Mao
und Stalin haben die Zufahrt zu unserem Haus bewacht. Zumindest ein
paar Tage lang. Vor unserem Tor nämlich liegt, nun ja, „Platz“
möchte man das nicht nennen, sagen wir: eine Delle am Straßenrand.
Ein Kiesstreifen unter Platanenschatten neben der Route
départementale, groß genug für das Wartehäuschen des Busses. Und
eines Morgens leuchteten aus diesem Häuschen schwarz und rot die
Porträts der beiden grausigen Genossen heraus. Die Graffitti hätten
es wohl nie ins Museum of Modern Art gebracht, aber klar genug zu
erkennen waren die beiden Politiker allemal. Nostalgie und
Heimatgefühle: In Deutschland hat man so etwas zuletzt prä-1989 an
den Betonwänden mancher Uni-Fakultäten gesehen...
Wer
hat Mao und Stalin bloß in die Provence gesprüht? Der letzte
Stalinist des Südens? Oder ist das ein, auch schon nicht mehr ganz
taufrisches, postmodern-ironisches Zitat? Erkennen wir dieselbe
sichere Hand des unbekannten „Meister der kackenden Ente“ wieder?
Das Federvieh, das sich so ungeniert erleichtert, ist einige Wochen
zuvor im Wartehäuschen (und auf manchen Nebensträßchen)
aufgetaucht. Wie auch immer: Der Bus fährt hier nur, wenn man ihn
telefonisch bestellt. Ob als politisches Manifest oder ironisches
Zitat, die beiden Kerle haben so gut wie kein Publikum.
Dachte
ich...
Doch
einmal im Jahr spendiert auf eben jener Straßendelle der
Bürgermeister einen apéretif
für das Dorf: Rosé und Saft und Cola, Pizza, Knabberkram und gute
Laune. Die Nachbarn kommen, Monsieur le Maire ist da, alle haben zwei
Stunden Spaß, dann geht man heim zum Mittagessen.
Diesen
Sommer jedoch steht ein winziger Renault Clio der Gendarmerie vor dem
Tor, drei sichtlich genervte Uniformierte quetschen sich heraus.
Protest! Für die feucht-fröhliche Zusammenkunft haben sich fünf
Dorfbewohner zur Demo angemeldet. (Mussten die Gendarmen deshalb
ausrücken? Oder hat der Bürgermeister sie herbeordert, weil er
Schlimmeres befürchtete?) Die fünf aufrechten Krieger jedenfalls
haben die Platanen mit Zetteln zugepflastert. Und sie haben sich
weiße Hemden übergestreift, auf denen selbst gemalte Parolen
prangen: „Pas
d'eau, pas d'apéro!“
- „Kein Wasser, kein Apéritif!“
Unser
Weiler ist nämlich nicht ans öffentliche Leitungsnetz
angeschlossen, jeder Hausbesitzer pumpt sein eigenes Grundwasser
hoch. (Und nachdem das Wasser den Weg gegangen ist, den Wasser so
geht, versickert es in, genau, Sickergruben.) Die fünf Protestanten
der Provence hätten nun gerne Leitungswasser gehabt, hätten es
schon seit Jahren gerne (alle anderern übrigens auch), doch, ach,
das liebe Geld ist nicht da oder vielleicht fehlt es auch am Willen
von Bürgermeister und Gemeinderat oder bloß am Interesse für einen
wirklich winzigen Weiler. Jedenfalls haben die Demonstranten den
Apéritif demonstrativ verweigert und sich mit ihren besprühten
Hemden am Rand der Delle aufgebaut und … Boule gespielt.
Irgendwann
hielten selbst die Flics, die in Frankreich viele Demonstrationen
kennen, die andernorts Nummern für die „versteckte Kamera“
wären, diese Manifestation für so ungefährlich, dass sie ihre
schwitzenden Leiber in den Kleinwagen zurück zwängten, ausatmeten,
damit die Türen zugingen – und davonbrausten.
Das
war die Revolution des Samstagmittags. Bis mir, ein Glas in der Hand,
das Wartehäuschen auffiel. Neu gestrichen! Putain,
sie haben Stalin und Mao und die kackende Ente in einer
Nacht-und-Nebel-Aktion hinter Baumarktfarbe verschwinden lassen!
Wahrscheinlich, damit der Blick unseres Bürgermeisters, von fünf
Boulespielern bereits arg strapaziert, nicht auch noch von zwei
Gespenstern der Vergangenheit beleidigt wird.
Dafür
war Geld da und der Wille und das Interesse wohl auch.
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