Wie wäre es diesen Sommer mit ein bisschen Sadismus? Aber mit culture, bien sûr! Ich muss diese Spielart des Sadismus jetzt bringen, und das hat nichts mit der quälenden Hitze zu tun. Sondern damit, dass jedefrau, jedermann sie nur in der erweiterten Hauptsaison genießen kann. Alors: Im schönen Städtchen Saint-Rémy, durch das ich ja zwecks Recherchen für meinen letzten Roger-Blanc-Krimi gepflügt bin (siehe hier: https://provencebriefe.blogspot.com/2025/05/ratselhaftes-saint-remy-capitaine.html), steht diskret in einer kleinen Gasse hinter einem kleinen Platz das Hôtel de Sade. Und das ist, genau, ein Archäologie-Museum. (Das ist ja mal eine Produktenttäuschung: Sadismus – Archäologie… Mal sehen, wer jetzt noch weiterliest.)
In der Antike erhob sich wenige hundert Meter weiter südlich die Stadt Glanum . Und das, was heute Saint-Rémy ist, war damals so eine Art Vorort oder Gewerbegebiet der ollen Römer. Dort errichteten sie ein Spaßbad, denn Thermen gehörten zu jeder richtigen Römerstadt dazu. Allerdings war das Timing nicht hundertprozentig ideal: Die Thermen waren im 4. Jahrhundert fertig, doch schon kurz darauf kamen die Barbaren, und die hatten mehr Spaß am Plündern als am Baden – die Thermen verfielen, denn wer braucht in ungewaschenen Zeiten schön Bäder mit unterschiedlich temperierten Becken?
Auf den Ruinen errichtete man im frommen, doch ebenfalls nicht ganz badefreudigen frühen Mittelalter eine Kapelle, dann eine Kirche. Zur nicht mehr ganz so frommen Zeit, als die Päpste in Avignon residierten und, nach Aussage eines Zeitgenossen, die Rhône-Metropole in ein Open-Air-Bordell verwandelten, verwandelte ein Herr Bischof das Gotteshaus in eine Art klerikales Finanzamt. Hier wurden Kirchensteuern eingezogen und verwaltet. Balthazar de Sade machte daraus schließlich das Hôtel der berüchtigten adelige Clanfamilie. Hôtel war Anno Dunnemals kein Ritz-Carlton, sondern ein Stadtpalast: Möglichst imposant, und dass er gut zu verteidigen war, konnte auch nicht schaden, denn die Clankriminalität war in Mittelalter und Früher Neuzeit auch nicht zu verachten.
Und also residierten (und quälten, wer weiß das schon?) über mehrere Generationen hinweg die de Sades in Saint-Rémy vor sich hin. Aber wie das so kommt: Irgendwann schrumpfen die Einnahmen, irgendwann schrumpft die Familie, und plötzlich war die Revolution da. Aus dem imposanten Hôtel wurde mal eine Schreinerei, mal eine Schmiede, und 1897 fiel das Dach ein, weil sich niemand mehr um den alten Kasten kümmerte. Wie schon die Thermen, so sank auch das Hôtel de Sade langsam in sich zusammen. Bis der französische Staat im 20. Jahrhundert, das dauerte dann auch einige Jahrzehnte, aus den noch erhaltenen Gebäudeteilen ein ganz besonderes Museum fabrizierte.
Heute ist das Hôtel de Sade ein von außen immer noch wuchtiger Koloss, halb ein Werk der Gotik, halb eines der Renaissance: massives Tor, Spitzbögen, Mauern, Fenster mit steinernen Kreuzen, alles, was du willst. Doch hinter dem Tor empfängt den Besucher – es sind meist wenige Besucher, es ist wirklich eine ruhige Gasse in einer quirligen Stadt – eine verwirrende Folge prachtvoller Räume und Zimmer, die eher wie Lagerhallen wirken. Es gibt echte Innenhöfe und solche, die heute nur deshalb Innenhöfe sind, weil, siehe oben, halt irgendwann mal das Dach darüber eingestürzt ist. Und wer genau hinsieht, bemerkt ganz unten, auf und unter dem Bodenniveau, dass manche gotischen Mauern auf antiken Ziegeln stehen, die wiederum, genau, Teile der Fußbodenheizung der Thermen waren, Roma fecit.
Die permanente Sammlung zeigt Funde aus dem nahen Glanum. (https://provencebriefe.blogspot.com/2025/04/glanum-bei-saint-remy-das-pompeji-der.html) Steinerne Brunnenmasken und Alltagskrimskrams von vor zweitausend Jahren, zwei beeindruckend schöne Frauenporträts und tolle Fußbodenmosaiken, die in einer Art Lagerhalle leider eher wie aus der Musterausstellung des Baumarkts wirken als wie römische Luxuseinrichtungen.
Vor den Griechen und Römern lebten in Glanum die Kelten, von ihnen sind hier Kriegerfiguren ausgestellt. Apropos Kelten: die hatten ein besonderes Hobby – sie nagelten die abgeschlagenen Köpfe ihrer Feinde an ihre Tempel. Archäologen förderten drei dieser Schädel zutage, und sie sind ebenfalls hier zu sehen, mit Original-Nagelloch in den Knochen.
Da hätte der eine oder andere de Sade sicher seine Freude dran gehabt.
Alle Informationen zum Hôtel de Sade, wie Öffnungszeiten, Sonderprogramme, Preise, finden sich hier:
Und übrigens: dicke alte Mauern sind ein guter Sonnenschutz und eine nicht ganz schlechte natürliche Klimaanlage. Nur für den Fall, dass dieser Sommer quälend heiß wird...