Irgendwann kommt für jeden Mann der Tag, an dem er etwas über provenzalische Frauen schreiben muss. Voilà, dieser Tag ist heute. Nein, kein Satz über Cagole und Arlésienne - außer dem, dass sie Klischees sind und, wie jedes Klischee, dass es sie natürlich in echt gibt. Sprechen wir doch beispielsweise lieber über...
… die Postbotin, die uns die Zeitung und hin und wieder gute alte analoge Briefe in den Kasten steckt. Sie hat mir vor ein paar Tagen den Wandkalender angeboten, mit dem die Postbeamten alljährlich Geld sammeln. Ich habe, wie immer, einen gekauft und einen Schein gezückt. Da sieht sie mich spöttisch an und sagt: „Das sind ja nur die Druckkosten!“
Eh bien, also habe ich einen Schein mehr draufgelegt. Wir lachen.
… die Blumenhändlerin im Nachbardorf, bei der ich gestern Rosen gekauft habe.
„Rosen? Ich gebe Ihnen noch die Karte Je t'aime dazu.“
„Très bien.“
„Kostet 15.000 Euro.“
Der ganze Laden lacht über mein Gesicht.
… die Angestellte im Geschäft für Bürobedarf, wo ich meinen Terminkalender erstehe. (Für die Jüngeren: Das ist im Prinzip ein Ding wie eine App, nur mit Papier und Stift und dafür ohne Akkuprobleme.) Trotz der verdammten Maske erkennt sie mich und hat sich auch den Namen gemerkt. „Sie kaufen hier viel zu oft ein!“ Wir lachen.
… meine Bankberaterin, die mich ungefragt anruft, wenn mal wieder zu viel oder zu wenig Geld auf dem Girokonto herumliegt (Gründe siehe oben) und sie mich vor Strafgebühren ihrer eigenen Bank bewahren will. Das ist praktisch immer eine Folge meiner Schlafmützigkeit in finanziellen Dingen, aber sie sagt dazu freundlicherweise bloß: „Ich mache Ihnen einen Vorschlag.“ Und sie lacht.
… der Zahnärztin, die trotz Weihnachts- und Coronastress einen Termin für mich freischaufelt, als mir eine Plombe herausgefallen ist. Wegen der C-Sache ist die Praxis geschlossen, jeder Patient muss pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt auf dem Bürgersteig warten und wird dann direkt in den Behandlungsraum geführt, nix Wartesaal. Nachmittags hat die Ärztin nicht einmal eine Sprechstundenhilfe, sie managt das alles ganz allein. In diesem Jahr haben rund um Salon-de-Provence sieben oder acht Praxen dichtgemacht, weil ältere Zahnärzte keine Nachfolger finden (warum auch immer), also wird sie nun überrannt. Bei all dem Druck hat sie auch noch ein schlechtes Gewissen mir gegenüber, weil sie glaubt, dass es ihre Plombe ist, die sich gelöst hat.
Also muss absuderweise der Patient die Ärztin beruhigen: Das war ein uraltes Ding, lange vor ihrer Zeit eingesetzt, und, es ist geradezu peinlich, das zu gestehen, es hat beim Spaghettiessen den Geist aufgegeben. Da hat sie, genau, gelacht.
Als ich, ohne Loch und dafür immer noch heiter, wieder auf der Straße stand, hat der Mistral so geweht, dass seine eisigen Nadeln durch die Kleidung bis auf die Haut stachen. Die Fassaden waren grau. Irgendwo stank es nach Abgasen. Die Leute hatten Krägen, Mützen, Masken vor den Gesichtern und rannten über den Asphalt, als suchten sie Deckung. Und doch war das nicht das Frankreich, das man in den Abendnachrichten sieht. Das ist das Frankreich der freundlichen, klugen, gewissenhaften, aufmerksamen, unbesiegbar fröhlichen Frauen. Und ich habe das Glück, dass ich hier leben darf.
Wenn also jetzt die heiße Phase der kalten Tage beginnt und ich mich im Trubel fühlen werde wie der letzte Passagier der Titanic, der gleich ins Eiswasser springen muss, dann nehme ich mir nicht den Weihnachtsmann zum Vorbild oder das liebe Christkind. Dann denke ich, zum Beispiel, einfach an meine Postbotin.
In diesem Sinne...
Hi Cay, und erst die "Frau aus der Provence" an Deiner Seite!!!!! Ein wunderschönes Jahr Euch allen .... Anneli
AntwortenLöschenSalut Anneli, wie wahr! Bonne année, wir melden uns!
AntwortenLöschenGuten Abend Herr Rademacher, als erstes muß ich Ihnen ein Kompliment machen: Ich lese gerade den 19. Krimi (in nomini mortis) von Ihnen und bin Ihren Büchern immer noch nicht überdrüssig. Das ist mir als leidenschaftlicher Krimileser noch bei keinem Autor gelungen. Der neueste Provence-Krimi ist bereits im Buchladen meines Vertrauens vorbestellt. Vielleicht werde ich mir die Wartezeit doch noch mit einem Ihrer Sachbücher verkürzen.
AntwortenLöschenIch wünsche Ihnen und ihrer Familie ein erfolgreiches und gesundes Jahr 2022 und hoffe noch viele Ihrer Bücher lesen zu dürfen
Ihr
Klaus D. Huber
Guten Tag Herr Huber, besten Dank für Ihre freundlichen Zeilen! Das motiviert mich für die nächsten 19 Krimis, mindestens... Herzliche Grüße aus der Provence, Cay Rademacher
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