Nemrods
werden die Jäger hier in der Zeitung genannt, doch wie heidnische
Gestalten sehen die Waidmänner eher nicht aus. Wenn ein chasseur
unter mediterranen Eichen und Gestrüpp herumschleicht, dann meist
so: Hohe Stiefel, gerne aus Gummi. Tarnhose und Tarnhemd. Weste.
Käppi. Schnauzbart. Doppelläufige Schrotflinte. Viele, viele
Patronen. Dazu eine leere Jagdtasche, denn meistens schießt er bloß
Löcher in die Luft.
Im
September, wenn die Kinder wieder in die Schule gehen müssen, dürfen
die Jäger endlich auch Frankreichs weite Natur unsicher machen. Da
rollen sie im Morgengrauen (bekommt eine ganz neue Bedeutung, dieses
Wort, irgendwie) mit ihren Kangoos auf Parkplätze im Garrigue oder
halten irgendwo am Straßenrand. Dann stolzieren sie mit Flinte und
Hund durch den Fenchel und weit hallen ihre Schüsse durchs Tal –
Schüsse, ja, meist wird der Doppelläufer zweimal gefeuert, denn,
siehe oben, die Schrotkugeln schlagen irgendwo ein, nur nicht in das
Tier im Visier.
Ab
etwa zehn Uhr morgens hocken sie dann in den Bars der Dörfer und
sehen in ihren Tarnanzügen aus wie schmerbäuchige Elitekämpfer,
die sich der Roten Armee entgegengeworfen haben. Oder eher wie
Résistance-Recken, die ein halbes Jahrhundert zu spät gekommen sind
und statt auf Wehrmachtssoldaten nun auf Kaninchen ballern.
Extrem
verschreckte Kaninchen übrigens, und nicht bloß wegen der Jäger.
Denn in Frankreichs Gestrüpp wimmelt es nicht gar so zahlreich, wie
es denn nötig wäre, um die Jäger glücklich zu machen. Außerdem
haben echte Wildtiere einen nicht zu unterschätzenden Nachteil: sie
sind schnell. Und, siehe oben, der Waidmann schielt. Alors?
Also
werden kurz vor der Eröffnung der Jagdsaison von praktisch jeder
lokalen Jägervereinigung Kaninchen und Fasane und Rebhühner
freigelassen. Die sind Monate lang in Gefangenschaft aufgewachsen –
und eilen in der Natur nun völlig desorientiert durch die Gegend.
Man kann es als Radfahrer oder Jogger ab Ende August sehen: doofe
Hühner, ratlose Langohren, leichte Ziele, eigentlich. Zahllose
Opfertiere werden bereits in den ersten Tagen von Autofahrern auf den
routes Départementales erlegt. Und trotzdem – siehe oben.
Es
gäbe auch echte, sogar gefährliche Tiere hier: Wildschweine. Wir
haben eine reichlich selbstbewusste Rotte im Tal. Aber, hey,
dafür brauchst Du eine Sondererlaubnis des Präfekten, Du brauchst
Gewehre mit anderen Patronen, Du brauchst eine größere Gruppe, um
die Jagd zu organisieren, nämlich Treiber und Schützen. Also ist im
Tal, meines Wissens, kein einziger Keiler erlegt worden in den
letzten Jahren. Da ballert man lieber auf Kaninchen und Federvieh und
hinterlässt auf den Wanderwegen Hunderte leergeschossene bunte
Plastikhülsen.
Ist
es dann nicht gefährlich, als Wanderer durch die Natur zu schweifen?
Gar mit Hund? Oder, größter anzunehmender Unfall, mit Kindern? Mais
oui.
Die Jäger sehen Kinder gar nicht gern, zumindest so lange sie nicht
auch bewaffnet sind. Selbst am Mittwochnachmittag, wenn die Kleinen schulfrei haben, und auch am Wochenende wird geschossen, dass
Feldmarschall Rommel seine Freude hätte. Der schüchterne Einwand,
dass man doch wenigstens dann, wenn die Kinder frei haben, einen
schusssicheren Tag einführen könnte – in manchen Gemeinden längst
Usus -, wird vom Bürgermeister mit der Androhung eines Herzinfarktes
beantwortet. Les
chasseurs!
Sich mit denen anzulegen, das bedeutet quasi lokalpolitischen
Selbstmord zu begehen. Es sind gar nicht so viele und sie gehen sehr
vielen Leuten auf den Senkel, aber sie sind halt laut und gut
organisiert.
Was
hilft? Courage. Ich bin während der ersten Jagdsaison nicht im Wald
gejoggt, sondern am Rand der Landstraße. Das war, erstens, noch
gefährlicher (Autofahrer zielen besser als Jäger.) und, zweitens, feige. Seither laufe ich durch den Wald, wann es mir
gefällt. Und siehe, der Herr ist mit den Waldläufern: Immer mehr
Familien, Radlergruppen, Wanderer und Jogger stolzieren durch das
Grün, längst nicht so desorientiert wie die Karnickel, sondern
fröhlich und, vor allem, laut...
Verboten
ist das nicht, das Land ist öffentlich. Kein Waidmann darf einen vom
Weg scheuchen, sie mustern einen nur hin und wieder unfroh. Langsam,
habe ich den Eindruck (oder ich bilde mir das auch bloß ein), kehrt
Frieden ein in Frankreichs Auen. In diesem Herbst hat sich das
Wochenende der Saisoneröffnung zum ersten Mal nicht mehr angehört
wie Stalingrad, sondern bloß noch wie Tombstone. Das mag aber auch
damit zu tun haben, dass es geregnet hat. Und bei Regen wird in
Südfrankreich nicht geschossen, da geht es direkt in die Bar.
Wird
nun alles gut? Tja. Der Nemrod hier pflegt noch eine zweite Passion:
ein Schuss – ein Pastis, ein Schuss – ein Pastis. Will sagen: Bei
Sonnenuntergang sind viele Tierschläger ziemlich besoffen. Manche
wanken dann noch einmal in den Wald, denn in der Dämmerung kommen
ja, wie jedermann weiß, die Wildtiere aus ihrer Deckung. Und manche
wanken in ihre Kangoos und brausen davon.
Bei
der Firma meines Schwagers ist mal ein sinnlos betrunkener Jäger
ungebremst durch das Tor geknallt, weil er die Kurve vor der Zufahrt
nicht gesehen hatte. Er hat es überlebt, alle anderen auch, obwohl
Benzin und Munition im Auto waren.
Und
die Firma war die Pumpstation einer Ölpipeline.
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