Wir schaffen es in der Provence, dass sich culture auf été reimt, geht ganz einfach – vorausgesetzt, du hast schöne Städte, schönes Wetter, tausend engagierte Leute und ein begeistertes Publikum. Vor allem im Juli (im August sind dann alle erschöpft) empfängt gefühlt jeder Ort „seine“ Künstler. In Arles treffen sich seit Jahrzehnten die Fotografen, in Avignon Theaterschauspieler, in Orange Opernsänger, in La Roque-d'Anthéron die Pianisten (siehe hier: https://provencebriefe.blogspot.com/2015/08/dienocturnes-von-chopin-klingen-gut.html) Da treten junge, unbekannte, hungrige Artisten auf, aber eben auch jede Menge französische, europäische, Weltstars. Die Festivals in der Provence haben längst einen exzellenten Ruf, und dass man den Sommer im Midi verbringen kann, hilft sicher auch, den einen oder anderen Maestro zum Kommen zu überreden.
In manchen Städten gibt’s dabei Kultur bis zum Delirium. Man kann gar nicht alle Ausstellungen, Konzerte, Aufführungen besuchen. Salon de Provence macht es ein bisschen anders: Drei oder vier Aufführungen binnen einer Juliwoche, und wenn du die verpasst hast, hast du Pech gehabt. (Oder man muss Kultur in einer der Nachbarstädte tanken.) Théâtre Côté Cour heißt unser Festival, gab's heuer zum einunddreißigsten Mal. Letztes Jahr fiel es aus, die Gründe dafür muss man nicht erklären.
Das Konzept: Mitten in Salon steht auf einem Felsen das Château de l'Empéri. Das ist eine ursprünglich mittelalterliche Burg, die aussieht, wie du & ich eine Burg malen würden: Turm, Mauern, viele Zinnen. Mitten in der Festung öffnet sich ein in der Renaissance gestalteter Innenhof. Et voilà: Da stellt man eine kleine Bühne auf, dazu Ränge für, na, ich schätze so zweihundert Zuschauer, schon hat man eine Freilichtbühne, von Zinnen beschützt und über dir funkeln die Sterne. Die Akustik ist besser als in freier Wildbahn und vor dem Mistral schützen dich Mauern, die schon tausend Jahren getrotzt haben.
Auf diese Bretter, die Salon bedeuten, werden Jahr um Jahr französische und europäische Ensembles eingeladen, manche sind Molière-gekrönt, alle sind sehr, sehr gut. Die Gastgeber werden dabei zwar von der Stadt und diversen Sponsoren unterstützt, doch eigentlich ist es eine Truppe von theaterwahnsinnigen Freiwilligen, die das Spektakel organisieren, und abends zwischen den Plätzen haben Oberstufenschüler die Sache im Griff und sage keiner, dass die Kids heute nur noch auf kleine Bildschirme starren.
Es ist alles dabei, was die Bühne hergibt, Drama, Komödie und sogar große Oper.
Wir haben zum Beispiel dieses Jahr Carmen nach der Oper von Georges Bizet genossen. Das Original kriegst du niemals in den Innenhof einer mittelalterlichen Burg. Doch die Truppe Influenscènes hat den Klassiker genial adaptiert und aufgefrischt: Magalie Paliès als singende und Ana Pérez als tanzende Carmen, Benjamin Penamaria als Don José, Kuky Santiago tanzt Flamenco, Luis de la Carrasca singt, José Luis Dominguez an der Gitarre, Jérôme Boudin-Clauzel am Klavier. Sehr spanisch, sehr Flamenco. (Salon kreist in der Umlaufbahn der Camargue, und die wiederum ist die Spielwiese der Gitanes. Deren Gitarrenmusik ist ebenfalls sehr spanisch, sie singen auch auf Spanisch, nicht Französisch, und jeder hört das hier ab dem Krabbelgruppenalter – insofern war das, musikalisch gesehen, ein Heimspiel für die Truppe.)
Tänzer, Musiker, Schauspieler waren so was von froh, dass sie wieder auf der Bühne stehen durften. Und wir erst... Tolles Spektakel, toller Ort, und weit und breit kein besorgt dreinblickender Virologe auszumachen. Du hast das Gefühl, dass du selbst mit Maske vor dem Halbgesicht endlich mal durchatmen kannst. Insofern war die Stimmung schon vor dem ersten Akt fantastisch. Und am Ende kochte die Burg: Standing Ovations und die Künstler haben einfach noch mal getanzt und gesungen und noch mal und noch mal. Leben wie ein zivilisierter Mensch halt, das hatte man ja beinahe schon vergessen.
In diesem Sinne: Einen schönen Sommer!
Hallo Herr Rademacher,
AntwortenLöschenein schöner Artikel über die erfrischende französische Kultur! Ich bin im Moment dabei, meine wissenschaftliche Arbeit an einem Gymnasium in Bayern über ihre Provence-Krimireihe zu verfassen. Hätten Sie eventuell Interesse sich über die folgende Emailadresse an mich zu wenden? constance_kuwer@icloud.com
Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen!
Mit Freundlichen Grüßen
Liebe Frau Kuwer, das mache ich gerne - ich melde mich. Beste Grüße aus dem Süden, Cay Rademacher
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