Freitag, 17. März 2023

Mond und Sterne über der Provence

 "Der Weltraum, unendliche Weiten...“ Bei wem es jetzt klingelt, der gehört wahrscheinlich der männlichen Boomer-Hälfte an. Für alle anderen: It‘s Captain Kirk and Mister Spock, Honey! Aber was haben Star Trek und die Provence gemeinsam? Antwort: Den Blick auf die Sterne.





Fast jeden Abend, wenn ich aus dem Haus trete und den Kopf in den Nacken lege, fühle ich mich wie auf der Brücke der Enterprise: Du siehst Sterne und noch mehr Sterne und noch mehr Sterne. D‘accord, wer bis in die südliche Hemisphäre reist und dort an einem luftklaren Ort, beispielsweise Neuseeland, nach oben schaut, dem bietet sich ein noch schöneres Gestirnspektakel dar, aber, hey, für die Nordäquatorianer ist die Provence schon nicht schlecht. Weil das so ist, hat mir die Familie bereits vor einiger Zeit ein Teleskop geschenkt. Nicht, dass ich mich dabei sonderlich geschickt anstelle. Um Sternbilder zu identifizieren, benutze ich eine App auf dem Handy. Und mit dem Teleskop schaffe ich es so gerade, den Mond problemlos anzuvisieren. Aber wenn ich ihn dann mit dem Handy durchs Teleskop fotografieren will, stelle ich mich deutlich blöder an als ein Beduine auf dem Sinai. (Ungelogen: Ein Beduine hat mir dort mal gezeigt, wie man so etwas richtig macht.) Mein astronomisches Wissen ähnelt also alles in allem einem Schwarzen Loch: Ich sauge alles ein, aber es kommt verdammt wenig wieder heraus. Eh bien, ich finde Sterne trotzdem schön.

Neulich ist mir das wieder mal aufgefallen. Da wollte ich eigentlich bloß im ersten Stock die Fensterläden schließen, sehe zufällig dicht über die Baumwipfel und Hausdächer auf der anderen Talseite – und, wow, da glitzern zwei gar nicht so kleine weiße Lichtpunkte über Firsten und Zypressenwipfeln. Venus und Jupiter zogen, ein recht rares Himmelsphänomen, einträchtig, wenn auch unterschiedlich schnell, quer durchs Firmament.





Und sonst: der Gürtel des Jägers glänzt wirklich wie ein Disco-Gürtel aus den Siebzigern. Der Mond legt sich gerne eine Halo um und strahlt wie eine kleine Sonne, trotzdem kannst du mit den bloßen Augen auf seinen Meeren Schiffchen fahren. Oder er leuchtet gruselig als Blutmond. Und manchmal huscht ein Komet vorbei oder vielleicht auch bloß ein schnöder Satellit.





Jean-Pierre Luminet (passender Name, klingt nach Licht) hat ein Buch geschrieben (das meine Liebste entdeckt und mir geschenkt hat), über die Sterne, die van Gogh gemalt hat: Les Nuits Étoilées de Vincent van Gogh. Der geniale Niederländer hat nämlich auch nachts gearbeitet, in einem Dämmerlicht, in dem er grüne, rote, blaue Farben aus seinen Tuben kaum noch unterscheiden konnte. Für seine Nachtbilder verwendete er so gut wie kein Schwarz, sie sind blau, grün, gelb, was du willst, aber für van Gogh war die Nacht bunt.





Gelehrte können bei seinen Werken, zum Beispiel dem berühmten „Sternenhimmel über der Rhône“, inzwischen sehr genau feststellen, wo der Maler seine Staffelei aufgestellt hat - in diesem Beispiel an einer Stelle bei einer Biegung am östlichen Ufer des Flusses in Arles. Zudem sind seine Bilder oft auf den Tag genau zu datieren, da der Meister sie in seinen zahlreichen Briefen an seinen Bruder oder andere Adressaten erwähnt. Seit einiger Zeit rekonstruieren Astronomen deshalb mit Hilfe eines Programms nun genau, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit welche Sternbilder im Sichtfeld van Goghs geleuchtet haben.

Und siehe: Die übergroßen, wild leuchtenden Sterne in van Goghs Himmel sind keineswegs Ausgeburten einer irren Phantasie, sondern ziemlich präzise Wiedergaben des aktuellen Himmels in genau jener Nacht, in der er malte.

Realistisch ist das aber trotzdem nicht. Beim „Sternenhimmel über der Rhône“ hat van Gogh beispielsweise Arles und den Fluss so gemalt, wie sie südlich seiner Position am Ufer vor ihm lagen. Der sich darüber wölbende Nachthimmel zeigt jedoch die Sterne in nördlicher Sichtrichtung! Vermutlich, weil in jener bestimmten Nacht die im Norden leuchtenden Konstellationen spektakulärer waren als die „echten“, die er gerade über Arles beobachten konnte.

Natürlich darf man sagen, es ist doch egal, welche Sterne der irre Holländer in welcher Nacht gepinselt hat, das schreibt die Kunstgeschichte ja nicht fundamental um. Aber ich finde es einfach toll. Um Mister Spock zu zitieren: „Faszinierend!“



Weiterführende Literatur (diesen Begriff wollte ich schon ewig mal im Blog verwenden):

Jean-Pierre Luminet: Les Nuits Étoilées de Vincent van Gogh, Paris 2023 (Editions Seghers)

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