Jetzt,
da das Thermometer nachmittags erstmals wieder die 20-Grad-Marke
liebkost, ist es Zeit, einen nostalgischen Winterblick zurück zu
werfen auf Schnee und Sturzfluten...
D'accord,
Mitte Dezember umwehte ein laues Lüftchen die provenzalischen
Weihnachtsbäume, doch der Winter kann auch anders, wie man hier auf
die harte Tour lernt.
Im
November etwa machte Gott den Rasensprenger an, indem er noch vor der
Morgendämmerung ein paar Stauseen über uns ausgoss. Im ersten Licht
hatten wir dann einen Tümpel vor unserem Haus, wo beim letzten Licht
des Vortages noch eine Wiese gewesen war. Die Touloubre, ein alles in
allem recht bescheidener Vertreter der Kategorie „Bach“, war über
die Ufer getreten und hatte unser Tal ein paar Hektar weit
überflutet. Erdig-braunes Wasser überall. Fröhlich gurgelnde
Strömungen. Plastikfahnen halb zerfetzter Einkaufstüten. Äste,
Bambusrohre, ganze Bäume stauten sich unter, an und sogar auf der
kleinen Brücke. Und Dutzende Tennisbälle im Gesträuch. (Irgendwo
stromauf muss die Touloubre offenbar quer durch einen Tennisplatz
fließen.)
Die
Felder unterhalb unseres Städtchens, auf denen kleine, grüne
Setzlinge standen, sahen aus wie die Sümpfe der Camargue. Und zwei
Nachbarn, die hoch über dem Bach am Hang wohnen, hatten das
Erdgeschoss knöcheltief geflutet, weil Regenwasser in so üppiger
Großzügigkeit die Bergflanke hinunterfloss, dass die
Entwässerungsgräben kapitulierten.
Im
Januar kam der Frost, im Februar der GAUS – der Größte
Anzunehmende Unfall mit Schnee... Nachdem Météo France
kolossale fünf bis zehn Zentimeter (!) weiße Pracht für unseren
Teil der Provence angekündigt hatte, kollabierte die öffentliche
Ordnung, der Staat zog sich zurück. Kein Witz: Lange vor der ersten
schüchternen Flocke bereits verbot der Präfekt unseres Départements
den Einsatz von ... Schulbussen. Alle Wagen blieben im Depot, unsere
großen Kinder hatten schneefrei, weil sie nicht bis nach
Salon-de-Provence kamen.
Als
sich dann tatsächlich der weiße Mantel über den Midi breitete,
brachten wir wenigstens unsere Jüngste den Hügel hoch ins
Städtchen, mit dem eigenen Auto, etwa 120 Höhenmeter. Wir hatten
Winterreifen drauf, ein Relikt unserer Hamburger Zeit. Die Fahrt war
ein Witz, die Schwierigkeiten lagen so nahe am Nullpunkt wie das
Quecksilber. Wer seine Kiddies sonst auch immer zu Fuß hinbringen
konnte, der brachte sie hin. Wer sonst mit dem Auto kam, der blieb
jedoch zu Hause – niemand hier zieht Winterschlappen auf die Felgen
seiner Peugeots oder Renaults.
Die
Gelegenheit, nordisch stolz und Schnee-erfahren über diese Südländer
zu spötteln, die ihre Kinder bei zwei Flöckchen nicht mehr in die
Schule bringen konnten? Na ja, in der école fiel dann die
Heizung aus, wer von der Klasse da war, hockte mit der Lehrerin
vereint im Wintermantel bibbernd im Klassenraum...
Ein
bisschen später meinte dann der Mistral, dass er auch mal wieder
vorbeischauen sollte: 80, 90 Stundenkilometern, in Böen über 110,
direkt vom Montblanc, bei leichtem Frost. Da kommen dir auf dem Hügel
die Tränen, aber nicht vor Glück. Und neben der Heizung schwächeln
dann auch Internet und Strom. Die Kabel hängen nämlich einfach wirr
von dünnsten Pfosten in der Landschaft herum, so gespannt wie
hundert Jahre alte Gitarrensaiten. Bei diesem ordentlichen Wind
tanzen sie graziös in der eisigen Luft hin und her und lassen in den
Häusern fröhlich die Sicherungen knallen und die WiFi-Boxen das
verdammte Internet suchen. Apropos Häuser: Altes Gemäuer,
romantische Holzfenster, original Einfachverglasung. Muss ich mehr
schreiben?
Und
dann, ganz plötzlich, scheint die Sonne wieder und es ist 20 Grad
warm und du sitzt im Pullover auf der Terrasse und trinkst Kaffee.
(Und bemerkst reichlich spät, dass deine Jüngste nur noch im
Unterhemd durch den Garten tobt. „Mir ist so heiß!“)
Werden
bis zum nächsten November die Entwässerungsgräben tiefer gegraben?
Hey, bei dem bisschen Regen lohnt das nicht! Werden Strom- und
Telefonleitungen wetterfest unter die Erde gelegt? Wozu, das Wetter
ist doch immer gut! Werden sich deine Nachbarn Winterreifen
anschaffen? Für zwei Tage Schnee im Jahr, ich bin doch kein connard!
Winter,
was ist das?
P.S.:
Am Morgen vor jenem warmen Februarnachmittag zeigte das Thermometer
noch -2 Grad. Ich musste, bewehrt mit Handschuhen und Mütze, erst
einmal mühsam die Scheiben freikratzen, bevor ich den Hügel
hochgedüst bin. Auf Winterreifen. Die Fahrt war ein Witz.
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