Neulich waren meine Frau und ich mit unserer Jüngsten in der Toskana, das ist ja praktisch bei uns um die Ecke. Die Provence und die Toskana haben viel gemein, zum Beispiel viele Touristen. Der Ponte Vecchio in Florenz war an einem Dienstagvormittag Ende Oktober so voll wie früher mal Hertie im Sommerschlussverkauf. (Das war jetzt mal echt retro.) Für die Uffizien musst du – im Spätherbst, wohlgemerkt – die Eintrittskarten Wochen im voraus per Internet buchen und dann genau zur festgesetzten Zeit da sein, damit du hineinkommst. Und das kostet dann für drei Personen einen dreistelligen Betrag.
Keine Stadt in der Provence ist so ein Kunstballungszentrum wie Florenz, aber wenn man mal irgendwo Tourist ist, dann fällt einem auf, wieviele Touristen bei uns inzwischen auch, nun ja, sagen wir: Geduld und Geld aufbringen müssen. Die Calanques, die Côte Bleue, der Berg Sainte-Victoire – überall werden selbst Wanderwege zu Gated Communities, obwohl dahinter oft niemand wohnt. Es wird bloß zur Hauptsaison (die inzwischen von April bis Mitte Oktober währt) so voll, dass die Natur leidet und schließlich auch Feuerwehr- und Rettungswagen nicht mehr durchkommen. Also werden bereits die Zufahrtsstraßen geschlossen, und nur wenige Auserwählte (Ticketkäufer, Einheimische) dürfen passieren. Museen nehmen solide zweistellige Eintrittspreise, und am besten reserviert man das auch Wochen voraus und auch nicht nur zur Hauptsaison. Und der Cours Mirabeau in Aix-en-Provence oder die Arena in Arles können es sommers locker mit dem Ponte Vecchio aufnehmen, San Gimignano ist auch nicht voller als Les Baux.
Nur halt zu viele.
Was tun?
Da droht sofort die Verbotsfraktion am Horizont, vor allem am deutschen Horizont. Im (natürlich überaus wohlmeinenden) Verbieten und Regulieren führt Schwarz-Rot-Gold den Medaillenspiegel an. Man könnte sich Zwangsgebühren beim Grenzübertritt vorstellen oder CO2-Kontingente pro Person und Jahr oder schlicht das Verbot von Flugzeugen, Autos und Schiffen. Da die Bundesbahn sowieso nicht fährt, kommt dann praktisch niemand mehr weit aus dem Land heraus.
Oder halt andersrum: Zielregionen wie die Provence (oder die Toskana, Mallorca, die griechischen Inseln, London…) könnten Nordkorea spielen, sich einzäunen und niemanden mehr hineinlassen.
Wollen wir das? Genau.
Was aber dann?
No problem, Baby, it’s capitalism! Wie gesagt: Florenz, Uffizien, dreistellig. Dann bist du noch nicht auf der Domkuppel, dem Turm, noch nicht in irgendeinem anderen Museum, nichts, nada, niente. Die gesamte Innenstadt ist für nicht-einheimischen Autoverkehr gesperrt (super, da ruhig, ökologisch, denkmalschützend), dafür kosten die Parkhäuser drumherum zweistellige Beträge am Tag, und Bus und Bahn sind auch nicht gerade umsonst. Drei Leute volles Kulturprogramm in Florenz kostet dich also locker mehrere Hundert Euro, und da hast du noch keine Pizza gemampft und vom Hotel, AirBnB oder Campingplatz wollen wir gar nicht reden. Wohlgemerkt: Mehrere mildgrüne Euro-Scheinchen pro Tag.
Die Provence ist noch nicht ganz so weit, aber sie holt auf. Das merkt man bloß als Einheimischer nicht so, sie ist jedoch schon verdammt nah dran an Florenz & Co. Irgendwann reguliert sich hier wie andernorts das Problem des Übertourismus auf kapitalistische und mithin natürliche Weise. Wir werden wieder Reisende haben wie vor hundert Jahren, in den Goldenen Zwanzigern: Schicke Menschen, die per Zeppelin oder Orient Express zu schicken Zielen fahren, weil bei ihnen schicke Millionen auf dem Konto herumliegen und darauf warten, in schicken Grandhotels ausgegeben zu werden. Und wenn dein Tresor nicht ganz so voll ist, tja, zu Hause ist es auch schön…
Schade eigentlich.
Im November ist die Provence übrigens ganz nett. Und gar nicht so voll. Noch nicht.
P.S.: Am 8. November lese ich gemeinsam mit den Kollegen Sophie Bonnet und Pierre Lagrange (und moderiert von Volker Albers) auf dem Hamburger Krimifestival. Zumindest für einen Abend und zumindest literarisch kommt die Provence dann sogar hoch in den Norden bis zu Elbe und Alster.
Infos hier: https://www.krimifestival-hamburg.de/programm/sophie-bonnet-cay-rademacher-pierre-lagrange
Lieber Cay,
AntwortenLöschenunser herbstlicher Südfrankreichurlaub liegt nun schon einige Wochen zurück und ich finde endlich Zeit, ein paar Gedanken dazu zu Papier zu bringen. Naja, das war so eine Floskel von früher, als man noch auf Papier schrieb. Jedenfalls waren wir doch sehr erfreut, dass uns der Übertourismus nur ganz selten getroffen hat.
Unsere Zwischenstation auf der Hinfahrt in Vaison-la-romaine war fast schon idyllisch – natürlich waren Touristen in den mittelalterlichen Gassen und beim Aufstieg zur Grafenburg unterwegs, aber sehr überschaubar.
Viel mehr los war natürlich auf dem Freitagsmarkt in Lourmarin. Sehr viele Touristen aber halt auch sehr viele Einheimische an den vielen, vielen Ständen im Dorfkern und vor dem Château. Andere Orte des südlichen Grand Luberon wie Ansouis, Grambois oder Cucuron luden dagegen in unaufgeregter Herbststimmung zu wunderbaren Spaziergängen ein.
Eyguière war laut und chaotisch, allerdings nicht wegen der Touristen, sondern wegen der ganzen Bauarbeiten. Die Arena war komplett verlassen, kein Mensch weit und breit. Wir sind dann weiter durch die Alpilles nach Eygalière um dort beim Tour de l'horloge die fast touristenfreie Ruhe und die warme Herbstsonne zu genießen.
Und dann waren wir natürlich einen Tag lang auf den Spuren von Carmen Rodriguez und der Familie Merlin. In den Weinbergen, den Olivenhainen und der Garrigue zwischen D10 und D21; im Weinkeller, in der Olivenmühle im Museum. In Sagnas und am Plage de Champigny. Zum Glück keiner der dieses Jahr etwas häufigeren Regentage, sondern ein wunderschöner Herbsttag und wirklich keine Touristen. Dafür aber sehr guter Wein und noch besseres Olivenöl. Von beidem fanden einige Liter ihren Weg an die Mosel.
Weiter südlich, in den Calanques (Rouet, Redonne und Méjean) waren es auch schon wieder mehr Einheimische denn Besucher. Weiter nördlich in Roussillon war es über die Mittagszeit auch verhältnismäßig ruhig bis dann einige Busse mit Ritsch-Ratsch-Klick Kohorten den pittoresken Ort überfielen und wir schnell das Weite suchten.
Zum Abschluss unseres Urlaubs haben wir, nach vielen Jahren mal wieder, Aix besucht: viele Besucher in der Altstadt und auf dem Cour Mirabeau - aber zum Glück nicht zu überlaufen. Es war kein Problem am Pl. de Verdun, gegenüber Aveline’s Büro, in einem Café einen Platz zu finden und eine leckere Galette zu genießen. Aber dann war plötzlich die Sonne weg und er kam doch. Kurz aber sehr heftig. Der Regen.
Es waren ein paar sehr schöne Tage, ohne Übertourismus und ohne Abzocke und auch ohne zu viel Regen. Auch ein Grund, warum wir uns schon auf die nächste Reise freuen. Und was steht dann wahrscheinlich auf dem Programm: nun ja, in St. Remy waren wir letztmals 2017 aber in Glanum waren wir bisher nur einmal: 1991. Ich hätte ein paar sehr schöne low-quality old-school Fotos für den Bildband (auch aus Les Baux, aus dem gleichen Jahr). Ein Tag wird sicherlich wieder dazu genutzt, den Spuren von Capitaine Blanc und seinem Team zu folgen.
In diesem Sinne: ich freue mich schon sehr auf „Rätselhaftes Saint-Rémy“!
Beste Grüße von der momentan viel zu frühlingshaften Mosel,
Hans
Lieber Hans,
Löschenüber so einen Kommentar und noch mehr über so eine schöne Reise freue ich mich sehr! Besten Dank und viel Spaß beim nächsten Trip gen Süden, Amicalement, Cay