Zur Rentrée, der großen Rückkehr aus körperlichen und geistigen Ferien, gibt es hier mal, ohne irgendeine Ordnung, nicht allein ein paar Fotos aus der Provence, sondern aus diversen Ecken der Grande Nation. Nicht, weil ich meine persönliche Tour de France abgeradelt habe, sondern weil mich mein innerer Schweinehund anbellt, mal Folgendes klarzustellen: Frankreich ist schön.
Nicht, dass das jetzt noch selbstverständlich wäre.
Seit einigen Jahren schon assistieren wir Bio- und Neo-Franzmänner einem Pariser Schauspiel in drei Akten. Akt eins: „Wie schieße ich mir selbst ins Knie?“ Akt zwei: „Was, ich habe mir schon ins Knie geschossen? Na, dann nehme ich jetzt das andere Knie ins Visier.“ Akt drei: „Wie wäre es denn jetzt mit dem Ellenbogen?“
Ich fürchte, irgendwann gibt es Akt vier: „Und wenn ich mir jetzt einfach mal eine Kugel in den Kopf schieße?“
Es ist unfassbar. Die Jahre werden immer heißer, regnerischer, stürmischer, jedenfalls deregulierter. Der kleine Russe mit den Teufelshörnern kratzt an Europas Tür, im Weißen Haus wohnt ein Großer Bruder, der dir unvermittelt in die Fresse haut, und was heißt eigentlich Dumping auf Chinesisch? Wir haben jede Menge Arbeitslose, aber nicht genügend Ärztinnen, Pfleger, Handwerker, Köchinnen, Bäuerinnen, Facharbeiter. Viele Leute wohnen erbärmlich und hin und wieder kracht mal ein Haus zusammen, aber es werden kaum noch neue gebaut. Und so weiter und so weiter.
Aber keine Sorge, wir haben einen Präsidenten, eine Regierung und ein Parlament, die alles blockieren. Also, äh, tja, nicht die Probleme werden blockiert. Nein, wir blockieren uns selbst. Wie in der guten, alten Zeit gibt es immerhin eine Protestbewegung dagegen, mit dem Motto, genau, „Wir blockieren Frankreich.“ Realität an Linksaußen: Hallo, Frankreich ist schon blockiert!
Meine Privattheorie: Jeder kleine Franzose bekommt schon bei der Zeugung ein Gen eingepflanzt, das ihn prinzipiell kompromissunfähig macht. Alles oder nichts, das ist die Devise, was auch ziemlich gut funktioniert, so lange die Welt in ihrer Schlechthinnigkeit gut funktioniert. Doch wenn das Universum nicht mehr ordentlich expandiert, dann bedeutet „alles oder nichts“ halt, putain, nichts.
In der Politik zum Beispiel war es lange so: Es gab die demokratischen Rechten, angeführt von den Gaullisten, und die demokratischen Linken, angeführt von den Sozialisten. (Es existieren darüber hinaus immer mehr Parteien, doch die waren mehr oder weniger mit den beiden Großen fusioniert.) Politik war deshalb simpel: Du hast eine Mehrheit, also regierst du durch. Du hast keine Mehrheit, also machst du Fundamentalopposition, bis du wieder eine Mehrheit bekommst. Kompromisse oder gar Koalitionen waren was für Deutsche.
Irgendwann aber taten Gott der Herr und seine Engel (oder waren es die Wähler) ein Wunder, und seither haben wir linke Extreme, rechte Extreme, und ein ziemlich wirres Spektrum von Gruppen und Parteien dazwischen. Keine Mehrheit, nirgendwo. Da gibt es den alten Reflex: Wenn ich keine Mehrheit habe, dann mache ich halt Fundamentalopposition.
Also haben wir ein Parlament aus lauter Oppositionsparteien, das musst du auch erst einmal hinkriegen.
Wir haben einen Präsidenten, dem die Verfassung unglaublich viel Macht zugesteht, der aber de facto fast keine mehr hat. Das musst du auch erst einmal hinkriegen.
Und wir haben einen Premierminister, der sich nach dem Betreten des Matignon gar nicht erst auf seinen Stuhl setzt, er ist ja sowieso gleich wieder draußen. Das musst du auch erst einmal hinkriegen. (Mon Dieu, wenn das so weitergeht, ist bald jeder Franzose mal Premierminister gewesen. Immer schön aufpassen, Sie werden auch Yours Truly mal für ein paar Minuten im Matignon sehen.)
D’accord, aber welche Zeichen der Hoffnung gibt es?
Nun, da gibt es … ähem.
Welche Prognose gibt es denn?
Spätestens im Frühjahr 2027 sind Präsidenten- und Parlamentswahlen und dann kriegen wir die Regierung, die wir nicht verdienen: irgendwo zwischen Meloni und Trump.
Ist es so schlimm?
Schlimmer.
Schärft man schon die Guillotine?
Das ist das Stichwort! Frankreich hat schon so viele Revolutionen, Krisen, Kriege, Katastrophen und Knieschüsse erlebt und überlebt und ist immer noch (oder vielleicht gerade deswegen) ein tolles, lebenswertes, liebenswürdiges, genussfreudiges, konkurrenzlos schönes Land geblieben. Es gibt nicht nur nach jedem Sommer eine Rentrée, sondern auch nach jeder Phase langer Dunkelheit. Hoffentlich.
P.S.: Da wir gerade über Phasen der Dunkelheit sprechen: Die „Trümmermörder“-Trilogie aus dem Hamburg der finstersten Nachkriegszeit gibt es seit einiger Zeit in einer schönen Neuausgabe. Die lieben Kölner Kolleginnen und Kollegen von DuMont haben schon ein gutes Händchen für solche Projekte. Vielleicht sollten die sich mal in Paris bewerben?
P.P.S.: Wo ich die Fotos dieses letzten paar Monate gemacht habe? Ahh, das dürfen Sie selbst herausfinden, ist gar nicht so schwer.