftigen
Rätselhaftigkeit unter unseren Füßen, auf den Wänden fuhren
Michelangelos Verdammte zur Hölle... Im Jahr davor war es Klimt
et Vienne:
Der tausendmal zur Lieblichkeit sattgesehene Jugendstil gewinnt seine
archaische Wucht zurück, wenn er den ganzen Raum umhüllt und selbst
die Luft plötzlich golden schimmert.
Klingt
immer noch wie Kitsch? Na schön. Großer Kitsch. Staunenerregend.
Überraschend. Kunstkino. (Apropos Kino: Die herrlichen
Schwarzweißszenen von Cocteaus Film kann man in einer Nebenhöhle
ebenfalls bestaunen.) Jedes Jahr glänzt ein neues Werk in Tolkiens
Zwergenhöhle unter der Burg. Ab dem 4. März 2016 sind es die Bilder
von Chagall. Wir werden da sein, wir werden staunen – und wir
werden Pullover mitnehmen, selbst mitten im Sommer. Die Hölle unter
Les Baux ist nämlich immer und für alle Zeiten kalt.
P.S.: Wer Lust darauf hat, das oder sonst irgendein Ziel in der Provence nachzureisen und dazu noch Blogs mag, der sollte sich die inzwischen enzyklopädischen Einträge von Manfred Hammes ansehen: lustaufprovence.blogspot.fr/
P.P.S.: Wir waren da, im März, der Mistral hat uns kaltgeküsst: Chagall in Größe XXL - besonders schön dann, wenn seine Mosaiken sich scheinbar Steinchen für Steinchen zu imposanter Größe ausformen!
P.P.S.: Wir waren da, im März, der Mistral hat uns kaltgeküsst: Chagall in Größe XXL - besonders schön dann, wenn seine Mosaiken sich scheinbar Steinchen für Steinchen zu imposanter Größe ausformen!
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