Sénanque
ist eine Messe wert und eine Reise allemal.
Im Mittelalter war das
Kloster Cîteaux
in Burgund ein Megastore des Glaubens: Vor einem Jahrtausend
versammelten sich dort besonders strenge Mönche, die dem Ideal des
ora
et labora
kompromisslos folgten. In einer Epoche, in der sich Spiritualität
noch nicht in Buddhafiguren auf der Fensterbank erschöpfte, weihten
sich Tausende dem nach dem Mutterkloster benannten neuen Orden der
Zisterzienser. Filialen entstanden, mehr und immer mehr, über 700
schließlich in ganz Europa, ein Franchise-Unternehmen, das Askese,
Arbeit und Schweigen verlangte und dafür den Weg zur Errettung der
Seele anbot. Drei der berühmtesten Filialen wuchsen in der Provence
empor, deren berühmteste wiederum ist die Abbaye Notre-Dame de
Sénanque.
Der
Fluss Sénancole hat bei Gordes eine Kerbe ins Gebirge geschnitten,
von der man nicht recht weiß, ob sie noch ein Tal oder schon eine
Schlucht ist. Unzugänglich ist der Ort allemal und heiß und satt
vom Duft nach Baumharz und sandigem Boden. Die Zisterzienser haben
sich die einsamen und herben Flecken ausgesucht, um dort ungestört
zu arbeiten und zu beten. Heute windet sich ein Asphaltband die
Bergflanke hinunter, und auf jeden Mönch – es sind zur Zeit kaum
mehr als ein halbes Dutzend – kommen wohl zehntausend und mehr
Besucher im Jahr. Und doch ist das Tal sogar noch etwas schroffer
geworden als im Mittelalter, denn ein Erdbeben Anfang des 20.
Jahrhunderts kappte den Flusslauf, so dass die Sénancole bloß noch
ein Rinnsal ist.
1148,
als die ersten Zisterzienser hier Steine aufschichteten, um ihre
kühle, strenge Kirche, den Kreuzgang, um Dormitorium und Kapitelsaal
und all die anderen notwendigen Bauwerke zu errichten, strömte mehr
Wasser durch das Tal. Heute kann man, außer am Sonntagmorgen (Warum
wohl?), auch dann durch Kirche und Kreuzgang schlendern, wenn man
kein Gelübde abgelegt hat. Wie oft mögen wohl schon die
Lavendelfelder vor dem Hintergrund der wuchtigen Kirchenmauern
fotografiert worden sein? Wieviele CDs mit gregorianischen Gesängen
sind im Klostershop schon über den Tresen gegangen?
Zwar
bewundert man das karge Kirchenschiff, wo das Licht weich ist wie in
einem gelben Aquarium und zwei Glöcknerseile in der Vierung baumeln,
als könnte man von hier aus die Glocken des Himmels läuten. Zwar
verlangsamt man unwillkürlich den Schritt, wenn man die Säulenpaare
des Kreuzgangs passiert und man von diesem geschützten steinernen Herz die Welt
nur noch durch Bögen und Vierecke in Ausschnitten sieht. Zwar
lauscht man den Stimmen im Kapitelsaal mit seiner perfekten Akustik,
wo sich sonst die Mönche versammeln, um dem Abt zuzuhören, der
jeweils ein Kapitel der Klosterregel vorliest.
Und
doch versteckt sich die Magie von Sénanque nicht im Großen, sondern
im Detail, ja im Unsichtbaren:
In
den Buchstaben und Zeichen etwa, die an Kirchenwänden und Bänken in
manche Steine gehauen sind: Mit ihnen haben Steinmetze ihre Werke
gekennzeichnet, denn sie wurden von den Mönchen pro zugehauenem
Stein bezahlt. Mehr als zweitausend verschiedene Markenzeichen haben
Forscher in der Abtei gezählt – stumme Zeugnisse von
buchhalterischem Ernst, von Berufsstolz, von der Job-Maschine, die so
ein Kloster auch war, selbst an diesem entlegenen Ort.
Auf
die Konsole über der Säule im Kreuzgang, die genau gegenüber vom
Eingang des Kapitelsaals aufragt. Ein Dämonenkopf wächst dort
heraus, praktisch die einzige Skulptur in der Abtei. Mönche, die
sich im Kapitelsaal vor ihren Mitbrüdern rechtfertigten und
Verfehlungen gestanden, blickten (und blicken noch heute) auf diese
Fratze. Sie ist wohl der Tarasque von Tarascon nachempfunden, einem
mythischen Monster der Rhône,
das im Midi seit grauer Vorzeit gefürchtet wird, weil es
unvorsichtige Reisende und Jungfrauen verschlingt. Und so konserviert
ausgerechnet eine Festung mittelalterlichen Christentums zutiefst
heidnischen Spuk.
Und
die Lavendelfelder, die in langen Reihen vor dem Kloster wachsen und
die so viele Fotografen anziehen, sind vor noch gar nicht so langer
Zeit angelegt worden. Ursprünglich nämlich erstreckte sich dort …
der Friedhof des Klosters. Der Lavendel von Sénanque blüht über
den Gebeinen unzähliger Mönche. Ein poetischer Gottesacker - und
ein sanft-ironisches Denkmal für jene Männer, die sich um des
Glaubens willen so viel Strenge und Schmucklosigkeit aufgezwungen
haben.
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