Mittwoch, 15. Oktober 2025

Der Marathon von Salon-de-Provence / Hamburger Krimifestival 2025

Was haben ein Marathonlauf und die französische Regierung gemeinsam? Sie halten beide ungefähr zwei bis drei Stunden lang, dann ist es vorbei. Ja, d’accord, darüber kann ich auch nicht wirklich lachen. Also Marathonlauf: Neulich fand bei uns in Salon-de-Provence mal wieder ein solcher statt. Insgesamt gab es sogar vier Distanzläufe zu vier unterschiedlichen Tageszeiten: Marathon, Semi-Marathon, zehn Kilometer und fünf Kilometer (das als inklusives Rennen, also auch mit Rolli oder was auch immer). Unsere ältere Tochter ist mit Freunden den Semi-Marathon gerannt, und wie!, wir sind so stolz auf sie.





Und sind mit ihr so früh aufgestanden. Sonntag morgen gegen 5.30 Uhr ging es los (glaube ich, mir fehlte noch ein wenig Kaffee zum Blick auf die Uhr), die ganze Stadt war weiträumig gesperrt, eigentlich war der Weg vom irgendwo abgestellten Auto zum Startplatz schon ein Marathon.

Dann das: zwölftausend Läufer in einer Fünfzigtausend-Einwohner-Stadt, gefühlt alle städtischen Angestellten und ich-weiß-nicht-wieviele freiwillige Helfer überall an der langen Strecke, Ramba-Zamba, Publikum in Feierlaune allerorten, Erste Hilfe (eine Krankenschwester raste als Sozia auf einem Polizeimotorrad an uns vorbei, irgendeinem gestrandeten Marathonesen entgegen) und quer über den Himmel donnerten die Alpha-Jets der Patrouille de France.

Ah ja: Die Strecke führte auch quer über Start- und Landebahn und überhaupt alles auf der Militärbasis, der Herr General lief die zehn Kilometer mit, Soldaten feuerten die Läufer an. („Du bist nicht durstig, das bildest du dir nur ein!“)

Der Mistral wehte mit mehr als siebzig Stundenkilometer, und die Strecke war zufälligerweise so angelegt, dass dir der Scheißwind während der zweiten Hälfte in die Fresse blies. Selbst ein kenianischer Wunderläufer, der den Marathon mit ungefähr einem Tag Vorsprung vor seinem nächsten Konkurrenten gewann, blieb mehrere Minuten über seiner angepeilten Zeit. Dafür gab es dann im Ziel Medaillen mit zwei Alpha-Jets drauf, viele Liter Wasser, viele Kalorien zum Mampfen, gratis Muskelmassagen, Läufer im Delirium der Erschöpfung und Zuschauer im Delirium der Freude.

Kurz: Das war ein wirklich gelungenes Event.

Warum ich das dann mit diesem blöden Witz einleite? Weil viele Menschen den Marathon mehr als ein Jahr lang minutiös vorbereitet haben, die meisten ohne Gage. Weil Sportvereine mit städtischen Behörden und einer großen Militärbasis kooperieren können, ohne dass irgendjemand dabei wahnsinnig wird. Weil sich Zehntausende in bester Stimmung treffen und messen, die garantiert nicht alle dieselbe Partei wählen, wenn überhaupt.

Geht doch.

Ich muss auch an das Theaterfestival in Avignon denken, das wir diesen Sommer besucht haben und ähnlich entspannt ablief, wie überhaupt zahllose Feiern, Festivals, Umzüge, Ausstellungen, Sportlertreffen im ganzen Land. Wieso klappt das bloß in Paris beim Regieren nicht?

Ich bin nicht total naiv, es ist komplexer, Frankreich zu regieren als einen Marathon zu organisieren. Aber, putain, die Damen und Herren in der Hauptstadt sind schließlich für diesen Job qualifiziert, finanziell, technisch und auch sonst ziemlich gut ausgestattet, erfahren, und ganz schlecht bezahlt werden sie dafür auch nicht. Niemand erwartet eine Union Sacrée, aber es wäre schon toll, wenn sie im Parlament und sonstwo mal wieder vernünftig miteinander sprechen würden und nicht pathetisch-blöde Sprüche klopfen, wenn man zur Abwechslung mal Probleme gemeinsam löst, statt sie dem anderen vorzuwerfen oder ganz, ganz fest die Augen vor ihnen zu verschließen. Und wenn endlich auch der hinterletzte Politiker kapiert, dass die eigene Karriere im Allerwertesten ist, wenn das ganze Land in der Sch…, genau, steckt. Purer Egoismus sollte euch zum Regieren bringen, Leute, wenn schon nix sonst.

Oh well, spätestens 2027 sind Wahlen, vielleicht früher. Als Alien darf ich kein Kreuzchen machen, aber wenn ich doch dürfte, würde ich die Organisatoren des Marathons von Salon wählen. Die kriegen die Leute zum Laufen.


P.S.: „Hamburg“ und „November“ reimt sich auf „Dunkelheit“ und „Depression“. Einen Hauch von Sonnenschein und Provence bringen meine lieben Kollegen Sophie Bonnet, Alexander Oetker und ich am 8 November auf Kampnagel. Da findet beim traditionellen Krimifestival der fast schon genauso traditionelle „Französische Abend“ statt, den traditionell Volker Albers moderiert. Kommet zuhauf, und wenn nicht zu uns, dann zu den anderen Lesungen, es sind so viele, so gute, an so vielen Tagen!

Infos gibt es hier: https://www.krimifestival-hamburg.de/programm/2025-franzoesischer-abend

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