Wahrscheinlich können Sie manchmal abends auch nicht einschlafen, weil Sie sich fragen: Wie kommt Salon-de-Provence zu seinem Namen? Genau. Ich meine, hey, „de-Provence“ erklärt sich von selbst. Aber Salon? Klingt nach biedermeierlichem Wohnzimmer, zweite Hälfte neunzehntes Jahrhundert. Oder nach einer Trinkhalle im Wilden Westen, der auf dem Rückflug über dem Atlantik ein „o“ abhanden gekommen ist. Nice try.
Ich hatte deshalb auch sehr viele schlaflose Nächte, doch eines Tages wurde ich mehr oder weniger gezwungen, mich auf die Suche nach dem Ursprung des Salons zu machen. Nach angemessener Recherche stelle ich fest: Genaues weiß man nicht, aber dies ist die plausibelste Theorie:
Spätestens im dritten vorchristlichen Jahrhundert vereinten sich in der heutigen Provence mehrere Gruppen, Stämme, was auch immer zu einer Konföderation, deren Angehörige von mehr oder weniger zeitgenössischen römischen Chronisten Salluvii genannt wurden, französisch heute: Les Salyens. Sie könnten Kelten gewesen sein, oder aber Ligurer, also einer noch älteren Volksgruppe entstammen. Mehr wird man vielleicht nie wissen, denn von ihnen hat sich keine Inschrift, keine Schriftrolle, überhaupt kein Text erhalten, und auch sonst ziemlich wenig.
Die Salluvii haben in einem Gebiet ungefähr zwischen dem Étang de Berre und Aix-en-Provence gesiedelt, ihre „Hauptstadt“ war vermutlich Entremont bei eben jenem Aix-en-Provence. Die ganze Region war und ist das Hinterland von Marseille, und Marseille war und ist in diesem Hinterland nicht hundertprozentig populär. Damals hieß es noch Massalia und war eine von Griechen gegründete und besiedelte Stadt. Im zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung schlugen sich Salluvii und Marseiller Hellenen die Köpfe ein, keiner weiß genau, warum. Dabei kam den Marseillern allerdings die fatale Idee, Rom um Hilfe zu bitten. Die Republik schickte nur zu gerne Legionen, die in vermutlich mehreren Feldzügen bis spätestens zum Jahr 90 vor Christus die Salluvii platt machten. Danach folgte römische Routine: Massaker, Massenversklavung, und wer danach noch stand, der wurde assimiliert. Die Kultur der Salluvii verschwand für immer und mit ihr die Siedlungen.
Und eine dieser seit mehr als zweitausend Jahren aufgegebenen Siedlungen – hier kriege ich die Kurve zu meinem Einstieg – versteckt sich auf einem Gipfel im Massif (oui, wird so geschrieben) des Costes bei Salon und hieß in der Antike … Salounet (oder Selounet). Voilà! Salounet, Salon, ist doch ganz einfach.
Ich bin zur Abbeye de Sainte-Croix im Massif (ja doch!) des Costes hochgepilgert. Das war einst ein Kloster, ist heute ein schickes Hotel und tolles Restaurant, und wenn man um die Anlage herum geht, steht man nach einem Spaziergang durch die Garrigue plötzlich vor Mauern, die in Bergklippen hineingezwungen wurden. Eine Festung? Ein Vorratsspeicher? Beides? (Schließlich müssen Nahrungsmittel gut geschützt werden.) Mysterium… Jedenfalls sind das die letzten Ruinen von Salounet und damit, symbolisch gesprochen, die Grundsteine für Salon. Und außerdem ist das ein toller Ort, wunderbare Aussicht, leichte Wanderung, trotzdem ganz versteckt, oft ist man hier allein mit den Gespenstern der Salluvii.
So geht Geschichte, so gehen Geschichten.
Der neue Almanach 3 ist übrigens bereits erschienen, den kann man in Salon kaufen, und von den zehn schönen Geschichten heißt die meine La Gardienne und die Helden sind ein melancholischer Archäologe und eine durchsichtige junge Frau.



