Normalerweise holt man ja im Februar langsam die Badehose aus dem Schrank, doch dieses Jahr ist hinterhältig. Jedes Mal, wenn man hofft, so, jetzt ist es so weit, der Frühling kommt, zack!, schon haben wir wieder Nachtfrost oder Regen oder beides. Was hilft? Die Politik? Ganz schlechte Idee. (Soll ja auch in Deutschland nicht hundertprozentig rund laufen, habe ich gehört.) Hemmungsloser Konsum? Nicht gut für die Umwelt und außerdem kann uns der arme Staat kein Geld mehr klauen, wenn wir es ausgeben und das will ja niemand. Fressen? Wir müssen den Gürtel enger schnallen, denn, siehe vorvorigen Satz.
Also Kultur.
Habe ich schon mal den Hôtel de Caumont in Aix-en-Provence erwähnt? Ich glaube nicht und schäme mich deshalb dementsprechend. Also: Das ist ein Stadtpalais aus dem 18. Jahrhundert im historischen Zentrum, versteckt in einer stillen Gasse, aber in Sichtweite des Cours Mirabeau. Den Namen hat das Anwesen von Pauline, Marquise de Caumont, einst vermutlich stolze und einrichtungsverliebte Besitzerin.
Eine Fassade wie ein kleines Schloss, hohe Fenster, ein wenig Schmiedeeisen und ein wunderbar saharagelber Stein. Ein Barockgarten wie mit der Pinzette gezupft. Und drinnen Möbel aus der Epoche: Fragile Tischchen, du denkst, die brechen zusammen, wenn du darauf dein Teetäschen abstellst. Diwans und Sessel mit Plüsch und rotem Samt. Ein Himmelbett, eingehüllt in geschätzt hundert Quadratmeter mit Blütenmuster bedrucktem Stoff. Schwere Tapeten, zahllose goldgerahmte Ölbilder, marmoreingefasste Kamine, Kronleuchter mit einer halben Tonne Gewicht. Kurz: Hier könntest du eine Netflix-Serie drehen.
Stattdessen gibt es in den zwei Geschossen über diesem opulenten Kitsch zwei kleine, feine, großartig kuratierte und überhaupt schöne Ausstellungen pro Jahr. Hier durften wir schon Nicolas de Staël und Alfons Mucha sehen, Pierre Bonnard und Katsushika Hokusai.
Jetzt ehren sie, ich glaube zum ersten Mal, einen Fotografen: Steve McCurry.
Ein amerikanischer Fotoreporter, dessen Bilder wir auch schon bei GEO gedruckt haben – das ist der geniale Kerl, der das madonnenhaft schöne afghanische Mädchen mit den unfassbaren Augen porträtiert hat. Überhaupt, Augen… Er hat Dutzende Frauen, Männer, Kinder porträtiert und in wirklich jedem Augenpaar verbirgt sich ein ganzer Lebensroman.
Steve McCurry hat längst nicht nur, aber doch sehr oft im Mittleren und Fernen Osten gearbeitet und immer kam er mit Bildern zurück, die nicht einfach besser sind als die Wellen der optischen Flut, die sonst so an uns vorbeirauscht. (Und zu denen selbstverständlich auch meine Fotos gehören, hier und anderswo, klar.) Nein, Steve ist nicht einfach besser, er spielt in einer ganz anderen Liga.
Und das ist das schöne am Hôtel de Caumont und allen seinen Ausstellungen: Die Werke hängen hier in wenigen Sälen, dazu liest man informative Texte, es gibt ein, zwei erklärende Filme – und fertig. Kein Overkill, kein schlechtes Gewissen. („Die Sachen in diesem Saal müsste ich jetzt eigentlich auch noch sehen, aber meine Füße schmerzen doch schon so sehr und mein Gehirn raucht – oder war es umgekehrt?“) Du kannst dich als Besucher auf die Bilder konzentrieren. Auf jedes einzelne. Entschleunigung. Konzentration, Zen.
Danach kann man übrigens im Museumscafé Museumskaffee trinken oder richtig gut speisen, ganz im Stil des achtzehnten Jahrhunderts und bei gutem Wetter im schönen kleinen Park des Palais.
Falls das Wetter denn mal wieder schön wird.
Die Ausstellung „Steve McCurry – Regards“ ist noch bis zum 23. März 2025 geöffnet. Ich empfehle, die Karten vorab per Internet zu reservieren – oder um kurz vor zehn Uhr morgens, wenn das Haus öffnet, an der Kasse aufzukreuzen. Dann muss man oft auch nicht lange warten.
Weitere Infos gibt es hier:
https://www.caumont-centredart.com/fr/steve-mccurry-regards
Und da wir gerade über schöne Museen reden: Ich habe die Ehre und das Vergnügen, am 12. Februar meinen nächsten Roman „Nacht der Ruinen“ im neuen Kölnischen Stadtmuseum vorzustellen. Dazu mehr:
https://www.koelnisches-stadtmuseum.de/newsticker-1/
Schade,...
AntwortenLöschen... daß ich die Buchvorsstellung im kölschen Stadtmuseum eben erst entdeckt habe - sie ist bereits ausverkauft. Das wäre so viel näher gewesen als Salon d. P. , um mal einen persönlichen Eindruck zu bekommen.
In der Nachfolge der in HH angesiedelten Nachkriegsromane ist der neue hoffentlich kein Rückzug aus der nochmals ungemütlicher werdenden Gegenwart Frankreichs, der Bundesrepublik, Europas...
Einen je nach Perspektive erfolgreichen oder interessanten und erhellenden Abend!
🙂 Frederick de Vries
PS: Wäre das nicht auch einen Eintrag im Blog für diejenigen wert, die nicht dabei sein können? 😇
Salut, vielen Dank für die freundlichen Worte. Und, nein, kein Rückzug: Der nächste Roger Blanc erscheint im Mai ;-)
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